Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Im doppelten Kessel

Tausende Gegendemonstranten lassen Nazis in Dresden keine Chance

Von Hendrik Lasch, Dresden *

Im vierten Jahr in Folge sind die Nazis in Dresden mit ihrem Versuch abgeblitzt, das Gedenken an die Zerstörung der Stadt vor 68 Jahren zu vereinnahmen. Tausende Gegendemonstranten hielten sie bis spät in den Abend an mehreren Plätzen der Stadt in Schach.

Holger Apfel wartete vergebens. Der Chef der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag stand mit einem Häuflein Getreuer inmitten eines Polizeikessels in der Nähe der Dresdner Altstadt. Er wartete auf sein Fußvolk: einige hundert Rechtsextreme, die wie jedes Jahr seit Ende der 90er einen angeblichen Trauermarsch für die Opfer der Zerstörung Dresdens im Februar 1945 abhalten wollten. Doch die Kameraden kamen nicht.

Dafür verantwortlich waren Tausende Gegendemonstranten, die sie in zwei Kesseln über Stunden hinweg festgesetzt hatten. Sie sorgten dafür, dass sich ein größerer Trupp, der hinter dem Hauptbahnhof gesammelt worden war, gar nicht erst in Bewegung setzen konnte. Und sie blockierten einen zweite Gruppe von rund 400 Rechten, die zwar von einem zweiten Bahnhof aus in die Stadt abmarschiert waren, sich aber am Rand des Großen Gartens von über 1500 Menschen eingeschlossen fanden. Auch weitere große Kreuzungen auf der möglichen Route wurden von Hunderten Nazigegnern besetzt gehalten. „Die Nazis“, sagte DGB-Vize Markus Schlimbach, „laufen heute nicht.“

Damit waren die Blockaden, zu denen das Bündnis „Dresden nazifrei!“ aufgerufen hatte, schon zum vierten Mal erfolgreich: Seit 2010 sind die Nazis entweder blockiert oder aber zumindest stark eingeschränkt worden. Die diesjährigen Proteste übertrafen dabei die Erwartungen: Das Bündnis hatte erstmals nur regional mobilisiert und vorsichtig auf 2500 Teilnehmer gehofft. Bereits zu einem „Mahngang Täterspuren“, der mittags begonnen und an Orten ehemaliger NS-Institutionen vorbeigeführt hatte, nahmen aber 3000 Menschen teil. Beizeiten zeichnete sich auch ab, dass der ursprünglich für die Nazis reservierte Sachsenplatz von diesen nicht zu erreichen sein würde. An dem Platz liegt das Gericht, in dem kürzlich der Berliner Tim H. für seine Teilnahme an den Protesten 2011 zu 22 Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt worden war. Nicht weit entfernt befindet sich zudem ein Flüchtlingsheim.

Nicht wenige der Teilnehmer an den abendlichen Blockaden kamen indes auch direkt von der Menschenkette, zu der seit 2010 von der Stadt aufgerufen wird. Mit dieser Form des Protestes wolle man, wie Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) erklärte, einen „Schutzschild“ um die Innenstadt errichten. Die Resonanz auf den städtischen Aufruf war erfreulich groß: Wie schon im Jahr 2012, beteiligten sich rund 12.000 Dresdner Bürger; die Kette überspannte sogar zwei Elbbrücken. Die Botschaft hatte Orosz vorab unmissverständlich klar gemacht: Man wolle zeigen, dass „die Stadt Dresden, ihre Straßen und ihre Geschichte den Bürgern gehören und nicht den braunen Enkeln und Urenkeln der Brandstifter von einst“, sagte die Rathauschefin.

