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Aus den Augen, aus dem Sinn

Mit dem Gedenken hat man sich in Mölln lange schwer getan. Ein Ortstermin 20 Jahre nach den rassistischen Brandanschlägen

Von Jörg Meyer und Maike Zimmermann *

Trauriger Gedenktag: Ende November 1992 zündeten Neonazis mit Molotow-Cocktails zwei Häuser in Mölln an. In der Ratzeburger Straße wurden mehrere Menschen schwer verletzt, in der Mühlenstraße starben drei Mitglieder der Familie Arslan. Das Gedenken gestaltete sich schwierig - ein Besuch nach 20 Jahren.

,»Was mein Ziel ist? Mein Ziel ist, dass die Opfer sprechen, sie sollten die Hauptrolle spielen«, sagt Ibrahim Arslan vor dem Kinosaal in Lübeck, und er hustet wieder. Seit dem Brandanschlag hat er den Husten. Am Anfang habe sein Vater Faruk gedacht, er huste »aus Trotz«, erzählt er in dem Film »Nach dem Brand«. Bei unzähligen Ärzten sei er gewesen, am Ende bei einem Psychologen, der ihm gesagt habe, der Husten sei psychosomatisch. Stunden hat er in der Küche des brennenden Hauses in der Mühlenstraße 9 in Mölln ausgeharrt. In der Nacht auf den 23. November 1992 haben zwei Neonazis das Haus angezündet. Seine Großmutter, die 51-jährige Bahide Arslan, die den damals Siebenjährigen in Decken gewickelt in die Küche brachte, starb und mit ihr Ibrahims zehnjährige Schwester Yeliz Arslan und seine 14-jährige Cousine Ayse Yilmaz, die den Sommer über aus der Türkei zu Besuch in Deutschland war.

Um 0.34 Uhr ging der erste Anruf bei der Freiwilligen Feuerwehr Mölln ein. Feuer in der Ratzeburger Straße. Die Feuerwehr war kaum fünf Minuten später vor Ort, da brannte es lichterloh, die Feuerwehr aus dem nahen Ratzeburg wurde alarmiert. Um 1.11 Uhr kam der Zweite Notruf - Mühlenstraße. Knapp drei Stunden später waren beide Brände unter Kontrolle. Bilanz der schrecklichen Nacht: drei Menschen tot, neun zum Teil schwer verletzt, zehn gerettet. Die Feuerwehrleute schrieben nun aus ihrer Erinnerung und Einsatzprotokollen einen Bericht von der Nacht. Mit Journalisten wollen sie nicht sprechen »aufgrund der unverändert nachwirkenden hohen emotionalen Betroffenheit«. Die Feuerwehr sah sich damals medial harten Anschuldigungen ausgesetzt.

Es ist eng zwischen den Fachwerkhäusern der Möllner Altstadt. Der Mühlenplatz ist angefüllt mit halb aufgebauten Fahrgeschäften und Futterbuden. Der Herbstmarkt steht an. Überall in den umliegenden Straßen wird gehämmert, aufgebaut. »Das ist für Mölln ein Großevent«, sagt Bürgermeister Jan Wiegels von der SPD. Es ist Anfang November 2012. Zwei Jahrzehnte sind seit den Brandanschlägen vergangen.

Den Möllner Herbstmarkt gibt es seit rund 450 Jahren, so auch 1992. Rund 40 Naziskins sind am Abend des 31. Oktobers 1992 dort, es kommt zu Auseinandersetzungen mit linken Jugendlichen, für einige Nazis endet der Abend im Krankenhaus. Am Tag hatte es in Mölln eine Demonstration gegeben. »Hoyerswerda, Rostock, Mölln? Ohne uns!« stand auf einem der Transparente, unterzeichnet von der Antifa Jugendfront Mölln (AJF). 400 Menschen waren auf der Straße, 30 Neonazis standen am Rand, es wurde gepöbelt und geschubst. »Das war für uns ein Indiz dafür, wie sicher sich die Nazis im öffentlichen Raum fühlen«, sagt Thorsten. 18 Jahre war er damals alt - einer der Älteren. Die AJF hatten sie einige Monate zuvor gegründet.

Lore Meimbach ** hat die Fotos von der Demo fein säuberlich in einen Ordner abgeheftet und beschriftet. Seit 30 Jahren wohnt sie in der Nähe von Mölln. Lore und ihr Mann Bernd sind in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) aktiv, früher haben sie sich in der Friedensinitiative engagiert. Mitte Oktober 1992 brennt in Mölln ein Kornspeicher, in dem Flüchtlinge untergebracht werden sollten. »Es zeichnete sich ja ab, dass was passiert. Wir haben beobachtet, dass die Stimmung immer weiter nach rechts ging.« Was Lore und Bernd beobachten, müssen Thorsten und die anderen von der AJF zuweilen direkt erfahren. Immer wieder kommt es in dieser Zeit in Mölln zu Schlägereien zwischen Naziskins und Antifas.

»Was wir gefühlt haben, als wir von dem Brandanschlag erfuhren? Wir waren wütend«, erinnert sich Thorsten. Gleich am nächsten Tag waren sie das erste Mal auf der Straße, organisierten die Großdemonstration am folgenden Samstag. »Wir haben damals darauf gedrängt, dass das eine Antifademo wird und kein Trauermarsch«, erinnert sich Bernd. »Wandelt Wut und Trauer in Widerstand«, lautete die Parole. »Macht mal stilles Gedenken und nicht mit Parolen und so, hieß es damals«, erzählen Lore und Bernd Meimbach.

Die Hamburger Rechtsanwältin Katrin Kirstein vertritt die Familie und ist Teil des Freundeskreises um die Arslans. Faruk kam im Jahr 2002 in die Kanzlei, in der sie arbeitete. »Bis auf Ibrahim hatte noch niemand aus der Familie die ihnen gesetzlich zustehende Opferentschädigungsrente bekommen«, erzählt Kirstein. Aus dem Mandat ist in den knapp zehn Jahren echte Freundschaft entstanden. Im Jahr 2003 fuhren sie erstmals gemeinsam zum Jahrestag der Brandanschläge nach Mölln. »Wir sind keine Unterstützerinnen«, darauf besteht Katrin Kirstein. »Wir sind verbunden über die gemeinsame politische Arbeit, und wenn ich sehe, wie mit den Arslans umgegangen wurde, dann betrifft das auch mich.« Oft wurde die Familie nicht zu den Vorbereitungen eingeladen, einmal kam der damals amtierende Bürgermeister im Jogginganzug zum Gedenken. Ibrahim Arslan hatte das in einem »Stern«-Interview kritisiert, was den Bürgermeister dazu veranlasst hat, einen Leserbrief zu schreiben. Er habe seine Amtsvorgänger gefragt, ob das stimme, sagt Jan Wiegels. Seit gut zwei Jahren ist er Bürgermeister in der Kleinstadt mit ihren 18 500 EinwohnerInnen. Beide hätten gesagt: »Frei erfunden.« So pietätlos wäre keiner. Doch den Jogginganzug haben nicht nur die Arslans gesehen.

Aber die haben gegenüber dem »Stern« darauf verzichtet, das zu bezeugen. »Das ist genau das Problem, dass der Familie nicht geglaubt wird.« Dieser Auftritt vor einigen Jahren habe ihr die Tränen in die Augen getrieben, sagt Katrin Kirstein.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 17. November 2012

** Anmerkung AGF: Hier muss es sich um einen Übermittlungsfehler handeln. Lore "Meimbach" heißt in Wirklichkeit Lore Meimberg.


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