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Heraus zum Massenstreik

Gegen die Machtübertragung an Hitler vor 80 Jahren: Einwohner im schwäbischen Mössingen protestieren am 31. Januar 1933 mit einem Generalstreik

Von Esther Broß *

Unter der Losung »Heraus zum Massenstreik« legen Männer und Frauen aus dem kleinen schwäbischen Dorf Mössingen am 31. Januar 1933 die Arbeit nieder und demonstrieren gegen die Machtübertragung an die Regierung Adolf Hitlers. Während die Arbeiterbewegung mit den Parteien SPD und KPD und die starken Gewerkschaften in der Weimarer Republik nicht gemeinsam zu handeln vermochten und damit fast kampflos die Machtübertragung hingenommen haben, folgt man einzig in Mössingen dem Streikaufruf der KPD, zunächst nicht ahnend, daß es eine isolierte Aktion bleiben wird. Den Ausspruch einer Mössingerin »Do isch neana nonz gwäa als wie do« übernimmt die bis heute als Standardwerk über den Generalstreik geltende Publikation Tübinger Kulturwissenschaftler im Titel: »Da ist nirgends nichts gewesen außer hier.«

Vorgeschichte

Den bäuerlich, handwerklich und gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch die lokalen Textilbetriebe zunehmend auch industriell geprägten Ort erreichen um 1900 sozialdemokratische und genossenschaftliche Ansätze der traditionellen Arbeiterbewegung. In dem rund 4000 Einwohner zählenden Dorf werden Vereine und Genossenschaften gegründet: Arbeiterturnverein, Arbeiterradfahrverein, Arbeitergesangsverein und der örtliche Konsum mit Filialen in den umliegenden Ortschaften. Zuvor in der SPD organisiert, radikalisieren sich die Mössinger vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Weltkrieges und der Novemberrevolution. Sie treten mehrheitlich zur USPD und später zur KPD über. Von da an spielt die SPD vor Ort nur noch eine untergeordnete Rolle. Bis 1933 erringt die KPD im »roten Mössingen« bei Reichstagswahlen stets rund 30 Prozent der Stimmen. Im Gemeinderat ist ihre Arbeit mehr von örtlichen Bedürfnissen und Gegebenheiten als von der Parteilinie geprägt. Mit etwa 20 Mitgliedern bleibt sie als Kaderpartei organisiert, sie übt aber genau die »Hegemonie« aus, von der Antonio Gramsci spricht. Die Genossen wirken als Generalinstanz in allen politischen und kulturellen Fragen – für Mitglieder wie für Nichtmitglieder.

Weltwirtschaftskrise, Inflation und die einhergehenden Veränderungen der politischen Landschaft im Deutschen Reich wirken sich ab 1929 auch auf die Arbeit der Mössinger Kommunisten aus: Sie geben die ortszentrierte, »eigenständige« Politik auf. Die Übernahme der Sozialfaschismusthese, in der die SPD als Wegbereiter des Faschismus galt, sei hierfür exemplarisch genannt. Dennoch schließen sich, angesichts der drohenden faschistischen Gefahr, 1932 in der lokalen »Antifaschistischen Aktion« KPD, SPD und die Gewerkschaftsorganisationen zusammen. Die Zahl der politischen Veranstaltungen und der Widerstand gegen die aufkommende NSDAP nehmen zu.

