Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Mehr Verantwortung im Netz

Was tun gegen Nazis im Netz? Strategien im Kampf gegen braune Online-Propaganda / Zahlen zu rechten Websites und Communities vorgestellt / Rasanter Anstieg im Web 2.0

Von Jörg Meyer *

Jugendschutz.net schlägt Alarm. Die Zahl der extrem rechten Websites ist auf einem Höchststand. Nazis vernetzen sich in eigenen Communities und verbreiten ihren braunen Müll massenhaft über soziale Netzwerke. Gestern wurden Strategien gegen Nazis im Netz vorgestellt.

Die nackten Fakten wirken ernüchternd. Im Jahr 2009 zählte jugendschutz.net, die gemeinsame Stelle der Länder zum Jugendschutz im Internet, 1872 rechtsextreme Websites. Dazu kommen tausende Einträge bei sozialen Netzwerkdiensten oder Videoplattformen. Die Zahl der Nazi-Communities im Netz hat sich 2009 mit 90 gegenüber dem Vorjahr fast verdreifacht, die Zahl der Internetangebote der NPD stieg von 190 auf 242, die der Angebote von Neonazis um 60. Dabei bleiben die Nazis deutsch: Mit 67 Prozent lag nach wie vor der Großteil der braunen Inhalte auf deutschen Servern (2008: 72 Prozent).

Das Entfernen der Propaganda ist nicht immer einfach. In vier von fünf Fällen könne man zwar die Löschung unzulässiger Inhalt erreichen, heißt es in der Mitteilung von jugendschutz.net. Aber die schiere Masse der Inhalte und Communities mache eine Kontrolle schwer. Zudem würden viele der gelöschten Inhalte von Servern im Ausland neu hochgeladen.

Jugendschutz.net stellte gestern gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung und der Online-Beratung gegen Rechtsextremismus den Bericht »Rechtsextremismus online - beobachten und effektiv bekämpfen« und Strategien gegen Nazis im Netz vor. Im Zeitalter des Web 2.0 ist die Verbreitung interaktiver Inhalte, Videos oder CDs oder die Teilnahme an Online-Communities einfacher geworden, lautet eine Erklärung für den starken Anstieg der Nazipropaganda. »Facebook, YouTube und Co. müssen wesentlich mehr technische und personelle Mittel einsetzen, um junge User auf ihren Plattformen effektiv vor solchen Hassinhalten zu schützen«, sagt deshalb Stefan Glaser, Leiter des Bereiches Rechtsextremismus bei jugendschutz.net.

Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, fordert die Netzgemeinde auf, selbst mehr soziale Verantwortung zu übernehmen. »Wenn User menschenverachtenden und antidemokratischen Äußerungen widersprechen, kann das Internet sein Potenzial als freiheitliches und demokratisches Medium entfalten.« So sieht es auch Simone Rafael, Redakteurin der Website netz-gegen-nazis.de. Die Vorurteile in der realen Welt spiegelten sich in der virtuellen wieder. Deshalb seien Sperrungen von Websites mit rechten Inhalten nur eine Möglichkeit. »Ein Verbot allein ändert nichts an der vorhandenen Ideologie«, sagte Rafael. Es sei wichtig, dass sich die sozialen Netzwerke auch »aktiv als Unternehmen positionieren«, denn »die Meinungsfreiheit, die Neonazis meinen, heißt Volksverhetzung, Holocaustleugnung und Bedrohung anderer«, so Rafael.

»Meine Freunde und Bekannten wollen damit nichts zu tun haben, dass mein Sohn ein Neonazi ist und ich finde niemanden, der mir hilft.« Das ist nur ein Bespiel für Anfragen, die bei der Online-Beratung gegen Rechtsextremismus eingehen. Fast täglich fragten Eltern, Lehrer oder Kollegen von Nazis um Rat - teilweise stark verunsichert, manchmal sogar verängstigt, weil es oft schwer sei, im persönlichen Umfeld Verbündete zu finden. »Appelle an Zivilcourage« nützten diesen Menschen wenig, heißt es seitens der im Mai 2008 online gegangenen Beratungsstelle. Speziell geschulte Mitarbeiter helfen den Menschen, sich selber zu helfen, beraten sie teilweise über Monate hinweg, bis sie selber in der Lage sind, »dem Rechtsextremismus in ihrem Umfeld die Stirn zu bieten«. Gemeinsam mit jugendschutz.net hat die vom Bundesfamilienministerium und Bundeszentrale geförderte Beratungsstelle ein Video mit dem Titel »Wir sind online. Damit Neonazis offline gehen«, erstellt. Darin soll gezeigt werden, wie sich Nazipropaganda erkennen lässt und wie man dagegen vorgehen kann. Denn oft braucht es tatsächlich erst das Wissen und dann das gemeinsame Handeln, um etwas gegen Nazis tun zu können - ob im Netz oder in der Nachbarschaft.

