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Den Katzen geht es gut

NSU-Prozeß: Polizist sagt zu Beate Zschäpes Flucht aus. Es bleibt der Eindruck, daß der Beamte an entscheidenden Stellen nicht reden wollte – oder durfte

Von Sebastian Carlens, München *

Fünf Tage lang war Beate Zschäpe, die mutmaßlich einzige Überlebende des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU), auf der Flucht, bevor sie sich am 8. November 2011 in Jena den Behörden stellte. Am 17. Verhandlungstag im Prozeß gegen Zschäpe und andere wurde am Montag vor dem Münchner Oberlandesgericht ein Kriminalbeamter befragt, der die erste Vernehmung der mutmaßlichen NSU-Mitgründerin durchführte. Vorgeworfen wurde ihr zu diesem Zeitpunkt schwere Brandstiftung am Zwickauer Versteck des NSU. Angaben zur Sache wollte sie damals zwar nicht machen, doch im Anschluß an die Vernehmung fand ein Gespräch zwischen Zschäpe, dem Kripobeamten und einer weiteren Polizistin aus Baden-Württemberg statt – im Arbeitszimmer des Zwickauer Beamten, »da man dort, im Gegensatz zum Vernehmungsraum, rauchen durfte«. Die beiden Polizisten faßten die Inhalte der halbstündigen Unterhaltung in einem Gedächtnisprotokoll zusammen.

Zschäpe, die am 4. November 2011 die gemeinsam mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt genutzte Wohnung in Brand gesetzt haben soll, schien ihm zunächst aussagewillig. Er habe damit gerechnet, daß sie beim Termin mit dem Haftrichter, der für den 9. November angesetzt war, reden wolle, so der Beamte. Dazu sollte es allerdings nicht kommen – das Gedächtnisprotokoll ist das einzige Dokument, das Einblick in Zschäpes Gedanken direkt nach Ende ihrer Flucht bietet. Sie habe Auskunft über ihr Zusammenleben mit Mundlos und Böhnhardt, »den beiden Uwes«, gegeben: Die beiden seien »ihre Familie gewesen«. Beide stammten, im Gegensatz zu ihr selbst, aus »behütetem Elternhause«. Daher sei ihr unklar, »warum sich beide so entwickelt haben«. Sie selbst habe während ihrer Flucht Selbstmordgedanken gehegt, allerdings nicht die Kraft gefunden, diese auch umzusetzen. Schließlich fuhr sie in ihre Heimatstadt Jena, um sich dort zu stellen. »Man hat ihr schon angemerkt, daß sie ein paar Tage unterwegs war und froh war, daß die Sache jetzt vorbei ist«, so der Beamte. Trotz ihrer offenkundigen Erschöpfung sei sie im Gespräch aufmerksam gewesen. Das wurde von Zschäpes Anwalt Wolfgang Heer allerdings angezweifelt.

Besonders interessiert habe Zschäpe das Schicksal ihrer beiden Katzen, so der Beamte. Sie hatte die Tiere in Sicherheit gebracht, bevor das Feuer in der Wohnung ausbrach, nach ihrer Flucht waren sie in ein Tierheim gegeben worden. »Geht es ihnen auch wirklich gut?«, habe sie mehrfach wissen wollen. Ob sich die Angeklagte in gleichem Maße über das Wohlergehen der Menschen sorgte, die zur Brandzeit im Haus waren, wußte sich der Polizist nicht zu erinnern.

Doch neben den persönlichen Eindrücken, die die beiden Polizisten während ihrer Unterredung gewannen, ist die Episode ihrer Flucht aus weiteren Gründen interessant: Zwischen dem 4. und 8. November 2011 soll Zschäpe etliche Bekennervideo des NSU an verschiedensten Adressen in ganz Deutschland eingeworfen haben. Wenn ihr dies nachgewiesen werden kann, wäre Zschäpes Verteidigerteam in einer schwierigen Lage: Wer Bekennervideos verteilt, weiß auch von den Taten, die die Gruppe begangen haben soll.

Um die zweite Polizistin, die während des Gesprächs anwesend war, entspann sich ein Disput zwischen Bundesanwaltschaft und Nebenklage. Anwalt Thomas Bliwier, Vertreter der Hinterbliebenen von Halit Yozgat, wollte in Erfahrung bringen, warum der Thüringer Kripobeamte und eine Polizistin aus Baden-Württemberg, die mit den Ermittlungen im Mordfall Michèle Kiesewetter betraut war, Zschäpe nicht auch mit dem Mord an der Heilbronner Polizistin konfrontierten. Die eingeschränkte Aussagegenehmigung des Beamten verhinderte die Erhellung dieser wichtigen Frage, Gedächtnislücken taten ein Übriges. Die entwendete Waffe der getöteten Kiesewetter war im Wohnmobil in Eisenach gefunden worden, in dem Mundlos und Böhnhardt am 4. November 2011 Selbstmord begangen haben sollen. Nur kurze Zeit später soll Zschäpe das Versteck der Bande angezündet haben. Doch wie – und wann – konnte die Polizei eine Verbindung zwischen dem angeblichen Doppelselbstmord in Eisenach und dem Wohnungsbrand in Zwickau herstellen? Und weshalb war, binnen kürzester Zeit, eine Polizistin aus Baden-Württemberg zur Stelle, um in Thüringen eine mutmaßliche Brandstifterin zu vernehmen? Auf diese entscheidende Frage gab es am Montag in München keine Antwort.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 3. Juli 2013


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