Wie bei einem Festzug

Als am 30. Januar 1933 gegen 12 Uhr im Radio gemeldet wird, daß Hitler zum Reichskanzler ernannt worden ist, beruft der Mössinger KPD-Vorsitzende für den Abend eine Versammlung in der Turnhalle der Arbeitervereine ein, an der rund 200 Menschen aus dem Ort und der näheren Umgebung teilnehmen. Der Streikaufruf der KPD Württemberg erreicht Mössingen noch vor dem nächsten Morgen und wird sogleich vor den Betrieben verteilt. Am Mittag trifft man sich wieder in der Turnhalle und beschließt, zur Textilfabrik Pausa zu ziehen, in welcher gerade über die Streikbeteiligung beraten wird: Die Mehrheit stimmt für den Streik. Politisch vorausschauend gibt die jüdische Inhaberfamilie der Belegschaft für den Nachmittag frei. So verstärkt ziehen die Streikenden singend, trommelnd und mit Fahnen wie bei einem Festzug zur Trikotfabrik Merz, in der der Aufruf kaum Resonanz findet. Die Angst um die Existenz ihrer Familien hält vor allem die Frauen von einer Beteiligung ab. Einzelne Demonstranten dringen in die Fabrikräume ein, stellen Motoren ab und helfen nicht nur mit lautem Rufen nach. Anschließend geht es zur Buntweberei Burkhardt, man findet die Eingänge gründlich verschlossen vor und entschließt sich letztlich, weiterzumarschieren. Rund 800 Menschen zählt der Streikzug. Auch wenn es vorher schon Informationen und Anzeichen gibt, daß der Aufruf zum Ausstand andernorts nicht befolgt wird, wird die den Streikenden erst richtig bewußt, als die herbeigerufene Einheit der Schutzpolizei aus Reutlingen eintrifft. Bei einem landesweit befolgten Streikaufruf hätte diese nämlich bei sich zu Hause genug zu tun gehabt. Der Streikzug löst sich innerhalb kürzester Zeit auf, die Verhaftungswelle beginnt noch am selben Abend.

Verhaftungen und Folgen

Der Denunziation war nun Tür und Tor geöffnet, schließlich kannte jeder jeden, und sicher wurden dabei auch alte Rechnungen beglichen. In den folgenden Tagen kommt es zu zahlreichen Festnahmen, den tatsächlich oder auch nur mutmaßlich Streikenden wird von den »Fabrikherren« gekündigt. Insgesamt werden 58 Menschen verhaftet. Angeklagt werden 98 Personen, darunter vier Frauen. Dabei wird gegen die sechs mutmaßlichen »Rädelsführer« ein separater Prozeß wegen der »Vorbereitung zum Hochverrat« eröffnet. Den anderen Angeklagten wird leichter und schwerer Landfriedensbruch angelastet. Verurteilt werden 81 Menschen, 74 davon erhalten Gefängnisstrafen von drei Monaten bis zu drei Jahren.

Trotz dieser Vergeltungsaktionen, zu denen alsbald auch die Schließung der Turnhalle und das Verbot der Arbeitervereine gehört, ist der Widerstand der Mössinger Antifaschisten weiterhin ungebrochen. So erreicht die KPD bei der Reichstagswahl im März 1933 in Mössingen – unter Berücksichtigung der fehlenden Stimmen der Inhaftierten – ein noch annähernd gleiches Ergebnis wie in den Vorjahren und kommt auf 21,1 Prozent.

Die Aburteilungen der Antifaschisten hatten allerdings über die Freiheitsentziehung hinaus für sie und ihre Familien noch weitere, schwerwiegende Folgen. So haben viele ihren Arbeitsplatz verloren, Handwerksbetriebe kommen zum Erliegen, Zwangsvollstreckungen finden statt, weil die Betroffen nicht mehr in der Lage sind, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Hausdurchsuchungen, weitere Denunziationen, Verhaftungen und Gefängnisaufenthalte wegen sogenannter staatsfeindlicher Äußerungen folgen in den nächsten Jahren. Viele versuchen, sich dem faschistischen Regime gegenüber weitgehend passiv zu verhalten. Die Nazigegner helfen sich untereinander. Um weiteren Repressionen und Schikanen zu entgehen, werden die Kinder bewußt unpolitisch erzogen. Es wird von einem Fall im März 1933 berichtet, der gerade noch glimpflich ausging. Die Kinder von Else K. seien veranlaßt gewesen, bei geöffnetem Fenster »kommunistische Kampflieder« zu singen, wann immer die Nachbarn zu sehen waren. Wiederholt hätten ihre Kinder im Gäßle gesungen: »Der Hitler goat [geht] a Gäßle na – Der Thälmann hinten-drei – Der Thälmann druckt em de Gurgel zu – Heil-heil-heil.« Vereinzelt werden antifaschistische Flugblätter verteilt, die den Ort von der Schweiz aus erreichen. Paul Ayen wird dabei 1936 erwischt, kann sich seiner Verhaftung durch die Flucht in die Schweiz entziehen und schließt sich wie der Mössinger Wilhelm Steinhilber den Internationalen Brigaden in Spanien an.

