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Mordthese lässt Sicherungen durchbrennen

Polizeiaggression bei Trauerdemonstration zum siebenten Todestag von Oury Jalloh - auch Organisator schwer verletzt

Von Hendrik Lasch, Dessau *

In Dessau wurde am Wochenende an den siebenten Todestag von Oury Jalloh erinnert. Bei einer Demonstration von Flüchtlingsgruppen sorgte die Polizei für eine unnötige Eskalation.

Schon Kreideparolen reichten zum Einschreiten. Zwei Frauen versahen am Samstagmittag (7. Jan.) den Boden am Dessauer Bahnhofseingang mit Slogans. Vor dem Portal sammelten sich die Teilnehmer einer Demonstration, mit der an den Tod von Oury Jalloh vor sieben Jahren erinnert werden sollte. Der 21-Jährige aus Sierra Leone starb bei einem Feuer in einer Gewahrsamszelle der Polizei in Dessau. Die Umstände sind bis heute nicht geklärt; in Migrantenkreisen hält sich hartnäckig eine Überzeugung, die von den beiden Frauen aufgeschrieben wurde: »Oury Jalloh - das war Mord!« Der Text war noch nicht fertig geschrieben, da stürzten sich bereits Polizisten auf sie.

Der Vorfall setzte den Ton für den weiteren Nachmittag und eine Veranstaltung, die von ungewohnt gereizten Polizisten immer wieder behindert, angegriffen und bedrängt wurde. Anlass bot die Mordthese. Die ist alles andere als neu. Sie wird seit Jahren bei Demos in Dessau und anderswo skandiert; sie wurde in Gerichtssälen gerufen, in denen sich Polizisten wegen möglicher Mitverantwortung für den Tod des Flüchtlings verantworten mussten; sie ist auf Transparenten und im Internet zu lesen.

In diesem Jahr allerdings griff die Polizei hart durch. Angedeutet hatte sich das schon zwei Tage zuvor. Da erhielt Mouctar Bah, ein Freund Jallohs, der vor sieben Jahren maßgeblich auf eine Untersuchung des Todes drängte und seither ein wichtiges Mitglied der »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« ist, Besuch in seinem Dessauer »Telecafé«. Die Polizei gab ihm unmissverständlich zu verstehen, dass die Parole dieses Mal nicht geduldet würde.

Bah hat eine Vermutung, warum das so ist. In knapp zwei Wochen könnte am Landgericht Magdeburg der Prozess gegen einen Dienstgruppenleiter zu Ende gehen, gegen den dort seit Januar 2011 verhandelt wird. Im Dezember 2008 waren er und ein Kollege in einem ersten Verfahren in Dessau freigesprochen worden - zur maßlosen Enttäuschung der Migranten. Später kippte der Bundesgerichtshof das Urteil. Jetzt deutet nach 38 Verhandlungstagen viel auf eine Verurteilung des Beamten hin. Die Polizisten, vermutet Bah, »sind deshalb wohl sehr nervös«.

Wie groß ihre Gereiztheit ist, bekommt Bah am eigenen Leib zu spüren. Einen ersten Schlag ins Gesicht erhält er, als 100 martialisch vermummte Polizisten den im Aufbruch begriffenen Demonstrationszug umzingeln, um eines Plakats mit dem Mordslogan habhaft zu werden. Dieser wird, wie Dessaus Polizeipräsident Kurt Schneiber früher am Tag vor einer Fernsehkamera erklärt hatte, als »Tatsachenbehauptung« und mögliche »Verleumdung« interpretiert.

Mit gehöriger Verspätung setzt sich die Demonstration dann doch in Bewegung; die 200 Teilnehmer passieren dabei das Landgericht, in dem im Dezember 2008 die beiden Freisprüche verkündet wurden und der Vorsitzende Richter sich wegen offensichtlicher Lügen von Zeugen aus der Polizei zur Bemerkung genötigt sah, man lebe hier in Sachsen-Anhalt und nicht in einer »Bananenrepublik«. Weiter zog die Demo zu der Gedenkstele für Alberto Adriano, einen in Mosambik gebürtigen Familienvater, der vor fast zwölf Jahren im Stadtpark von drei Nazis ermordet wurde. Sie erreichte die Polizeiwache, vor der am Morgen bereits 50 Menschen Blumen niedergelegt hatten. Die Kreisoberpfarrerin Annegret Friedrich-Beerenbruch hatte dabei betont, auch die lange Zeit seit Oury Jallohs Tod habe »die Last nicht geringer werden und anklagende Fragen nicht verstummen lassen«.

Solche zugespitzten Fragen und nicht undenkbare Antworten formulieren auch die Demonstranten. Die Polizisten wollen sie nicht mehr hören - und greifen am Schluss noch einmal massiv durch. Nach Ende der Demonstration am Hauptbahnhof kommt es nochmals zu Übergriffen. Erneut wird versucht, das Transparent zu konfiszieren. Mouctar Bah wird so schwer verletzt, dass er die Nacht im Krankenhaus verbringen muss. Teilnehmer beklagen, gezielt sei gegen führende Aktivisten der Gedenkinitiative vorgegangen worden. Zu befürchten ist, dass die Aktion ein Echo haben wird - heute bei Protesten vor dem Magdeburger Gericht, vor allem aber bei einer möglichen Urteilsverkündung am 19. Januar. Als der Dessauer Richter im Dezember 2008 sein Urteil sprechen wollte, ging das in Tumulten nahezu unter.

* