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Rassistische Offensive

Rechte Splittergruppen rufen zum "Antiislamisierungskongreß" inklusive rechtem Aufmarsch am Brandenburger Tor. Gegner warnen vor Unterschätzung der alten Herren

Von Markus Bernhardt *

Mit den Parteien »Pro Deutschland« und »Die Freiheit« treten gleich zwei Gruppierungen zur Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses am 18. September an, die vor allem auf Stimmungsmache gegen Muslime setzen. Ihre Chancen, tatsächlich in das Landesparlament der Bundeshauptstadt einzuziehen, sind jedoch eher gering.

Um überhaupt mediale Beachtung zu finden, wollen die beiden rechtspopulistischen Kleinstparteien nunmehr in die Wahlkampfoffensive gehen. »Pro Deutschland« trommelt für das Wochenende zu einem sogenannten Antiislamisierungskongreß samt Aufmarsch. So wollen sie »für die Bewahrung des abendländischen Charakters unseres Landes Gesicht und Flagge zu zeigen«. Für Samstag lädt die rassistische Partei zu einer Pressekonferenz ein, an die sich »verschiedene interne Aktivitäten der bundesweit nach Berlin anreisenden Mitglieder und Unterstützer der Bürgerbewegung ›Pro Deutschland‹ anschließen« sollen. Am Sonntag planen die rechten Kulturkrieger einen Aufmarsch, der am Potsdamer Platz beginnen und zum Brandenburger Tor führen soll. Dort sollen unter anderem die Kandidaten von der Partei zur Abgeordnetenhauswahl auftreten.

Aufruf zur Blockade

Indes rufen gleich drei antifaschistische Bündnisse dazu auf, die Aktivitäten der extrem rechten Partei zu verhindern und den für Sonntag vorgesehenen Aufmarsch zu blockieren. Die Kampagne »Zusammen handeln – gegen rassistische Hetze und soziale Ausgrenzung« und das Bündnis »Rechtspopulisten stoppen!« rufen dazu auf, sich bereits um 9 Uhr, also noch vor Beginn der rechten Demonstration, die um 10 Uhr am Potsdamer Platz starten soll, zu versammeln, um ein Zeichen gegen antimuslimische Hetze zu setzen.

»Egal wie relevant ›Pro Deutschland‹ personell für Berlin ist oder daß wenige Aussichten auf einen Einzug in ein Parlament bei den kommenden Wahlen in Berlin bestehen, ihre Ideologie ist das eigentlich Gefährliche«, konstatierte das Bündnis in einer Erklärung. Rassismus und Sozialchauvinismus sollten unter dem Deckmantel von Islamkritik und einer vorgeschobenen Debatte über Meinungsfreiheit oder Integration mehrheitsfähig und legitimierbar werden.

Geert Wilders eingeladen

Neben den neuerlichen Provokationen von »Pro Deutschland« hat deren vom ehemaligen CDU-Abgeordneten René Stadtkewitz gegründetes Pedant »Die Freiheit« für den 3. September den niederländischen Rechtsextremisten Geert Wilders nach Berlin eingeladen, der als einer der wichtigsten Stichwortgeber von antimuslimischen Rassisten in Europa gilt. Darüber hinaus soll bei der Veranstaltung auch der amerikanische Islamgegner Robert Spencer auftreten, der die rassistische Internetseite Jihadwatch betreibt.

Das Bündnis »Gegen Rassismus und Sozialchauvinismus« kündigte an, gegen die »Die Freiheit« mobil machen zu wollen. Rechtspopulistische Veranstaltungen und Parteien, das zeigten spätestens die Anschläge in Norwegen, müßten offensiv bekämpft werden, so eine Bündnissprecherin am Mittwoch gegenüber junge Welt.

* Aus: junge Welt, 25. August 2011


"Ihnen den Raum nehmen"

Antifaschisten wollen Veranstaltungen und Aufmarsch von "Pro Deutschland" an diesem Wochenende in Berlin blockieren. Ein Gespräch mit Jana Hoffmann **

Jana Hoffmann ist Sprecherin der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) www.antifa.de

Als Höhepunkt ihres Wahlkampfes in Berlin will die rechtspopulistische Partei »Pro Deutschland« am Wochenende einen »Antiislamisierungskongreß« durchführen. Auch Aufmärsche gegen eine angebliche Islamisierung der Hauptstadt und ein »gemeinsames Grillen« soll es geben. Was genau wollen Sie den Aktionen der rassistischen Gruppierung entgegensetzen?