Späte Rehabilitierung

1945 ist der Ort nach wie vor gespalten. Von den 800 zur Wehrmacht eingezogenen jungen Menschen sind 380 auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges gefallen, darunter 14 Teilnehmer des Generalstreiks. Zwar konnte die KPD nach ihrer Wiederzulassung noch einmal an ihre Wahlerfolge vor 1933 und zunächst scheinbar an ihre alte Stärke anknüpfen. Das sozio-kulturelle Dorfgefüge, wie es vor 1933 bestanden hatte, war aber gründlich zerstört. Die Partei erreicht nur noch eine kleine Gruppe ideologisch gefestigter Menschen ihres alten Umfeldes.

Nach ersten erfolgreichen Haftentschädigungsklagen gegen das Land Baden-Württemberg stellte das Oberlandesgericht Stuttgart in einem mit starker Unterstützung der VVN geführten Prozeß mit dem Urteil vom 25. November 1955 letztinstanzlich fest: » (…) ein Generalstreik, zu dessen Durchführung ein Kläger straffällig wurde, wäre ein geeignetes und dem Ernst der politischen Lage am 31.01.1933 angepaßtes Mittel gewesen, um die eben erst an die Macht gelangte Hitler-Regierung zum Rücktritt zu zwingen«.

In Mössingen selbst wird diese späte, von der Justiz anerkannte Legitimation des Generalstreiks leider bis heute nicht von allen geteilt (siehe den folgenden Kasten).

Da ist nirgends nichts gewesen außer hier. Das »rote Mössingen« im Generalstreik gegen Hitler. Geschichte eines schwäbischen Arbeiterdorfes. Neu herausgegeben von Bernd Jürgen Warneken und Hermann Berner. Talheimer Verlag 2012, 360 Seiten, 32 Euro

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 30. Januar 2013


Ausstellung und Demonstration

Zum 80. Jahrestag bekennt sich die Stadt Mössingen wie nie zuvor zum Generalstreik am 31. Januar 1933, begreift dies gar als Alleinstellungsmerkmal des Ortes. Konservative Kräfte versuchen dagegen ihre von der Totalitarismustheorie geleitete Einschätzung und Deutung des Generalstreiks als »differenzierte Geschichtsbetrachtung« zu verkaufen. Das beginnt mit dem erfolgreichen Antrag der Gemeinderatsfraktion der Freien Wählervereinigung (FWV), in den Haushalt Mittel zu einer erneuten wissenschaftlichen Untersuchung einzustellen. Diese sollte unter anderem herausfinden, welche Gruppierung bzw. Partei im Deutschen Reich zu diesem Zeitpunkt die Demokratie unterstützt oder bekämpft habe, und die Frage beantworten, was gewesen wäre, hätte der Generalstreik Erfolg gehabt. Dahinter stehen Einschätzungen, eine Verhinderung des Faschismus hätte womöglich zu einem anderen, nämlich »bolschewistischen Unrechtsstaat« geführt Das Vorhaben wurde nach einem Gutachten des Tübinger Historikers Prof. Ewald Frie, das von der Stadtverwaltung in Auftrag gegeben wurde, in einer späteren Abstimmung im Gemeinderat vorerst wieder abgeblasen. Dies hindert eine kleine Gruppe von Gemeinderäten der CDU und FWV nicht, weiter Stimmung zu machen – gegen das ihrer Meinung nach heroisierende und einseitige Gedenken an den Generalstreik.

CDU-Fraktionschef Andreas Gammel etwa erklärt Berichten der Lokalpresse zufolge: »Einen Generalstreik gegen die Machtergreifung der Nationalsozialisten hat es in Mössingen nie gegeben.« Was sich am 31. Januar 1933 abgespielt habe, sei »noch nicht einmal ein Streikle«, sondern eine »isolierte Aktion« der »Mössinger Kommunisten« gewesen: eine Demonstration, die schließlich gewalttätig eskaliert sei, berichtete tagblatt.de am 24. Januar.

