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Kiesewetter doch kein Zufallsopfer des NSU?

Zeugin berichtete vor Untersuchungsausschuss in Erfurt

Von René Heilig *

Vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtages berichtete eine Zeugin, sie sei im Zuge der Ermittlungen zum Terrornetzwerk bedroht worden – es gibt neue Fragen im Fall Kiesewetter.

Die Zeugin hat Angst. Auch bei ihrer Aussage vor dem Erfurter Untersuchungsausschuss zitterte sie. Einst hat sie als Polizistin gearbeitet und gehörte zum privaten Umfeld der 2007 in Heilbronn ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter. Sie war die Lebensgefährtin vom Onkel der Ermordeten, der selbst als polizeilicher Staatsschützer gearbeitet hat.

Die Zeugin deutete am Montag vor dem Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtages an, dass es im weiteren Verwandtenkreis Kiesewetters Kontakte in rechtsextreme Kreise gegeben habe. Die Zeugin selbst war vom Dienst suspendiert worden, weil sie – was sie bestreitet – zu engen Kontakt in die Szene gehabt haben soll. Sicher ist jedoch, dass sie zahlreiche Angehörige der Neonaziszene bis hinein in Kreise der Organisierten Kriminalität sowie Rocker kennt.

Die Frau schilderte verschiedene Wahrnehmungen, beispielsweise einen bis dahin unbekannten Vorfall in Kiesewetters Heimatort Oberweißbach. Einige Monate vor ihrer Ermordung soll Kiesewetter in eine Auseinandersetzung am Ortseingang verwickelt gewesen sein. Beteiligt waren die Insassen dreier Autos. Vermutungen gehen in Richtung Drogenszene. Zugleich beschrieb die Zeugin Kontakte von Kiesewetters Cousine zu Leuten aus dem Neonazi-Bereich. Es handelte sich möglicherweise sogar um Blood&Honour-Mitglieder. Auch Details über Drogenhandel und Drogenkonsum spielten eine Rolle bei der Aussage der Zeugin. Die Darstellungen könnten die Theorie der Bundesanwaltschaft und des Bundeskriminalamtes (BKA) erschüttern, die zumindest öffentlich davon ausgehen, dass die Polizistin Kiesewetter von den mutmaßlichen NSU-Mördern Böhnhardt und Mundlos zufällig als Opfer ausgewählt worden war.

Die Zeugin informierte die Ausschussmitglieder darüber, dass sie vor ihrer Vernehmung beim BKA »Besuch« von zwei Männern hatte. Die hätten ihre Dienstausweise gezückt und ihr geraten, sich »an bestimmte Dinge« im Zusammenhang mit dem Kiesewetter-Mord nicht zu erinnern. Die Frau ist sicher, dass sie die beiden Männer wiedererkennt. Man wird ihr daher bei einer folgenden Befragung verschiedene Fotos von Verfassungsschützern vorlegen. Die Aussagebereitschaft scheint nicht ganz ungefährlich zu sein. Nachdem die Zeugin die Ladung zur gestrigen Befragung bekommen hatte, sei ihr ein Autoreifen angeschlitzt worden, sagte sie.

Die Bundesanwaltschaft verweigert dem Erfurter Ausschuss weiter Akten, angeblich, um den NSU-Prozess in München nicht zu gefährden.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 11. März 2014


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