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Restzweifel an Selbsttötung nicht beseitigt

NSU-Prozeß. Rechtsmediziner und Polizisten sagten zum Tod der Neonazis Mundlos und Böhnhardt aus

Von Claudia Wangerin, München *

Die Aussagen des Rechtsmediziners Dr. Reinhard Heiderstett und zweier Polizisten im Münchner Prozeß um die Terrorgruppe NSU am Mittwoch konnten Restzweifel am mutmaßlichen Doppelselbstmord der Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nicht beseitigen. Beide hatten jeweils eine Schußverletzung am Kopf, die sofort zum Tod geführt haben mußte, als sie am 4. November 2011 in einem ausgebrannten Wohnmobil gefunden wurden. Mundlos soll nach einem Banküberfall unter akutem Fahndungsdruck zunächst Böhnhardt mit dessen Einverständnis erschossen haben – und dann sich selbst. Einer von beiden soll zudem das Fahrzeug in Brand gesteckt haben.

Da zumindest Mundlos noch gelebt haben muß, als das Feuer gelegt wurde – wenn diese offizielle Version stimmt und keine dritte Person beteiligt war – warf der Rechtsmediziner der Universität Jena Fragen auf. Denn er bestätigte, daß bei keiner der Leichen Rußpartikel in der Lunge gefunden worden waren. Er könne aber nicht ausschließen, daß kurzfristig Rauchgase ohne Ruß ein- und wieder ausgeatmet worden seien, betonte er, als ein Nebenklagevertreter nachhakte. Böhnhardts Leiche habe »Merkmale einer typischen Einschußverletzung an der linken Schläfenseite« gezeigt, im unteren Bereich dort auch Schmauchspuren und eine »strahlenförmige Aufreißung des Kopfes« rechts oben, sagte Heiderstett. Das Gehirn sei durch diese Austrittswunde zum Großteil herausgeschleudert worden. Ebenso bei seinem Komplizen, bei dem sich die Eintrittswunde allerdings im Mund befand. Beide Leichen seien am 5. November 2011 zunächst in die radiologischen Klinik gebracht und einem computertomographischen Ganzkörperscanning unterzogen worden. Dies habe den Vorteil, daß alle abgenommenen Daten später wieder abgerufen werden könnten, sagte der Rechtsmediziner. Bei Mundlos sei kein Zahnstatus zur Erleichterung der Identifizierung erhoben worden, weil die Polizei bereits mitgeteilt habe, um wen es sich handle.

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hielt dem Rechtsmediziner vor, daß in den Obduktionsakten unterschiedliche Angaben zur vermessenen Größe von Mundlos zu finden seien. Einmal 1,83 Meter und an anderer Stelle 1,78 Meter. Die unterschiedlichen Zahlen müßten beim Diktat entstanden sein, so Heiderstett. Die letztere sei richtig.

Die Polizisten, beide Anfang 50, die Mundlos und Böhnhardt angeblich in den Selbstmord getrieben hatten, wirkten im Gerichtssaal harmlos und gutmütig. Beide schilderten eine vorsichtige Annäherung an das Wohnmobil und gaben an, Geräusche von drei Schüssen im Abstand von wenigen Sekunden gehört zu haben – wovon einer laut Bericht des Landeskriminalamts »in unsere Richtung gegangen sein soll«, sagte der erste Beamte im Zeugenstand. Dann seien sie in Deckung gegangen, zunächst hinter parkenden Fahrzeugen, dann hinter einer Papiertonne und – als sie den Brand bemerkten und Angst vor einer Explo­sion hatten – hinter einer Mauer. Die Eingangstür des Wohnmobils sei sowieso auf der von ihnen abgewandten Seite gewesen, bestätigten sie auf Nachfrage. Da sich hinter dem Fahrzeug eine Baugrube befand, hätten sie eine dritte Person beim Verlassen des Wohnmobils nicht zwangsläufig sehen müssen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 22. Mai 2014


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