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Hoffnung auf bleibende Erinnerung

Beate Klarsfeld im ND-Interview: "Sie sollen bis zum letzten Moment nicht ruhig leben können"

Sie ist bekannt für eine Ohrfeige. 1968 hatte Beate Klarsfeld den damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger abgewatscht und ihn der Öffentlichkeit als Nazi präsentiert. Mit ihrem Mann Serge hat die heute 70-Jährige ihr Leben lang Nazi-Verbrecher verfolgt und versucht, sie vor Gericht zu stellen. Offizielle Anerkennung erhielt sie dafür in vielen Ländern, nicht aber in Deutschland. Jetzt will die LINKE sie fürs Bundesverdienstkreuz vorschlagen. Haidy Damm sprach in Berlin mit Beate Klarsfeld.
Wir dokumentieren im Folgenden das Interview, das im "Neuen Deutschland" veröffentlicht wurde.



ND: Gregor Gysi hat angekündigt, dass die LINKE Sie für das Bundesverdienstkreuz vorschlagen will. Waren Sie überrascht?

Klarsfeld: Ja, sehr überrascht. Aber das ist natürlich eine wunderbare Sache. Ich bin ja in vielen Ländern ausgezeichnet worden für meine Arbeit, in Israel mit der »Tapferkeitsmedaille der Ghettokämpfer« und in Frankreich von François Mitterrand als »Ritter der Ehrenlegion« und von Sarkozy als »Offizier der Ehrenlegion«. Mein Mann sagt immer, ›in Deutschland musst du alt werden, um ausgezeichnet zu werden‹. Anscheinend hat er Recht. Für mich und vor allem für unsere gesamte Organisation wäre das eine schöne Anerkennung unserer Arbeit. Und die LINKE hat damit den Mut, den die anderen Parteien bisher nicht hatten. Ich hoffe immer, dass Deutschland mich nicht vergisst.

Kürzlich startete der Film »Die Hetzjagd« in den deutschen Kinos. Franka Potente spielt Beate Klarsfeld. Wie finden Sie den Film?

Der Film wird meinem Mann, mir und unserer Arbeit durchaus gerecht. Ich freue mich darüber. Denn er bringt auch unsere Arbeit voran. So einen Spielfilm gucken sich doch einige Leute mehr an, als dass jemand ein Buch über uns liest. Von daher hat er eine größere Wirkung und unsere Arbeit geht an ein größeres Publikum.

Der WDR und die Filmstiftung Nordrhein-Westfalen haben eine Förderung des Films abgelehnt. Ist das typisch für den deutschen Umgang mit ihrer Person?

Ich habe davon erfahren und denen auch einen Brief geschrieben. Sie haben den Film abgelehnt mit der Begründung, das ›sei kein deutsches Thema‹. Obwohl der Film mit der Entführung des SS-Mannes Kurt Lischka beginnt und der lebte mitten in Köln. Das ist etwas, was mir in Deutschland immer wieder passiert, aber ich habe mich davon nie entmutigen lassen und will da auch gar nicht lamentieren. Letzlich ist der Film ja zustande gekommen.

Momentan gibt es gerichtliche Auseinandersetzungen um John Demjanjuk, der in den USA lebt und nach Deutschland ausgeliefert werden soll. Dem 89-Jährigen wird Beihilfe zum Mord an 29 000 Juden vorgeworfen. Soll er ausgeliefert werden?

Ja, und ihm soll auch der Prozess gemacht werden. Wir haben bereits 1992 Strafanzeige gegen ihn in Frankreich gestellt. Für die Transporte, die von Frankreich nach Sobibor gingen, in der Zeit, in der Demjanjuk dort war, könnten wir auch in Deutschland Nebenkläger sein. Aber bei all dem muss man bedenken, dass er niemand war, der an erster Stelle stand. Er war zu dem Zeitpunkt als Wächter tätig, als die Juden deportiert wurden. Er hat ihnen nicht geholfen, er hat sie nicht geschützt. Ihm einen einzelnen Mord nachzuweisen, wird schwierig sein. Aber wichtiger ist, dass die Verbrecher bis zum letzten Augenblick ihres Lebens nicht ruhig leben können. Demjanjuk muss jetzt jeden Tag Angst haben, ob er ausgewiesen und ihm der Prozess gemacht wird. Simon Wiesenthal nannte das mal »Last Chance«. Man vergisst die Verbrechen dieser Menschen nicht. Das ist wichtig.

Die Täter sterben langsam aus.

Leider Gottes haben die Deutschen erst sehr spät damit begonnen, die Täter strafrechtlich zu verfolgen. Der Prozess gegen Kurt Lischka war erst 1979 und ohne die Arbeit unserer Gruppe wäre er gar nicht zustande gekommen. Er war maßgeblich für die Deportationen von Juden aus Frankreich verantwortlich und lebte unbehelligt von der deutschen Justiz in Köln. Es war in der BRD immer ein schlechter Wille da, Naziverbrechen zu verfolgen. Aber es gab ja Gruppen wie unsere. Unsere Aktionen waren Demonstrationen vor dem Lischka-Büro, wir haben Fensterscheiben eingeworfen und auch versucht, ihn zu entführen. Klar, wir mussten auch Mittel anwenden, die nicht so traditionell sind, sondern illegal. Dafür mussten wir ja auch ins Gefängnis gehen. Das haben wir in Kauf genommen, weil wir wussten, mit legalen Mitteln können wir nichts erreichen. Letztlich gab es aber den Prozess und die politische Gesellschaft musste sich mit dem Thema auseinandersetzen.

Von wem wurden Sie bei Ihren Aktionen unterstützt?

Solange es gegen Kiesinger ging, war ich in der DDR ein gern gesehener Gast. Es gab Medaillen und die Archive wurden uns geöffnet. Aber als ich 1971 gegen Antisemitismus in Polen demonstrierte, blieb die Grenze für uns geschlossen. Aber die DDR hat das Braunbuch herausgegegen und anders als die BRD die Täter verfolgt. Wenn auch nicht alle, auch hier ist der eine oder andere untergetaucht.

Sie haben wie keine andere Deutsche das Thema Verfolgung von Nazi-Verbrechern geprägt. Wenn die juristische Verfolgung endet, weil die Täter sterben, was heißt das für die Vergangenheitsbewältigung in diesem Land?

Nun, es gibt viele Gedenkstätten und Museen, die werden jetzt wichtiger. Auch unsere Gruppe beschäftigt sich mit der Erinnerung an die Opfer. Wir haben eine Fotoausstellung gemacht, die an die Deportation von 11 000 jüdischen Kindern in die Vernichtungslager erinnert. Sie wurde in Frankreich auf 18 Bahnhöfen gezeigt, in Deutschland hat sich die Deutsche Bahn geperrt. Dennoch: Gerade für die Jugend ist die Erinnerung wichtig, denn auf die Jugendlichen kommt es ja in der Zukunft an. Sie sind auch heute schon diejenigen, die sich gegen die NPD, gegen Rechtsextreme und Ausländerfeindlichkeit engagieren müssen.

*Aus: Neues Deutschland, 9. Mai 2009


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