Wir wollen erreichen, daß es für »Pro Deutschland« unmöglich ist, ihren »Antiislamisierungskongreß« störungsfrei abzuhalten. Deshalb werden wir bereits Samstag morgen bei der von den Rechten geplanten Pressekonferenz Präsenz zeigen. Unser Schwerpunkt liegt aber auf Aktionen gegen die rassistische Demonstration am Sonntag. Diese wollen wir mit einem breit aufgestellten Spektrum von antifaschistischen Gruppen bis hin zur Zivilgesellschaft blockieren und so »pro Deutschland« die Plattform nehmen, ihre rassistische und sozialchauvinistische Hetze in die Öffentlichkeit zu tragen.

In der Vergangenheit kündigte die selbsternannte »Pro«-Bewegung etwa in Nordrhein-Westfalen mehrere hundert Teilnehmer zu ihren Aktionen an. Gekommen sind im Endeffekt meist nur einige Dutzend Rechte. Inwiefern könnte es sich bei den aktuell angekündigten Events wieder um eine realitätsferne mediale Inszenierung handeln?

Wir gehen nicht davon aus, daß die von »Pro« angekündigten 1000 Teilnehmer realistisch sind, sondern sich deutlich weniger Personen an den Aktivitäten der Rechten beteiligen werden. Doch egal, wie viele ihrer Anhänger letztlich da sind, entscheidend ist es, ihnen den Raum für ihre rassistische Propaganda zu nehmen. Daß es die Rechtspopulisten häufig nicht schaffen, viele Menschen zu mobilisieren, zeigt ja auch, daß es sich hier bisher um keine große Bewegung handelt. Als ihr Kommunikationsmittel nutzen sie eher das Internet als das reale Leben, um die überschaubare Zahl ihre Anhänger kaschieren zu können. Im Internet treten sie aber recht offensiv auf und versuchen in den Kommentarspalten verschiedenster Informationsseiten die Meinungshoheit zu erlangen. Trotzdem darf natürlich die reale Gefahr, die von diesem Personenkreis und ihrer antimuslimischen Hetze ausgeht, keineswegs unterschätzt werden.

Für wie groß halten Sie die Gefahr, daß »Pro Deutschland« bei der Abgeordnetenhauswahl Erfolge verbucht?

Die Gefahr ist insgesamt wohl relativ gering. Eventuell könnte die Partei mit einer Handvoll Abgeordneten in vereinzelte Bezirksverordnetenversammlungen einziehen. Viel größer ist jedoch die Gefahr, die von ihrer Hetze ausgeht. Mit ihren Forderungen beeinflussen sie gesamtgesellschaftliche Diskurse und wirken dabei nicht zuletzt auch auf die Politik der sogenannten etablierten Parteien ein. Der große Erfolg von Thilo Sarrazins Buch »Deutschland schafft sich ab«, welches von der rechtspopulistischen Szene geradezu als Manifest gefeiert wird, zeigt doch, was für ein gefährliches Potential in dieser Politik steckt. Nicht zuletzt hat auch der Attentäter von Norwegen gezeigt, was für extreme Folgen rechtspopulistische Propaganda nach sich ziehen kann.

Eine ablehnende Haltung gegenüber Muslimen findet sich nicht nur bei der politischen Rechten, sondern auch in Teilen der linken Szene. Wie positioniert sich Ihre Gruppe in Sachen antimuslimischer Rassismus von »links«?

Wir arbeiten nicht mit Gruppen zusammen, bei denen antimuslimischer Rassismus auftritt, da wir Rassismus und soziale Ausgrenzung, egal in welcher Form, ablehnen und bekämpfen. Vielmehr betreiben wir eine breite Bündnispolitik, bei der es uns wichtig ist, daß die von Rassismus Betroffenen nicht außen vor gelassen werden, sondern Hand in Hand mit uns zusammenarbeiten.

