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Der "Undertaker" rechnet ab

Ex-V-Mann und Anti-Antifa-Veteran Kai Dalek schwärzt früheren Kollegen Tino Brandt als militanten Scharfmacher an

Von Claudia Wangerin, München *

Der 50jährige Kai Dalek, nach eigenen Angaben »technischer Berater«, war von 1987 bis 1998 für das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz tätig – mindestens als V-Mann, wenn nicht als professioneller Agent, denn er soll zuvor in Berlin für den dortigen Verfassungsschutz die linke Szene ausgespäht haben. Nach Informationen des Untersuchungsausschusses »Rechtsterrorismus in Bayern« war er an das dortige Landesamt übergeben worden, als er aus privaten Gründen nach Franken zog. Mitte der 1990er Jahre war er um die 30 – und eine große Nummer in der bayerischen Neonaziszene. Zunächst gehörte er der »Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front« (GdNF) an, alsbald tat er sich als Kameramann und früher Netzaktivist der »Anti-Antifa« hervor. Mit seinem »Computer-Grafik-Design-Studio« in Weißenbrunn und der Sicherheitsfirma »Secuguard« stellte er Infrastruktur bereit.

Wer Dalek am Mittwoch als Zeugen im Münchner NSU-Prozess erlebte, musste den Eindruck gewinnen, dass der Agent sich zu dieser Zeit als eine Art Pate des rechten Milieus im Freistaat Bayern gefühlt hatte. Auf den Thüringer Neonazi und V-Mann Tino Brandt war Dalek sauer, weil dieser nach Coburg gezogen sei, ohne sich mit ihm abzusprechen. »Dass er hinter meinem Rücken versucht, 'ne politische Organisation aufzubauen, passt mir überhaupt nicht«, echauffierte sich Dalek am Mittwoch vor Gericht. Auf den elf Jahre jüngeren Brandt, der damals trotz seiner Jugend eine ähnlich wichtige Position in Thüringen eingenommen hatte, war Dalek insgesamt nicht gut zu sprechen. »Du tanzt nicht in meinem Gebiet ohne Absprache«, will er ihm gesagt haben. Brandt habe das Konzept seines »Thüringer Heimatschutzes« (THS) ausweiten wollen, erklärte Dalek am Mittwoch dem Oberlandgericht München. Er sprach in diesem Zusammenhang von der »Krake THS« und einer »Militarisierung der fränkischen Szene«, die Brandt gegen seinen ausdrücklichen Willen angestrebt habe. Auch die Worte »Agent provocateur« und »Brandstifter« ließ Dalek nicht aus. Einmal habe er erlebt, wie THS-Mitglieder ohne jeden Anlass volle Bierflaschen nach einem Streifenwagen geworfen hätten. Diese Radikalisierung, so Dalek, habe ihm »überhaupt nicht geschmeckt«. Brandt habe mit diesem Vorgehen im Nachbarland Strafverfolgungsmaßnahmen ausgelöst, »die nicht in meinem Interesse waren«. Er selbst habe gewusst, dass bayerische Behörden restriktiver vorgingen, so Dalek.

In einem »Hinterzimmergespräch unter Männern« habe er Brandt gesagt: »Ich will mit deinem THS nichts mehr zu tun haben, und du machst das auch nicht in meinem Einzugsbereich.« Dabei ließ Dalek offen, ob dies von V-Mann zu V-Mann oder von Neonazi zu Neonazi gesagt wurde. Brandt jedenfalls hat bei seiner Zeugenvernehmung im NSU-Prozess erklärt, er habe Dalek umgehend informiert, als der Thüringer Verfassungsschutz ihn erstmals angesprochen hatte. Damit konfrontiert, schloss Dalek am Mittwoch vor Gericht aus, dass Brandt ihm tatsächlich diese Behörde genannt habe. Er habe nur die Erwähnung des Besuchs einer Polizeibehörde in Erinnerung, und zwar »höchstwahrscheinlich fernmündlich«. Dabei sei aber nicht thematisiert worden, dass Brandt für diese Behörde arbeiten solle: »Eine Anwerbung, das war nie Thema gewesen.«

Weiterhin gab Dalek am Mittwoch ungefragt seine eigene Mutmaßung zum besten: »Ich gehe davon aus, dass Brandt seine politischen Aktionen und auch seine Militarisierung abgestimmt hat mit seiner Behörde«, sagte er zum Ärger des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl, der ihn dazu anhielt, auf Spekulationen zu verzichten.

Daleks Eigendarstellung als eher gemäßigter Kader ist allerdings unglaubwürdig. Das zur fraglichen Zeit bestehende neonazistische »Thule-Netz« fütterte er mit Fotos und Steckbriefen politischer Gegner, seine Mailbox »Kraftwerk BBS« betrieb er unter dem Pseudonym »Undertaker«, was soviel wie Totengräber heißt. Beteiligt war er auch an der Veröffentlichung der Broschüre »Der Einblick«. Unter der Überschrift »Organisiert die Anti-Antifa« wurden dort 250 linke Einrichtungen sowie Einzelpersonen genannt, denen »unruhige Nächte« zu bescheren seien. Die späteren mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe will Dalek aber »nicht wissentlich« gekannt haben. Vielleicht sei er ihnen bei einem Besuch in Thüringen mal über den Weg gelaufen. Auf einer 1998 beim Untertauchen von Mundlos hinterlassenen Telefonliste ist Dalek aber als »Kai D.« eingetragen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 13. November 2014


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