Ungeachtet dessen wird am Donnerstag in der Kulturscheune die bis Ende 2013 laufende Ausstellung »Mössingen, 31. Januar 1933« eröffnet – mit einem Festvortrag von Prof. Ewald Frie und Grußworten des Oberbürgmeisters Michael Bulander und von Landrat Joachim Walter. Am Freitag (19.30 Uhr) referiert Ernst Böttcher, Landesgerichtspräsident i. R., über »Das Recht des NS-Staates ist Unrecht – Warum die Verurteilung der Generalstreik-Teilnehmer nicht rechtmäßig ist«. Weitere Veranstaltungen: www.moessingen.de/de/Freizeit+Tourismus/Museen/Kulturscheune

Für Samstag, 2. Februar, rufen IG Metall, ver.di, DGB, GEW und VVN-BdA unter dem Motto »Politischer Streik hätte Hitler gestürzt und den Krieg verhindert« zur Demonstration in Mössingen auf. Start ist 14 Uhr am Jakob-Stotz-Platz. (jW)




Hitler und die CDU

Bundesweit wird heute an die Machtübertragung an die Faschisten vor 80 Jahren erinnert. In Mössingen wettern Christdemokraten lieber gegen den Widerstand

Von Rüdiger Göbel **


Am 30. Januar 1933 hatte der damalige Reichspräsident Paul von Hindenburg in Berlin Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt und damit dam faschistischen Terrorregime endgültig zur Herrschaft verholfen. Mit zahlreichen Veranstaltungen wird am heutigen Mittwoch bundesweit an die Machtübertragung vor 80 Jahren erinnert. Der Bundestag kommt zu einer Gedenkfeier für die Millionen Toten zusammen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eröffnet im Dokumentationszentrum »Topographie des Terrors« eine Ausstellung, die den Weg in die Diktatur nachzeichnet. Vor dem Brandenburger Tor in Berlin sollen Litfaßsäulen aufgestellt werden, auf denen die ­Biographien von Opfern abgebildet werden.

Die schwäbische Stadt Mössingen stellt dagegen den Widerstand ins Zentrum, würdigt mit einer Ausstellung und einer großen Veranstaltungsreihe den Generalstreik, mit dem die örtliche Bevölkerung bereits am 31. Januar 1933 gegen die Nazis protestiert hatte. Die regionalen Gewerkschaftsgliederungen von ver.di, IG Metall, GEW und der DGB rufen zusammen mit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) für Samstag zu einer Demonstration unter dem Motto »Politischer Streik hätte Hitler gestürzt und den Krieg verhindert« auf. Ihre Parolen: »Empört euch! Für ein uneingeschränktes Versammlungs- und Streikrecht!«, »Für eine Demokratisierung der Wirtschaft!« und »Nie wieder Faschismus und Krieg!«

Dagegen machen die örtliche CDU und die Freie Wählervereinigung (FWV) Stimmung. Sie ziehen gegen die Würdigung der Nazigegner zu Felde. CDU-Fraktionschef Andreas Gammel stellt den Aufstand ganz in Abrede. [Siehe das Schreiben weiter unten im Kasten.] Was sich damals abgespielt habe, sei »noch nicht einmal ein Streikle« gewesen, sondern eine »isolierte Aktion« der »Mössinger Kommunisten«, eine Demonstration, die gewalttätig eskaliert sei. In einem jW vorliegenden Schreiben an die Gewerkschaften begründet der Geschichtsrevisionist die Absage des CDU-Stadtverbandes an ein gemeinsames Erinnern, und warum er nicht in den »allgemeinen Heldenjubel« einstimmen mag: »Das eigentliche Ziel der Streikenden war nicht die Verteidigung der Weimarer Verfassung. Im Gegenteil sollte diese zugunsten einer Räterepublik gestürzt werden.« Und wer könne schon sagen, »daß ein Scheitern der Machtergreifung Hitlers am 30.1.33 definitiv das ›Dritte Reich‹ und den Weltkrieg verhindert hätte«. Das sei plakativ, »aber historisch unhaltbar«. Niemand könne sagen, »wieso es keinen eventuell folgenden weiteren Versuch einer Machtergreifung der Nazis hätte geben können, oder ob nicht eine ganz andere (vielleicht linke?) Diktatur mit ähnlich furchtbaren Folgen entstanden wäre«. Außerdem sei »Anfang 1933 noch völlig unvorhersehbar« gewesen, wieviel aus Hitlers »Mein Kampf« tatsächlich umgesetzt werden würde.