Interview: Markus Bernhardt

** Aus: junge Welt, 25. August 2011


Fragen an NRW-Regierung

Linksfraktion im Düsseldorfer Landtag kritisiert Untätigkeit von SPD und Grünen angesichts wachsender Neonazigewalt und verlangt Stellungnahme

Von Markus Bernhardt ***


Die wachsende Zahl gewalttätiger Übergriffe, Anschläge und Sachbeschädigungen durch Neonazis in Nordrhein-Westfalen (NRW) beschäftigt nun auch die Landesregierung. Sie muß Stellung nehmen zu einer kleinen Anfrage der Linksfraktion. Deren innen- und rechtspolitische Sprecherin Anna Conrads zählte in den vergangenen sechs Wochen 16 Anschläge. Allein in Dortmund wurden in neun Fällen Nazigegnerinnen und -gegner tätlich angegriffen, beziehungsweise ihre Wohnungen, Büros oder Autos beschädigt. So wurde zum nunmehr sechsten Mal das Wahlkreisbüro der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Die Linke) zum Ziel der Neonazis, ebenso das Büro der DKP. Weitere Fälle wurden der Abgeordneten aus Aachen, Siegen, Leverkusen, Hamm und Gütersloh bekannt. Ein Großteil aller Angriffe richtete sich gegen Einrichtungen der Linkspartei und stadtbekannte Antifaschisten. In Hamm wurde in diesem Monat außerdem das gemeinsame Büro des SPD-Bundestagsabgeordneten Dieter Wiefelspütz und des Landtagsabgeordneten Marc Herter (SPD) mit Steinen und einer Farbbombe verwüstet.

»Die rechte Gewalt gegen politisch Andersdenkende erreicht gegenwärtig einen traurigen Höhepunkt«, so Anna Conrads am Mittwoch gegenüber junge Welt. Die rechte Anschlagsserie werde jedoch nur enden, wenn alle Betroffenen – auch aus den Reihen von SPD und Grünen – zukünftig stärkere politische Aktivitäten gegen Neonazis zeigen, konstatierte die Abgeordnete. Es müsse darum gehen, einerseits möglichst zügig die geplanten Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt in NRW einzurichten und andererseits auf eine konsequente Verfolgung rechter Gewalttäter zu bestehen, so Conrads weiter.

In den vergangenen Tagen hat sich die Kritik antifaschistischer Organisationen und von Betroffenen an der Polizei verstärkt. So zeigte sich der zuständige Dortmunder Staatsschutz nach dem Anschlag auf das SPD-Büro in Hamm über die Zunahme rechter Gewalt keinesfalls überrascht: In den Wochen vor dem Neonaziaufmarsch zum Antikriegstag häuften sich Angriffe rechtsextremer Täter auf die Büros linksgerichteter Parteien – das sei für die Polizei »jedes Jahr dasselbe und für uns nichts Neues«, hatte der Dortmunder Polizeisprecher Wolfgang Wieland gegenüber dem Westdeutschen Rundfunk (WDR) geäußert (jW berichtete).

Auch bei Conrads stößt der bisherige Einsatz der Polizei bei der Bekämpfung rechter Gewalt auf Kritik. Es sei nicht hinnehmbar, daß die Polizei Angriffe auf Nazigegner im Vorfeld des von den »Autonomen Nationalisten« für den 3. September in Dortmund ausgerufenen »Nationalen Antikriegstages« zur Normalität erkläre und sich einzig auf deren Dokumentation beschränke, begründet sie ihre kleine Anfrage. »Während sich in Dortmund mehrere Organisationen zusammengeschlossen haben, die unter anderem unterstützt vom Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) und Landesarbeitsminister Guntram Schneider (SPD) zur Blockade des neuerlichen Naziaufmarsches aufrufen, stellen die massiven gewalttätigen Aktionen der extremen Rechten indes auch weiterhin scheinbar kein Problem für die Dortmunder Polizei und Staatsanwaltschaft dar«, heißt es in dem Text weiter. So gebe es keine Hinweise darauf, daß die Polizei Vorkehrungen getroffen habe, um die erwartete Zunahme rechter Gewalt zu verhindern. Vielmehr sei das Gegenteil der Fall, so die linke Landtagsabgeordnete. Bei einzelnen Fällen aus Dortmund sei man überrascht, daß es trotz detaillierter Hinweise auf die Täter keine Fahndungserfolge gebe.

Von der Landesregierung will Conrads nun wissen, ob sie die Einschätzung des Dortmunder Polizeisprechers Wieland teile und damit auch der Meinung sei, die Übergriffe seien nichts Neues. Zudem fragt die Abgeordnete, ob die Regierung eine Erklärung für die Verschleppung oder häufig sehr schnelle Einstellung von Verfahren gegen Neonazis durch Polizei und Staatsanwaltschaft hat.

*** Aus: junge Welt, 25. August 2011


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