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"Wir sehen uns in einer Doppelverantwortung und sind mit den Menschen in Israel und Palästina solidarisch" / "Wir werden uns nicht an der diesjährigen Fahrt einer 'Gaza-Flottille' beteiligen"

Die Linkspartei hat entschiedene Positionen zur Lösung des Nahost-Konflikts - und verwechselt dennoch Israel-Kritik mit Antisemitismus


Im Folgenden dokumentieren wir:

Dokumentiert (I):

Entschieden gegen Antisemitismus

Die Fraktion DIE LINKE hat in ihrer Sitzung am 7. Juni 2011 einstimmig folgenden Beschluss gefasst:

Die Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE werden auch in Zukunft gegen jede Form von Antisemitismus in der Gesellschaft vorgehen. Rechtsextremismus und Antisemitismus haben in unserer Partei heute und niemals einen Platz. Die Fraktion DIE LINKE tritt daher entschieden gegen antisemitisches Gedankengut und rechtsextremistische Handlungen auf. v Die Mitglieder der Bundestagsfraktion erklären, bei all unserer Meinungsvielfalt und unter Hervorhebung des Beschlusses des Parteivorstandes gegen Antisemitismus vom 21.Mai 2011:

Wir werden uns weder an Initiativen zum Nahost-Konflikt, die eine Ein-Staaten-Lösung für Palästina und Israel fordern, noch an Boykottaufrufen gegen israelische Produkte noch an der diesjährigen Fahrt einer 'Gaza-Flottille' beteiligen.

Wir erwarten von unseren persönlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Fraktionsmitarbeiterinnen und Fraktionsmitarbeitern, sich für diese Positionen einzusetzen.


Dokumentiert (II):

Position der Fraktion DIE LINKE zum Nahost-Konflikt

Beschluss der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag vom 20. April 2010

Für DIE LINKE gilt, dass Deutschland wegen der furchtbaren Verbrechen der Deutschen an den Jüdinnen und Juden während des Nationalsozialismus eine besondere Verantwortung gegenüber Israel und gegen jede Art von Antisemitismus, Rassismus, Unterdrückung und Krieg hat. Diese Verantwortung ist nicht relativierbar; sie schließt das Bemühen um einen palästinensischen Staat und die Garantie des Existenzrechts Israels ein.

Wir sehen uns in einer Doppelverantwortung und sind mit den Menschen in Israel und Palästina solidarisch. Eine einseitige Parteinahme in diesem Konflikt wird nicht zu seiner Lösung beitragen.

Für uns ist der Maßstab das internationale Völker- und Menschenrecht, das für alle Staaten und Konfliktparteien zu gelten hat. Jegliche Gewaltanwendung der beteiligten Parteien wird von uns verurteilt.

Die umfangreichen finanziellen Unterstützungen der Bundesregierung und der Europäischen Union für die Palästinenser können dazu beitragen, die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen und im Westjordanland abzufedern. Dennoch stellt die israelische Besatzung, die noch immer bestehende Abriegelung des Gazastreifens, die zu einem systematischen Mangel an Nahrungsmitteln, Brennstoffen und an elementaren technischen Mitteln führt, eine Kollektivstrafe für die 1,5 Millionen Menschen in Gaza dar, die das Völkerrecht ausdrücklich verbietet. Die Besatzung wird zwar mit diesem Geld erträglicher gemacht. Darin liegt jedoch ein grundsätzliches Dilemma: Humanitäre Hilfe ist notwendig, andererseits wird die Besatzung damit indirekt unterstützt. Es hat sich gezeigt, dass diese Geldzuwendungen einen politischen Prozess nicht ersetzen können. Es ist zu beklagen, dass die Bundesrepublik ebenso wie die anderen europäischen Staaten, die USA und die UNO Israel bei seinen fortgesetzten und anhaltenden Verstößen gegen das Völkerrecht und gegen das humanitäre Völkerrecht jahrzehntelang gewähren ließen. Aus dem jüngsten Krieg im Gazastreifen sind jetzt endlich die richtigen Schlüsse zu ziehen: Eine politische Wende ist erforderlich, um zu Frieden und Sicherheit zu gelangen.

Eine Lösung im israelisch-palästinensischen Konflikt ist nicht auf militärischem Wege zu erzielen, sondern nur durch ernsthafte und aufrichtige Verhandlungen zwischen allen Beteiligten, wie sie bisher trotz aller Konferenzaktivitäten nicht stattgefunden haben. Eine endgültige, gerechte und dauerhafte Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts wird nur erzielt werden, wenn die Zwei-Staaten-Lösung umgesetzt wird.