Zusammen mit den FWV-Räten Marc Eisold, Max Göhner und Elmar Scherer verbreitet Gammel schließlich via Internet seine eigenen »Fakten zum Mössinger Generalstreik-Versuch von 1933«. Das Quartett kämpft dort gegen die »Mär vom roten Mössingen« und setzt munter den mörderischen Hitler-Faschismus mit der DDR gleich. Die »Blogger gegen den Generalstreik«, wie das lokale Tagblatt die Gruppe süffisant nennt, fürchten, aus der schönen »Blumenstadt Mössingen« drohe in Zukunft eine »neue Marke« zu werden, nämlich »Mössingen, die Stadt des Aufstands«.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 30. Januar 2013

Dokumentiert: Aus dem Schreiben des CDU-Stadtverbandes Mössingen

DGB, GEW, ver.di, IG Metall und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) rufen für den 2. Februar gemeinsam zu einer Demonstration in Mössingen auf. Andreas Gammel, Vorsitzender des CDU-Stadtverbandes, erklärte den Veranstaltern, warum seine Partei diese nicht unterstützen will:

Seitens des CDU-Stadtverbandes Mössingen teile ich Ihnen mit, daß wir uns definitiv NICHT an der Veranstaltung am 2.2.2013 beteiligen werden und auch nicht zur Beteiligung aufrufen werden. (…)

Keiner verkennt das Unheil, das sich aus der Machtübernahme der Nazis entwickelt hat. Damit ist, im Nachinein betrachtet, alles, was diese Machtergreifung hätte verhindern können, á priori gut. Daß 1933 noch keiner wußte, was im Laufe der nächsten 12 Jahre geschehen sollte, ist eine Banalität, die Sie aber bei Ihrer Wertung der Ereignisse des 31.1.33 völlig ausgeblendet haben. Zwar ist (wieder aus der Sicht der Nachkriegszeit) aus Hitlers »Mein Kampf« alles bis hin zu Weltkrieg und Holocaust herauszulesen. Aber wieviel aus »Mein Kampf« tatsächlich umgesetzt werden würde, war Anfang 1933 noch völlig unvorhersehbar.

Sie behaupten, daß ein Scheitern der Machtergreifung Hitlers am 30.1.33 definitiv das »Dritte Reich« und den Weltkrieg verhindert hätte. Das ist plakativ, aber historisch unhaltbar, denn Sie bleiben die Antwort schuldig, wieso es keinen eventuell folgenden weiteren Versuch einer Machtergreifung der Nazis hätte geben können, oder ob nicht eine ganz andere (vielleicht linke?) Diktatur mit ähnlich furchtbaren Folgen entstanden wäre. Wer so vereinfacht, der muß natürlich die Mössinger Streikaktion glorifizieren.

Wer sich dagegen die Mühe macht, etwas in die Tiefe zu gehen, kann leicht erkennen: das eigentliche Ziel der Streikenden war nicht die Verteidigung der Weimarer Verfassung. Im Gegenteil sollte diese zugunsten einer Räterepublik gestürzt werden. Ihr Flugblatt übergeht dies einfach. Aber wer zudem, wie viele alte Mössinger, das gewaltsame Vorgehen mancher Streikführer in der Firma Merz miterlebt hat oder aus erster Hand geschildert bekam, der kann dies nicht einfach achselzuckend beiseite schieben. Für diese Menschen ist die unreflektierte Heldenverehrung, die aus Ihrem Aufruf spricht, nur schwer zu ertragen. Und auch viele der Menschen, die die Verwirklichung der Ziele der Mössinger Streikführer in den Jahren nach 1945 (in der DDR nämlich) erlebt haben, sind entsetzt und zurecht verletzt von der Einseitigkeit Ihrer Sichtweise. (…)




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