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Endstation Eisenach

NSU-Prozeß. Angeklagte Zschäpe könnte mit zwei Unbekannten Bank ausgespäht haben

Von Claudia Wangerin, München *

Die letzten Stunden der mutmaßlichen Haupttäter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sind seit gestern Thema im Münchner Prozeß um die Mord- und Anschlagsserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU). Vier Zeugen waren am Dienstag erschienen, um über den zunächst erfolgreichen Banküberfall am 4. November 2011 in Eisenach auszusagen, nach dem die beiden Neonazis in einem Wohnmobil Selbstmord verübt haben sollen, um der Festnahme zu entgehen.

Nach Aussage des damaligen Filial­leiters könnte die Hauptangeklagte Beate Zschäpe die Bank zwei Wochen zuvor ausgespäht haben – mit zwei Männern, die von ihrer Statur her wiederum nicht die beiden maskierten Bankräuber gewesen sein können. »Da bin ich mir auch heute noch zu 100 Prozent sicher«, sagte der 32jährige Bankkaufmann vor dem Oberlandesgericht München. Die Frau dagegen könne Zschäpe gewesen sein – da sei er sich aber nicht hundertprozentig sicher. Die Bilder aus der Überwachungskamera seien der Polizei zur Verfügung gestellt worden, seien aber von sehr schlechter Qualität. Einer der beiden Männer habe vergeblich versucht, mit der Bankkarte eines hessischen Instituts Bargeld abzuheben. Die Männer hätten gebrochen Englisch gesprochen. Die Frau habe übersetzt und gesagt, sie seien aus Tschechien.

Zu dem Überfall selbst sagte der frühere Filialleiter vor dem Oberlandesgericht München, er habe mit einer Kollegin in seinem Büro gesessen, als er aus dem Kundenraum Schreie gehört habe. Einer der Täter sei wie eine Gestalt aus dem Horrorfilm »Scream« maskiert gewesen, der andere mit einer Gorillamaske. Ersterer habe ihm eine Waffe an den Kopf gehalten. Eine Kollegin habe sich zunächst im Raum mit der Notkasse eingeschlossen und erst auf sein eigenes Zureden eingelenkt. Sie hätten den Männern schließlich das verfügbare Geld gegeben. Ein weiterer Kassentresor sei mit einem Zeitschloß gesichert gewesen – man habe in jedem Fall zehn Minuten warten müssen. Das habe ihm der Räuber nicht so ganz geglaubt und schließlich »gemeint, mir mit der Waffe auf den Kopf schlagen zu müssen«. Daraufhin sei er für wenige Sekunden zu Boden gegangen und habe aus einer Platzwunde stark geblutet, aber nicht das Bewußtsein verloren. Mit knapp 72000 Euro seien die beiden Männer schließlich geflohen – nach etwa sechs Minuten. Wenig später sei die Polizei eingetroffen.

Die Aussage einer weiteren Bankangestellten machte allerdings deutlich, wie stark die Beobachtungen von Augenzeugen in bedrohlichen Ausnahmesituationen voneinander abweichen können. In der Erinnerung der 35jährigen Frau verschmolzen die von ihrem Chef beschriebenen Masken zu einer einzigen mit einem »Affengesicht oder Geistergesicht«. Der zweite Täter habe dagegen eine »Sturmhaube« getragen.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 21. Mai 2014


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