Für die Braunen wiederum, die 2012 nur einmal um den Block hatten laufen dürfen und bei denen es danach viel Frust gegeben hatte, erwies sich auch der erneute Versuch 2013 als eine Pleite. Zwar zog die Polizei am späten Abend massiv Kräfte um die beiden Kessel zusammen, in denen Nazis festsaßen. Vermutlich aber ging es nur noch darum, ihnen einen Rückzug und die Abreise zu ermöglichen. Die versuchte Vereinnahmung des Dresdner Gedenkens ist ein weiteres Mal gescheitert.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 14. Februar 2013


Rote Karte für Neonazis

Mahngang und Blockaden in Dresden: Tausende Menschen protestieren gegen neofaschistischen »Trauermarsch«. Linke-Vorsitzende kritisiert »sächsische Gesinnungsjustiz«

Von Markus Bernhardt **


Mehrere tausend Neonazigegner haben am Mittwoch in Dresden ein eindrucksvolles Zeichen gegen rechts gesetzt. Neofaschisten wollten am Abend, nach jW-Redaktionsschluß, wieder einmal durch die sächsische Landeshauptstadt ziehen. Mit einem »Trauermarsch« versuchten sie in der Vergangenheit am Jahrestag der alliierten Bombardierung der Elbmetropole 1945 einen angeblich gegen die Zivilbevölkerung gerichteten »Bombenholocaust« herbeizufabulieren. Gegen den erneuten Versuch nahmen über 3000 Antifaschisten bereits am Nachmittag am Mahngang »Täterspuren« teil. Dieser war vom Bündnis »Dresden nazifrei!« organisiert worden, das unter anderem von Gewerkschaftsgliederungen, Linkspartei, SPD, DKP und autonomen Antifaschisten unterstützt wird.

Der mittlerweile traditionelle Mahngang gegen rechts startete an der Bayrischen Straße in Dresden, wo sich während des deutschen Faschismus die Leitstelle der Gestapo befand, und führte zu weiteren symbolträchtigen Stätten der Stadt. Ihr Ende fand die Gedenkaktion am Henriettenstift, in dem während des Faschismus jüdische Bürgerinnen und Bürger Dresdens interniert worden waren, bevor sie ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert wurden. im Anschluß an den Gedenkgang zogen die Demonstranten zum Sachsenplatz, der als Auftaktort des Neonaziaufmarsches galt und blockierten diesen. Zu diesem Zeitpunkt war es an anderen Stellen der Stadt bereits zu Polizeiangriffen auf linke Demonstranten gekommen.

An dem Mahn- und Gedenktag nahmen auch mehrere hochrangige Politiker und Vertreter von Organisationen und Verbänden teil, darunter die Linke-Vorsitzende Katja Kipping, der Oberbürgermeister der Stadt Jena, Albrecht Schröter (SPD) und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) sowie Heinrich Fink und Cornelia Kerth in ihrer Funktion als Bundesvorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA). Auch die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde der Stadt, Nora Goldenbogen, und Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime in Deutschland waren mit auf der Straße. An der Spitze des Protestzuges trugen die Demonstranten ein Banner mit der Aufschrift »Täterspuren suchen statt Opfermythen pflegen«.

Linke-Chefin Kipping sagte gegenüber dapd: »Es ist eine gute und wichtige Sache, nicht nur der Opfer der Bombardierung, sondern auch der Opfer der faschistischen Gewalt zu gedenken.« Der Mahngang stehe diesmal zudem im Zeichen des Protests gegen die »sächsische Gesinnungsjustiz«. Die Politikerin kritisierte das Hafturteil gegen den antifaschistischen Demonstranten Tim H. Das Amtsgericht Dresden hatte den Berliner im Januar zu einem Jahr und zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Er soll beim Protest gegen Neonazis am 19. Februar 2011 in Dresden mit einem Megaphon zum Durchbrechen einer Polizeisperre aufgerufen haben.

Die neofaschistische Propaganda­aktion war in den vergangenen Jahren von der rechten »Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland« (JLO) organisiert worden und stellte bis 2009 die größte Demonstration von Neonazis in ganz Europa dar. Durch eine bundesweite Mobilisierung zu Massenblockaden gelang es Antifaschisten 2010 erstmalig, die Provokation zu verhindern. Dies gelang auch weiter, trotz harscher gegen Antifaschisten gerichteter staatlicher Repression.

www.dresden-nazifrei.com

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 14. Februar 2013


Zurück zur Seite "Rassismus, Neonazismus, Antifa"

Zurück zur Homepage