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Wer hat den weißen Wolf gesehen?

NSU-Prozeß. Zschäpe-Anwälte stellen Existenz der Terrorgruppe in Frage. Zeuge Kapke bleibt vage

Von Claudia Wangerin *

Im Prozeß um die Mord- und Anschlagsserie, zu der sich 2011 der »Nationalsozialistische Untergrund« (NSU) bekannt hat, sind die Anwälte der Hauptangeklagten Beate Zschäpe am Mittwoch dazu übergegangen, die Existenz der rechten Terrorgruppe in Frage zu stellen. Bisher hatten die Strafverteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm hauptsächlich die Mittäterschaft ihrer Mandantin bestritten, die laut Anklageschrift mit den 2011 verstorbenen Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt den NSU gegründet hatte.

Selbst in einem provokanten Antrag auf Einstellung des Verfahrens im Frühsommer 2013 hatten Zschäpes Anwälte noch personenbezogen argumentiert. Sie sprachen seinerzeit von Vorverurteilung durch Politik und Behörden, weil namentlich Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe als »Terrortrio« bezeichnet wurden. Das Verteidigerteam zog aber damals zumindest nicht offen in Zweifel, daß eine Neonaziterrorgruppe namens NSU existiert hatte – die nach Einschätzung engagierter Nebenklagevertreter auch ein größeres Netzwerk gewesen sein kann. Daß vor der Verurteilung von Einzelpersonen der individuelle Tatnachweis erbracht werden muß, bestreiten auch die Anwälte von Opferangehörigen nicht.

Nun aber stellten Zschäpes Anwälte einen Befangenheitsantrag gegen einen der beisitzenden Richter, weil dieser einen Ordner mit der handschriftlichen Aufschrift »NSU« mit in den Saal gebracht hatte. Daraus sei zu schließen, daß der Richter Peter Lang das Bestehen der terroristischen Vereinigung »Nationalsozialistischer Untergrund« bereits für erwiesen halte. Dies sei jedoch »einer der zentralen Gegenstände der gerichtlichen Untersuchung«, begründete Zschäpe-Verteidiger Wolfgang Heer das Ablehnungsgesuch, über das zunächst nicht entschieden wurde.

Das Kürzel NSU war in dem zynischen Bekennervideo mit der Comicfigur Paulchen Panther, das im November 2011 mutmaßlich von Zschäpe verschickt wurde, nicht zum ersten Mal aufgetaucht. Es fand sich schon 2002 – von der breiteren Öffentlichkeit unbemerkt – im Szenemagazin Der Weisse Wolf, nur für Außenstehende nicht eindeutig erkennbar im Zusammenhang mit Morden. »Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen ; -) Der Kampf geht weiter«. Stand mitten im Vorwort der Ausgabe 1/2002. Der Name des Magazins könnte direkt dem »Handbuch des nationalsozialistischen politischen Soldaten« der »Blood&Honour«-Bewegung entlehnt sein, in dem es lyrisch über Neonaziterroristen heißt: »Diese einsamen weißen Wölfe müssen respektiert und allein gelassen werden, um die schlimmsten Feinde unserer Rasse zu verfolgen. Sie erwarten keine Unterstützung und Hilfe, aber sie verdienen Anerkennung und Verständnis.«

Mit dem Befangenheitsantrag platzten Zschäpes Anwälte mitten in die Zeugenvernehmung des Neonazis André Kapke, der bereits zum zweiten Mal im NSU-Prozeß vor dem Oberlandesgericht München geladen worden war. Kapke hatte zumindest in der ersten Zeit nach dem Untertauchen des mutmaßlichen NSU-Kerntrios 1998 zu dessen Unterstützern gehört. Heute weist der 38jährige für sein Alter verdächtige Erinnerungslücken auf. Für Zschäpe und die »beiden Uwes« sollte er damals gefälschte Pässe organisieren, bekam dann aber nach eigener Aussage von einer Person, die er kaum beschreiben konnte oder wollte, nur Blankopässe ohne Lichtbilder und ohne Daten. Der Mitangeklagte Ralf Wohlleben soll eingeweiht gewesen sein, aber auf dessen genaue Rolle festlegen wollte sich Kapke nicht.»Definitiv« habe aber Tino Brandt, der damals V-Mann des Verfassungsschutzes war, von der Sache mit den Pässen gewußt, zitierte die Süddeutsche Zeitung am Mittwoch den Zeugen.

