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In den Dreck gezogen

Geschäftspartner des NSU-Mordopfers Theodoros Boulgarides redet im Prozeß Klartext über Polizeiarbeit. Damaliger Ermittler meldet sich krank

Von Claudia Wangerin, München *

Der Schlüsseldienstladen im Münchner Westend war erst 14 Tage vor dem Tod des Mitinhabers Theodoros Boulgarides eröffnet worden. An der Außenbeschriftung deutete nichts auf die griechische Herkunft des 41jährigen hin, der am 15. Juni 2005 das siebte Opfer der rassistischen Mordserie wurde, zu der sich Jahre später der »Nationalsozialistische Untergrund« (NSU) bekannte. »Schlüsselwerk OHG«, eine Festnetztelefonnummer und das Serviceangebot waren dort weiß auf blauem Grund zu lesen. »Es war auch gar nicht geplant, daß der Theo an diesem Tag da war«, sagte sein damaliger deutscher Partner Wolfgang F. am Dienstag vor dem Oberlandesgericht München. Der Tatort liegt an der vielbefahrenen Trappentreustraße, direkt vor dem Laden befand sich eine Bushaltestelle. Als auf Boulgarides geschossen wurde, war es noch hell. Sein Partner fand ihn an dem Sommertag gegen 19 Uhr und verständigte die Notrufzentrale. Bei Tageslicht habe man von außen im Inneren des Ladens nicht viel erkennen können, erklärte Wolfgang F. Seine Zeugenaussage wirft einmal mehr die Frage auf, wie der NSU seine Opfer auswählte. Und sie macht deutlich, wie unwahrscheinlich es ist, daß drei Neonazis, die damals im sächsischen Zwickau gelebt haben sollen, von sich aus und ohne lokale Helfer auf dieses Geschäft gekommen sein sollen. Vom mutmaßlichen NSU-Kerntrio lebt nur noch Beate Zschäpe, ihre vier Mit­angeklagten gelten als Helfer, keiner von ihnen stammt aus Bayern. Aber zumindest André Eminger, der sich wie Holger Gerlach und Carsten S. auf freiem Fuß befindet, leugnet seine engen Beziehungen zu Gesinnungsfreunden aus München und Umgebung nicht, sondern zeigt sich offen mit ihnen. Seit wann die Kontakte bestehen, ist indessen unklar.

Von der Polizei hatten die Mörder von Theodoros Boulgarides im Jahr 2005 jedenfalls nichts zu befürchten. Wolfgang F. hingegen wurde mehrfach vorgeladen. In der Verhandlung sprach er gestern von Schikane. »Ich habe es auch selber nicht verstanden, warum ich immer wieder dieselben Fragen beantworten sollte«, sagte er. Die Beziehung zu seiner langjährigen Freundin sei daran zerbrochen, außerdem habe er Kunden verloren. Die Polizei habe immer wieder gefragt, »wie wir zueinander standen, ob mein Kollege sexsüchtig sei oder spielsüchtig«. Sein Fazit: »Die wollten uns in den Dreck ziehen, das haben sie auch geschafft.« Über seinen Partner hatte er in den Verhören zu Protokoll gegeben: »Er war der freundlichste Mensch, den man sich nur vorstellen kann.« Vor Gericht beschrieb er ihn als »gelassene Person, immer auf Frieden ausgerichtet«.

Obwohl zum Zeitpunkt des Mordes bereits sechs Männer türkischer und kurdischer Herkunft in verschiedenen Städten mit derselben Waffe erschossen worden waren, verdächtigte die Polizei auch Boulgarides Ehefrau Yvonne einer Beziehungstat. »Totale Zerstörung« der Familie sei das Resultat gewesen, so F.

Der damalige Hauptsachbearbeiter des Mordfalls, Kriminalhauptkommissar Mathias Blumenröther, hatte sich für diese Prozeßwoche krank gemeldet – er werde voraussichtlich länger krank sein, sagte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl am Dienstag. Die Chronologie der juristischen Aufarbeitung der Mordserie ist ohnehin durcheinander geraten, da der Prozeß mehrfach wegen Anträgen der Verteidigung unterbrochen und Zeugenvernehmungen verschoben werden mußten.

So sprang das Gericht in dieser Woche vom dritten zum siebten NSU-Mord. Zwischendurch war am Dienstag vormittag noch einmal der Brand in der Zwickauer Frühlingsstraße an der Reihe, den Beate Zschäpe nach dem mutmaßlichen Selbstmord ihrer Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am 4. November 2011 gelegt haben soll, um in der gemeinsamen Wohnung Beweismittel zu vernichten.

Die Verteidigung des Mitangeklagten Ralf Wohlleben, dem Beihilfe zum Mord vorgeworfen wird, interessierte sich vor allem für die Fundsituation der Waffen im Brandschutt vor dem Haus. Rechtsanwältin Nicole Schneiders, die Wohlleben noch aus alten Zeiten im NPD-Kreisverband Jena kennt, fragte den Brandermittler Frank Lenk im Zeugenstand nach der Arbeitsrichtung des Baggers; ihr Kollege Olaf Klemke monierte, aus den Akten sei nicht ersichtlich, welcher Beamte welche Waffe gefunden habe. Der Brandermittler versicherte, es existiere ein Dokument, in dem das stehe. Es sei an das Bundes­kriminalamt weitergegeben worden. Das Areal sei während der Aufräumarbeiten bewacht gewesen, die Waffen seien aber nicht an ihrem genauen Fundort fotografiert worden.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 25. September 2013


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