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Ohne Fahndungsdruck

NSU-Prozess: Normale Stammtischbesucher: Mutmaßliches Terrortrio soll nach seinem Untertauchen an Szenetreffen in Chemnitz teilgenommen haben

Von Claudia Wangerin *

Ein Zeuge aus rechten Kreisen hat am Dienstag im Münchner NSU-Prozess bestätigt, dass sich das mutmaßliche Kerntrio des »Nationalsozialistischen Untergrunds« im sächsischen Chemnitz »normal in der Szene bewegt« habe, nachdem es 1998 im benachbarten Thüringen untergetaucht war. Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe hätten sogar an einem »wöchentlichen rechten Treff« teilgenommen, sagte der Mann nach einem Onlinebeitrag des Tagesspiegels. Der Zeuge sei allem Anschein nach »bis heute bekennender Rechtsradikaler«, berichtete die Nachrichtenagentur dpa. Die Aussage des Mannes stärkt seit langem vorhandene Zweifel an der Ernsthaftigkeit der damaligen Fahndungsmaßnahmen. Als Zeuge geladen wurde er auf Antrag der Verteidigung des mitangeklagten Ex-NPD-Funktionärs Ralf Wohlleben, die im vergangenen Monat einen Strategiewechsel erkennen ließ. Zu Beginn der Hauptverhandlung im Frühsommer 2013 hatte Wohllebens Anwältin Nicole Schneiders noch von einer »Vorverurteilung« nicht nur ihres Mandanten, sondern sinngemäß der gesamten Neonaziszene gesprochen. Schon das Reden von rassistisch motivierten Morden hatte sie damals kritisiert. In den Beweisanträgen, die Schneiders und ihr Kollege Olaf Klemke im Januar stellten, ließen sie dagegen erkennen, dass der sächsischen Sektion des Netzwerks »Blood and Honour« durchaus ein Radikalisierungs- und Gewaltpotential zuzutrauen sei, das in der Bereitschaft zum Töten von Migranten gipfelte. Wohllebens Anwälte bestritten aber ein »Kennverhältnis« zwischen dem als Mordhelfer angeklagten Jenaer und den maßgeblichen Chemnitzer Aktivisten, in deren Umfeld sich Mundlos und Böhnhardt demnach erst richtig radikalisiert hatten. Außerdem betonte Schneiders, wie viele Waffen seinerzeit in der Szene kursierten – die Tatwaffe zur Mordserie an neun Männern türkischer, kurdischer und griechischer Herkunft könne daher durch andere Personen als ihren Mandanten in den Besitz der »beiden Uwes« gelangt sein. Wohlleben hatte laut Anklage um die Jahrtausendwende Carsten S. beauftragt, die Pistole illegal in einem Szeneshop zu erwerben und den Untergetauchten zu überbringen. Carsten S. hatte aber das Modell nicht mit letzter Sicherheit identifiziert, nachdem 2011 mehrere Kurz- und Langwaffen im Nachlass der mutmaßlichen Haupttäter gefunden worden waren.

Beate Zschäpe soll nicht an den Tatorten gewesen sein, aber alles gewusst und gebilligt haben. Unter dem Namen »Liese« scheint sie mit den beiden Männern eine Wette um Gewichtsreduktion abgeschlossen zu haben, die auf einem Datenträger schriftlich festgehalten wurde – wobei sich Mundlos »Killer« und Böhnhardt »Cleaner« nannten. Als Wetteinsatz war unter anderem »200 mal Videoclips schneiden« eingetragen. Die Ermittler schlossen daraus, dass es um die Bearbeitung des NSU-Videos ging, in dem die Opfer der Mordserie verhöhnt wurden. Andere infrage kommende Videos wurden nach Aussage einer Beamtin des Bundeskriminalamts im Brandschutt der Wohnung nicht gefunden.

Zschäpes Verteidiger hatten aber vergangene Woche weniger die dadurch aufgeworfenen Fragen im Blick als unliebsame Nebenklagevertreter. Auf den Anwalt Ferhat Tikbas, der unter den Zeugen des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße auf befremdliche Art um Mandanten geworben haben soll, aber im Prozess kaum durch Fragen und Beweisanträge auffiel, hatten die Zschäpe-Anwälte es jedoch weniger abgesehen. Während ein von Tikbas als Nebenkläger angemeldeter Zeuge erklärte, er habe dem gar nicht zugestimmt, störten sich die Verteidiger der Hauptangeklagten am Mandatsverhältnis von Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, der als engagierter Fragesteller gilt. Er vertritt die 39jährige Sermin S., die beim Anschlag in der Keupstraße nicht körperlich verletzt worden war, aber damals hochschwanger einen Schock erlitten hatte und bis heute an Panikattacken leidet. Zschäpes Anwälte zogen die Zulassung der Frau als Nebenklägerin in Zweifel.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 4. Februar 2015


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