Einfach abschalten

Unter dem Sammelbegriff »Datenantifa« arbeiten viele Menschen auf ihre Weise an dem Problem Nazis im Netz. Relativ regelmäßig finden sich im linken Nachrichtenportal indymedia Meldungen über »Defacements« (engl. für Entstellung, Verunstaltung) oder »Hacks« von rechten Internetseiten. Beim Defacement wird das »Gesicht« der Internetseite verändert. Statt eines Aufrufes zu einem Aufmarsch beispielsweise findet der internetaffine Nazi einen Aufruf der Antifa auf seiner Homepage. Defacements passieren oft, nicht immer trifft es Naziseiten. So waren vor einigen Jahren nach einem Hackerangriff auf der Startseite des US-Geheimdienstes CIA statt »Central Intelligence Agency« die Worte »Central Idiots Agency« zu lesen.

»Hacker« ist ein Begriff aus den 80er Jahren, als Computertastaturen noch so klobig waren, dass das Tippen klang, als würde auf etwas herumgehackt. Hacker dringen in Computernetzwerke ein, um auf Sicherheitslücken aufmerksam zu machen, andere wollen ein System beschädigen oder Daten stehlen, beispielsweise Bankkundendaten. Eine dritte Gruppe macht Daten öffentlich.

Das Forum des in Deutschland verbotenen internationalen Musiknetzwerkes »Blood & Honour« wurde 2008 gehackt. Die Datenantifas erbeuteten eine Flut von Informationen. Der jüngste Angriff erfolgte in der Nacht zum Dienstag. Laut indymedia-Artikel war nach einer Hackerattacke der von Nazis betriebene und genutzte Internetanbieter »logr« einige Stunden offline. 102 rechte Blogs waren dort 2009 angemeldet.

Bericht, Video und weitere Infos unter: www.hass-im-netz.info



* Aus: Neues Deutschland, 25. August 2010


Was tun gegen Nazis im Netz? Kontrolle?

Über Sensibilisierung versus Zensur

Michael Below ist Anwalt für Zivil- und Medienrecht in Berlin. Mit dem 34-Jährigen sprach Sarah Liebigt für das "Neue Deutschland" (ND).

ND: Rechte Websites werden vermehrt über Server im Ausland veröffentlicht. Welche Möglichkeiten gibt es, trotzdem gegen rechtswidrige Inhalte vorzugehen?

Below: Es gibt die Möglichkeit, entsprechend der örtlichen Rechtsordnungen zu handeln. In der Regel ist das jedoch ziemlich schwierig. Man kann z.B. in den USA zwar relativ einfach gegen Copyright-Verletzungen vorgehen. Aber bei sonstigen Rechtsverletzungen kann es kompliziert werden: In Texas beispielsweise werden Persönlichkeitsrechte nicht in dem Umfang geschützt wie in Deutschland. Man kann da nicht einfach sagen, da wird mein Foto im Internet veröffentlicht, das will ich nicht. Das ist nach dortigem Recht zulässig.

Werden sich rechte Betreiber so zukünftig komplett der Kontrolle entziehen können?

Es gibt immer wieder Initiativen, die darauf abzielen, das Internet kontrollierbarer zu machen. Es ist immer die Frage, ob es eigentlich wünschenswert ist, solche Zensurmechanismen einzuführen. In dem Zusammenhang würden sich rechte Websites einschränken lassen. Aber natürlich besteht dann das Risiko, dass auch missliebige Inhalte von links, zum Beispiel Antifa-Webseiten, stärker zensiert werden. Das ist eine sehr ambivalente Geschichte.

Könnte man mit der Sensibilisierung der Nutzerinnen und Nutzer mehr erreichen?

Das ist schwierig. Über rechtsextreme Foren stolpert man ja nicht einfach, sondern das sind quasi Webseiten, die von Nazis für Nazis gemacht werden. Allerdings kann ich mir schon vorstellen, dass in Online-Communities wie beispielsweise Facebook eine öffentliche Debatte stärker geführt wird: Was passiert hier eigentlich, wer trifft sich hier, was für Leute sind das?

** Aus: Neues Deutschland, 25. August 2010

Stellungnahme von Ulla Jelpke, MdB

"Neonazis dürfen auch in der virtuellen Welt keinen Fuß auf den Boden kriegen, fordert die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke." Nach Angaben der Bundeszentrale für poltische Bildung hat die Zahl der Webseiten mit rechtsextremen Inhalten 2009 einen neuen Höchststand erreicht. Jelpke weiter:

"Das Auftreten von Neonazis muss im Internet genauso bekämpft werden wie auf der Straße. Faschistische Webpräsenz ist keine Spur harmloser als marodierende Nazis auf der Straße - sie ist nur die andere Seite der Medaille. Die steigende Zahl der neofaschistischen Internetseiten fordert eine entschlossene und zugleich kluge Reaktion. Vordringlich ist zweierlei: Die Löschung rechtsextremer Inhalte, soweit möglich, und die Stärkung einer antifaschistischen Gegenkultur. Dazu gehören gut und dauerhaft ausgestattete Programme gegen rechts und der Verzicht auf eine falsche "Extremismus"-Propaganda, die Nazis mit Antifaschisten in einen Topf wirft und damit Antifaschisten diffamiert.

Der Verfassungsschutz hilft hier nicht, im Kampf gegen rechte Schläger ist er generell weit mehr eine Belastung als eine Hilfe."




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