D.h.
  • die Schaffung eines souveränen palästinensischen Staates mit völkerrechtlich verbindlichen, von allen Beteiligten anerkannten, sicheren Grenzen, mit einem zusammenhängenden Territorium im Westjordanland auf der Grundlage der Grenzen von 1967, dem Gaza-Streifen und Ostjerusalem als Hauptstadt, einschließlich der Möglichkeit eines einvernehmlichen Gebietsaustausches mit Israel. Ferner muss der palästinensische Staat über wirtschaftliche und soziale Lebensfähigkeit und über die Kontrolle der eigenen Ressourcen, wie Land und Wasser sowie frei zugängliche und sichere Verkehrswege zwischen dem Westjordanland und dem Gazastreifen verfügen und
  • die Anerkennung eines sicheren Existenzrechts Israels und eines palästinensischen Staates von allen Beteiligten in völkerrechtlich verbindlich festgelegten sicheren Grenzen und
  • eine umfassende Regelung für alle palästinensischen Flüchtlinge auf der Grundlage der Resolution Nr. 194 der UN-Generalversammlung oder/und den Vorschlägen der Genfer Initiative. Dabei muss ein Weg zwischen Rückkehr und Entschädigung gefunden werden.
Forderungen

Erste notwendige Schritte auf dem Weg zu einer friedlichen Lösung:
  • der sofortige Stopp des Siedlungsbaus und der Landkonfiskation in den besetzten Gebieten einschließlich Ost-Jerusalems und seines Umlandes,
  • das sofortige Ende des palästinensischen Raketenbeschusses auf israelisches Territorium und der israelischen militärischen Angriffe auf palästinensisches Gebiet,
  • das Ende der Besatzungspolitik Israels, die Öffnung der Grenzen zum Gazastreifen und die Aufhebung der über 650 Checkpoints,
  • die Beendigung des Mauerbaus auf palästinensischem Territorium und Abbau oder Rückbau auf israelisches Gebiet entsprechend dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofes von 2004,
  • die Freilassung der politischen Gefangenen auf beiden Seiten, was insbesondere die Freilassung des israelischen Soldaten Gilat Schalid, des palästinensischen Abgeordneten Marwan Barghuti sowie der anderen Mitglieder des palästinensischen Parlaments und der Mehrzahl der über 8000 in israelischen Gefängnissen einsitzenden Palästinenser bedeutet,
  • die Einbeziehung der Hamas in politische Gespräche und die Aufhebung ihres Boykotts,
  • die internationale Untersuchung der Kriegsführung auf Verletzung des Völkerrechts im Gaza-Krieg.
Forderungen an die Bundesregierung

Wir fordern von der Bundesregierung eine sofortige und eindeutige Abkehr ihrer gescheiterten Politik im Nahostkonflikt.

Die Fraktion DIE LINKE fordert die Bundesregierung nachdrücklich auf,
  • sich in der EU und in der Zusammenarbeit mit Israel namentlich und vernehmlich für die Durchsetzung der Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates einzusetzen
  • sich bei Verstößen gegen das allgemeine Völkerrecht und gegen das humanitäre Völkerrecht - egal von welcher Seite - unmissverständlich auf die Seite des Völkerrechts zu stellen,
  • die Beratung des Goldstone-Berichtes, der beiden Seiten Verstöße gegen die Menschenrechte im Gaza-Krieg vorhält, nicht zu blockieren,
  • Israel und andere Staaten der Region nicht länger mit Waffen zu beliefern und politisch für einen atomwaffenfreien Nahen Osten sowie für die Nichtweiterverbreitung atomarer Waffen einzutreten,
  • die in Kairo begonnenen Bemühungen um eine Aussöhnung der Palästinenser untereinander zu unterstützen und eine neu gebildete palästinensische Regierung, egal wie sie aussieht, zu akzeptieren,
  • sich für die Zwei-Staaten-Lösung im oben genannten Sinne einzusetzen,
  • sich innerhalb der EU dafür einzusetzen, dass die gegen den Gazastreifen verhängte Wirtschaftsblockade sofort aufgehoben wird,
  • sich für die Aufhebung der Unterscheidung zwischen den Zonen A, B und C der Westbank und die sofortige Übergabe dieser Gebiete durch Israel an die Palästinensische Autonomiebehörde einzusetzen,
  • sich in der EU für die Einhaltung des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Israel, insbesondere der Menschenrechtsklausel, einzusetzen und sich dazu zu verpflichten, bei Verletzungen entsprechende Maßnahmen, bis hin zur Aussetzung des Abkommens, anzumahnen. Eine Ausweitung der Beziehungen zwischen der EU und Israel muss genutzt werden, um die Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts, die Beendigung der humanitären Krise in Gaza und in den besetzten palästinensischen Gebieten, ein wirkliches Engagement für eine umfassende Friedensregelung sowie die uneingeschränkte Umsetzung des Interim-Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der PLO durchzusetzen,
  • eine Friedenskonferenz für den Nahen Osten nach dem Vorbild des KSZE-Friedensprozesses mitzuinitiieren, an der alle Staaten und Konfliktparteien beteiligt werden, auch Libanon, Syrien und Iran,
  • sich für eine Beendigung der Besetzung der völkerrechtlich zu Syrien gehörenden Golan-Höhen und der zum Libanon gehörenden Shebaa-Farmen einzusetzen und dazu direkte Verhandlungen Israels mit Syrien und dem Libanon zu befördern,
  • ein deutsch-israelisch-palästinensisches Jugendwerk zur israelisch-palästinensischen Aussöhnung ins Leben zu rufen,
  • ein Programm vorzulegen und zu finanzieren, welches die Umsetzung der UNO-Resolution 1325 im Verhandlungsprozess Israel - Palästina unterstützt,
  • sich in der internationalen Staatengemeinschaft für eine dem Marshallplan ähnliche Initiative für den Wiederaufbau in Palästina einzusetzen,
  • bei der Verhandlung mit der Hamas sich dafür einzusetzen, dass aus ihrer Charta die Punkte gestrichen werden, die das Existenzrecht Israels bestreiten bzw. in Zweifel ziehen.
Quelle: www.linksfraktion.de


