Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Darum wird es noch harte Kämpfe geben"

Nebenklagevertreter im NSU-Prozeß wollen umfassend aufklären, die Bundesanwaltschaft geht weiter lediglich von einer dreiköpfigen Terrorgruppe aus. Ein Gespräch mit Alexander Hoffmann *


Rechtsanwalt Alexander Hoffmann ist Nebenklagevertreter im Prozeß um die Morde und Anschläge der Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU). Seine Mandantin wurde am 9. Juni 2004 bei dem Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße verletzt.


Eine Verurteilung der mutmaßlichen NSU-Terroristin Beate Zschäpe wegen versuchten Mordes gilt als wahrscheinlich. Sie soll den Tod einer 89jährigen Nachbarin in Kauf genommen haben, als sie 2011 das Versteck der Gruppe anzündete. An den Tatorten der Morde und Anschläge in den Jahren 2000 bis 2007 soll sie aber nicht gewesen sein. Ihre Anwälte stellen sogar in Frage, daß sie davon wußte. Nach welchen Kriterien könnte ihr die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nachgewiesen werden – gehen Sie davon aus?

Das halte ich für relativ wahrscheinlich. Es hat zwar noch keine wirkliche Beweisaufnahme zur terroristischen Vereinigung an sich gegeben, aber die Kriterien für eine Mitgliedschaft nach Paragraph 129a sind nicht so hoch. Was sich beweisen lassen wird, was auch in der Aussage des mutmaßlichen NSU-Unterstützers Holger Gerlach deutlich wurde, ist, daß sie klare Aufgaben hatte, daß sie das Geld verwaltet hat, daß sie zur Tarnung der gemeinsamen Wohnung Kontakte gepflegt hat. Das kann schon leicht für die Mitgliedschaft reichen. Problematischer ist der Nachweis des Anklagevorwurfs der Mittäterschaft bei sämtlichen NSU-Morden. Da sind wir erst ganz am Anfang. Das wird die meiste Zeit in Anspruch nehmen.

Sie sprechen von den Aussagen, die Holger Gerlach gegenüber der Polizei gemacht hat. In seiner Erklärung vor Gericht hat er das nicht in dieser Form wiederholt. Er wollte auch keine Fragen beantworten. Inwieweit setzt das den Beweiswert herab?

Erst einmal gar nicht. Es ist ja ein Protokoll vorhanden – und die Erinnerung von Polizeibeamten und Staatsanwälten, die ihn vernommen haben. Durch deren Vernehmung konnten Gerlachs Aussagen vor Gericht eingeführt werden. Daß er jetzt keine Angaben macht, hat wohl damit zu tun, wie weit ihm entgegengekommen wird – ob sein Beitrag zur Klärung des Prozeßstoffes aus seiner Sicht angemessen durch Strafmilderung belohnt wird. Im Moment ist der Gehalt der Aussagen von Gerlach im Ermittlungsverfahren noch nicht so groß, daß es zu einer so erheblichen Strafmilderung kommen kann, wie er sich das vielleicht vorstellt. Deshalb halte ich es auch für wahrscheinlich, daß er noch weitere Aussagen machen wird.

Besteht dann nicht die Gefahr, daß er schlicht und einfach etwas sagt, von dem er denkt, daß Bundesanwaltschaft und Richter es hören wollen, egal, was davon stimmt?

Deshalb haben wir als linke Strafverteidiger die Kronzeugenregelung immer abgelehnt.

Die Bundesanwaltschaft betont immer wieder, die terroristische Vereinigung NSU habe nur drei Mitglieder gehabt – demnach ist Zschäpe seit dem Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die einzige Überlebende. Wie plausibel klingt das aus Ihrer Sicht?

Ich halte das für wenig plausibel. Das näher zu beleuchten, wird noch ein wichtiger Bereich unserer Tätigkeit als Nebenklagevertreter. Die Bundesanwaltschaft hat aber jetzt schon angekündigt, daß sie jede Beweisaufnahme abblocken und verhindern will, die über die Anklage hinausgeht, zum Beispiel um darzulegen, daß auch andere Personen in dieser Vereinigung eine Rolle gespielt haben. Darum wird es noch harte Kämpfe geben.

In welcher Rolle sehen Sie Ralf Wohlleben, der wegen Beihilfe zum Mord angeklagt ist, von der Bundesanwaltschaft aber nicht als NSU-Mitglied gesehen wird?

Es wird in der Beweisaufnahme immer deutlicher, daß er eine viel zentralere Rolle hatte als zunächst angenommen. Er war offensichtlich sehr nah an der Gruppe dran. Im Rahmen der weiteren Beweisaufnahme könnten sich zusätzliche Anhaltspunkte dafür ergeben, daß er Mitglied war. Aber das wird sich noch zeigen.

Vom NSU-Prozeß gibt es kein wortgetreues Protokoll, da eine Tonaufzeichnung als Hilfsmittel abgelehnt wurde. Welche Probleme könnten daraus noch erwachsen?

Das ist ein Grundproblem des bundesdeutschen Strafprozesses. Die Strafprozeßordnung sieht keine Aufzeichnung und auch kein Wortprotokoll vor, sondern nur ein zusammenfassendes Protokoll, das von einer Gerichtsperson angefertigt und vom Vorsitzenden kontrolliert wird. Die Vorschriften, die es ermöglichen, einzelne Sätze zu Protokoll nehmen zu lassen, sind sehr eng gefaßt. Es wird meistens abgelehnt. Wir erleben es in Strafprozessen ständig, daß Dinge im Protokoll stehen, die niemals so gesagt worden sind – und es gibt dann praktisch keine Möglichkeit zu beweisen, daß der Protokollant etwas falsch gemacht hat oder der Richter etwas anderes hineindiktiert hat, als wir alle mitgeschrieben haben. So ein Gerichtsprotokoll ist nur unter ganz eng gefaßen Voraussetzungen im nachhinein zu ändern. Die Tatsache, daß der Vorsitzende ein Mitschneiden der Hauptverhandlung abgelehnt hat, gibt ihm einen großen Spielraum, die Zeugenaussagen so ins Protokoll zu nehmen, wie er sie verstanden hat. Aber damit befindet er sich im Einklang mit der gesamten bundesdeutschen Rechtsprechung. Es wird womöglich großes Entsetzen geben, was dann im Urteil steht, obwohl es so gar nicht gesagt wurde. Die Tätigkeit von Verteidigern und Nebenklagevertretern ist stark darauf ausgerichtet, festzuhalten, was gesagt wurde.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 7. August 2013


Zurück zum NSU-Prozess

Zurück zur Homepage