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Pogromstimmung in Wolgast

Aggressive Drohungen gegen Asylbewerber in Ostvorpommern

Von Mirko Knoche *

Sie wollen »Kanaken vertreiben« und ein »Asylantenheim anstecken«. Das ist die Realität in einer ostdeutschen Plattenbausiedlung – Wolgast-Nord im Spätsommer 2012. Ein NDR-Kamerateam hat sich dort umgesehen und mit dem örtlichen Mob über eine geplante Asylbewerberunterkunft gesprochen. Das Magazin »Panorama 3« hatte den Bericht am Dienstag abend gesendet. Die Stimmung erinnert an Rostock-Lichtenhagen vor 20 Jahren.

Die Fernsehreporterin zeigt auf ein Graffiti: »heute sind wir tolerant, morgen fremd im eigen Land« (sic). Danach befragt sie eine Gruppe von Anwohnern, die sich um einen Hauseingang verteilt, um deren Meinung zum Schriftzug. Eine voluminöse Frau in mittlerem Alter hält sich bereits jetzt für »fremd im eigenen Land«. »Reicht es nicht, daß die Kanaken schon hier sind?« Die Flüchtlinge »sollen bleiben, wo sie hergekommen sind«, meint die Plattenbaubewohnerin und lacht laut auf. Der Landkreis Ostvorpommern hat den Ort für das Asylbewerberheim ausgesucht, weil er sich »mitten in der Stadt und nicht irgendwo draußen – jwd – befindet«, sagt Sozialamtsleiter Gerd Hamm. So ließen sich die künftig bis zu 200 Asylbewerber »ins ganz normale Leben einbinden«. Der Vorwand für die Ressentiments der Anwohner: Die Asylbewerber würden mit renovierten Wohnungen und neuen Haushaltsgeräten ausgestattet, während die heimischen Hartz-IV-Bezieher monatelang um eine neue Waschmaschine betteln müßten. So erklärt ein bulgarischer Imbißbesitzer, sein Gast fühlt sich ungerecht behandelt, weil er ein halbes Jahr auf eine neue Badewanne gewartet habe.

Der Bürgermeister von Wolgast tritt demonstrativ den Gegenbeweis an. Ohne Parteibuch war Stefan Weigler 2008 von der Linkspartei aufgestellt worden. Zur Kreistagswahl 2011 trat er dann als unabhängiger Kandidat in Ostvorpommern an. Vor der Kamera präsentiert Weigler einen Aufenthaltsraum: »kein Fernseher, nichts bis auf zwei Tische und vier Stühle«. Im Schlafraum ist ein Doppelstockbett zu sehen, »das sind die Wohnzimmerschränke«, sagt der Bürgermeister und weist auf eine Reihe von Metallspinden. Das sei »weniger als spartanisch, von Luxus kann hier keine Rede sein«. Offensichtlich will Weigler die rassistischen Heißsporne beschwichtigen, obwohl das so viele nicht seien.

Zwei Jugendliche beschweren sich gegenüber der NDR-Reporterin, daß sie aus besagtem Gebäudeteil aus- und in die Nachbarschaft umziehen mußten. »Mit denen passiert hundertprozentig was«, sagt einer der beiden. Man hätte die Asylbewerber lieber über die Stadt verteilen sollen, jetzt seien sie »leichte Beute«. Der andere ergänzt, es gebe Gerüchte, man wolle »den Block anstecken«. Später erzählt ein kurdischer Neuankömmling im Lager, er habe mitgehört, wie sich drei Männer vor der Tür darüber unterhalten hätten, wie das Haus am besten anzuzünden sei. »Du lebst nicht mehr lange«, habe einer von ihnen dann gedroht.

Bürgermeister Weigler gibt sich hilflos: »Was soll ich tun? Soll ich die alle wegprügeln? Wer eine andere Meinung hat, besitzt das Recht, sie zu äußern.« Nein, Rostock-Lichtenhagen werde sich nirgendwo wiederholen … »hoffentlich, hoffentlich«, läßt der Stadtvorsteher dann doch seine tiefe Sorge durchblicken. Für eine Stellungnahme war er am gestrigen Mittwoch nicht zu erreichen

www.tinyurl.com/wolgast

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 20. September 2012


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