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Bouffier unter Druck

Hessens Ministerpräsident im Verdacht, Aufklärung der »NSU«-Morde behindert zu haben. Linke legt Dokumentation über braunen Sumpf in Landes-CDU vor

Von Sebastian Carlens *

Der damalige Innenminister und jetzige Ministerpräsident Hessens, Volker Bouffier (CDU), könnte durch seine Schützenhilfe für den Inlandsgeheimdienst die Aufklärung des neunten Mordes des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) verhindert haben. Der Politiker müsse zurücktreten, wenn sich herausstellen sollte, daß er »als damaliger hessischer Innenminister persönliche Verantwortung für die Behinderung der Ermittlungen zum faschistischen Mordfall 2006 in Kassel trägt und dadurch die Verhaftung der Mörder vereitelt hat«, forderte der stellvertretende Vorsitzende der hessischen Linken, Achim Kessler, am Sonntag in einer Presseerklärung. »Dann wäre er als Ministerpräsident in Hessen untragbar«.

Am Donnerstag war im Bundestagsuntersuchungsausschuß zum NSU bekanntgeworden, daß Bouffier mit seinem Veto eine Untersuchung der Verwicklungen des Landesverfassungsschutzes in den Kasseler Mordfall verhindert hatte. Während des Attentats im April 2006 hielt sich ein Agentenführer des Inlandesgeheimdienstes am Tatort auf, der sich später nicht bei der Polizei meldete. Andreas Temme, in seiner Behörde unter dem Spitznamen »kleiner Adolf« bekannt, wurde ausfindig gemacht und festgenommen. Zu einer Befragung der von ihm betreuten – und kurz vor sowie nach der Tat angerufenen – rechten V-Leute sollte es jedoch nicht kommen: Der CDU-Innenminister unterband die Ermittlungsarbeit mit Verweis auf »die Sicherheit des Landes Hessen«. Die Polizei, die Temme für die »erste und einzige heiße Spur« in der mysteriösen Mordserie an Migranten hielt, war machtlos.

War Bouffiers Vorgehen nur ein Ausrutscher? Eine Dokumentation zum »Braunen Sumpf in der hessischen CDU«, die die Linke bereits im Dezember 2011 veröffentlichte, legt einen anderen Verdacht nahe: Kungeleien mit Faschisten gehören seit ihrer Gründung zum Repertoire der hessischen Christdemokraten. Alfred Dregger, einstiges NSDAP-Mitglied und von 1982 bis 1991 CDU/CSU-Fraktionssprecher im Bundestag, stand sinnbildlich für die »Stahlhelm-Fraktion« in der CDU, die in Hessen früh einen Rückzugsraum fand. Die Skandalrede des damaligen Fuldaer CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann zum »Tag der deutschen Einheit« 2003, in der er ein »jüdisches Tätervolk« ausmachte, führte zum Eklat und zum Parteiausschluß – jedoch erst nach internationaler Berichterstattung und einem Machtwort Angela Merkels.

Doch auch in der jüngeren Vergangenheit erschütterten immer wieder Skandale um Neonazis in den eigenen Reihen die Regierungspartei. Die Dokumentation listet die bekanntesten Fälle auf: Ende vergangenen Jahres enttarnte beispielsweise eine Recherche des hr-Magazins »defacto« den Schriftführer des CDU-Stadtbezirksverbandes Kassel-Nord, Daniel Budzynski, als langjähriges Mitglied des neofaschistischen (und vom Verfassungsschutz beobachteten) »Freien Widerstands Kassel«. In eben jenem Stadtbezirk, in dem Budzynski für die CDU tätig war, wurde im April 2006 der Internetcafé-Besitzer Halit Yozgat von NSU-Terroristen ermordet. Nach hr-Berichten verbreitete Budzynski unter dem – wenig originellen – Decknamen »Daniel Budze« rechte Propaganda im Internet. Nach Bekanntwerden der NSU-Morde, die die Terroristen in einem zynischen Bekennervideo mit der Zeichentricksendung »Paulchen Panther« feierten, verwendete Budzynski genau diese Comicfigur als Profilbild auf seiner Facebook-Seite. »Offensichtlich eine Solidaritätsadresse an die Zwickauer Terrorzelle«, schlußfolgerte »defacto«. Nur wenige Tage nach der Enttarnung »Budzes« trat der Riedstädter Stadtverordnete Sebastian Pella aus der CDU aus. Pella, bis dahin Mitarbeiter des CDU-Landtagsabgeordneten Günter Schork, publizierte jahrelang für Magazine der rechten Szene und verfaßte ein Buch über den Nazirassetheoretiker Ludwig Woltmann, das über einschlägige neofaschistische Webseiten verbreitet wurde. Seine CDU-Kreisvorsitzende Ursula Kraft nahm ihn im Darmstädter Echo in Schutz: »Auf keinen Fall steht Pella rechts der CDU«. Nach Lektüre der Dokumentation drängt sich der Verdacht auf, daß sie damit Recht hat.

* Aus: junge Welt, Montag, 2. Juli 2012

Dokumentation zum Download:

"Brauner Sumpf in der hessischen CDU"
Eine Dokumentation von Heidemarie Scheuch-Paschkewitz und Achim Kessler, Schwalmstadt und Frankfurt am Main




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