Wollen Sie provozieren?

Annette Groth zum Antisemitismusbeschluss der LINKEN und Drohmails *

Annette Groth ist menschenrechtspolitische Sprecherin der LINKEN im Bundestag und verweigerte sich der Abstimmung.

ND: Sie haben an der ersten Gaza-Flottille teilgenommen. Diese wurde angeblich von islamistischen Extremisten unterstützt. Sollten Sie nicht besser auf Ihren Umgang achten?

Groth: Es war richtig, an der Aktion teilzunehmen, schon um das Gegenteil zu beweisen. Es stimmt ja nicht, dass da Extremisten eine Rolle gespielt haben. Alle wurden vorher gründlich gecheckt. Wir haben das auch noch nachträglich untersucht und keinen Beleg für solche Behauptungen gefunden.

Bei Abfahrt der Schiffe in der Türkei wurden angeblich Parolen wie »Tod den Juden« gerufen. Das stört Sie nicht?

Ich bin von Griechenland gestartet und erst später zur Flottille gestoßen, aber ich kann mir das nicht vorstellen. Dauernd sind Behauptungen in die Welt gesetzt worden, die nicht stimmen. Jetzt sollen ja sogar Waffen an Bord gewesen sein – obwohl die israelischen Soldaten das Schiff durchsucht und nichts gefunden haben.

Ihre Parteivorsitzende Gesine Lötzsch hat vor einem Jahr Stolz über den »mutigen Einsatz« der drei Linkspolitiker an Bord geäußert. Was hat denn das Urteil in Ihrer Partei so verändert?

Das würde ich auch gern wissen. Der Angriff Israels auf die Schiffe war ein völkerrechtswidriger Akt, daran ist nichts zu beschönigen.

Seit Dienstag gibt es einen weiteren Antisemitismusbeschluss Ihrer Fraktion. Sie haben sich der Abstimmung verweigert. Warum?

Weil ich das nicht mittragen kann. Er konstruiert einen Sinnzusammenhang zwischen Antisemitismus und der Unterstützung für die Gaza-Flottille. Das war für mich untragbar. Ich bin aktives Mitglied im Palästinakomitee in Stuttgart, ich kann ja nicht meinen eigenen Freunden und darüber hinaus internationalen befreundeten, linken Parteien und Organisationen öffentlich in den Rücken fallen und eine internationale Solidaritätsaktion desavouieren.

Und was halten Sie vom Boykott israelischer Waren?

Es geht immer um Waren aus den besetzten Gebieten. Für diese werden rechtswidrig Zollvorteile in Anspruch genommen, wie der Europäische Gerichtshof im letzten Jahr geurteilt hat. Auch israelische Organisationen rufen immer wieder zu Boykotts auf. Das sind Hilferufe, die unsere Reaktion verdienen. Mit Antisemitismus hat das nichts zu tun.

Jetzt, nach einem Jahr, haben Sie nicht das Gefühl, dass die Gaza-Flottille ein Misserfolg war?

Nein, im Gegenteil. Dank der Flottille erst ist es zum Beschluss des Bundestags gekommen, der die Blockade von Gaza verurteilt hat. Und dank der Flottille wurde die Blockade wieder zu einem Thema der deutschen und der internationalen Öffentlichkeit. Das haben wir geschafft. Und deshalb war es nicht umsonst.

Die Fraktion hat es nun untersagt – hatten Sie denn vor, an der nächsten Flottille teilzunehmen?

Nein, aber ich habe es aus terminlichen Gründen so entschieden. 20 Organisationen rufen zur Unterstützung auf. Es gibt keinen Grund, aus inhaltlichen Gründen Abstand zu nehmen.

Provozieren Sie gern?

Nein. Ich bin eher besorgt über Drohmails, die ich bekomme. Meine Kollegin Inge Höger hat inzwischen Morddrohungen erhalten. Außerdem denke ich an die Menschen, die unsere Solidarität brauchen. Wir können uns nicht retten vor Anrufen und E-Mails auch von Leuten, die fürchten, dass wir sie verraten hätten.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Juni 2011


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