* Aus: junge welt, Donnerstag, 6. Februar 2014


Viel Beifang bei NSU-Prozess

Nazi-Zeuge verplappert sich / Romani Rose zeigt Polizisten wegen Rassismus an

Von René Heilig **


Im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht gab es einen neuen Befangenheitsantrag. Der half, die Aussage eines mutmaßlichen NSU-Helfers zu stoppen.

»Die Hauptfiguren von damals waren André Kapke, der Mann fürs Grobe, und Ralf Wohlleben, der Intelligente.« Nein, dieser Satz fiel nicht am gestrigen Verhandlungstag vor dem Oberlandesgericht in München, wo sich Kapke als Zeuge und Wohlleben als Angeklagter begegneten.

Die Feststellung wurde von einem kundigen Thüringer Landesverfassungsschützer bereits vor einiger Zeit vor dem Erfurter Untersuchungsausschuss getroffen. Wahrscheinlich beschreibt er die beiden Kameraden, die den drei mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und der gleichfalls in München angeklagten Beate Zschäpe geholfen haben sollen, so knapp wie zutreffend. Doch das eigentliche Problem sei ein ganz anderes. Meint jedenfalls Zschäpe-Anwalt Wolfgang Heer und fragt: Gab es den Nationalsozialistischen Untergrund, kurz NSU, wirklich?

Absurde Frage? Möglich, doch sie bot Heer gestern die Chance, einen Befangenheitsantrag gegen den beisitzenden Richter Peter Lang zu stellen. Der habe nämlich einen Ordner mit der handschriftlichen Aufschrift »NSU« in den Saal gebracht. Daraus sei zu schließen, dass der Mann die Existenz einer terroristischen Vereinigung bereits für erwiesen halte.

Die Kollegen von NSU-Watch kommentierten fassungslos, Heer selbst nutze an jedem Verhandlungstag einen Eingang, an dem »NSU Prozess« stehe. Einerlei, die Hauptverhandlung wurde erst einmal unterbrochen.

Dabei war der Zeuge Kapke gerade so beim Reden. Er gehörten zu den dominierenden Neonazis in Thüringen, gammelte mit den späteren NSU-Terroristen herum, stellte die Logistik bei Demos. Als seine Kameraden 1998 in den Untergrund gingen, hielt er Kontakt zu den Dreien. Man vereinbarte konspirative Anrufe in Telefonzellen, hatte sogar eine Art Code entwickelt, um gegen Nachstellung gesichert zu sein. Und dann verplapperte sich der Zeuge doch. Ja, es habe »Diskussionen über Zellenbildung und Gewalt« im Umfeld des Thüringer Heimatschutzes gegeben. Kurzes Erschrecken, dann folgte Zurückrudern. Der Zeuge aus Thüringen muss noch einmal zur Aussage erscheinen.

Am Dienstagabend wurde bekannt, dass der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma, Romani Rose, Beamte der Polizei von Baden-Württemberg angezeigt hat. Sie hatten bei den Ermittlungen zum Mord an der Polizeibeamtin Michele Kiesewetter 2007 in Heilbronn, der dem NSU zugeschrieben wird, diskriminierende Aktenvermerke verfasst. Zu lesen sei von einem »Neger«, Roma würden als »Zigeuner« bezeichnet, die »typischerweise lügen«. Es handle sich um »schlimmen Rassismus, der dem Jargon der Nationalsozialisten« ähnele, sagte Rose. Er verlangte von Landesinnenminister Reinhold Gall (SPD), dass die Beamten zur Rechschaft gezogen werden. hei

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 6. Februar 2014


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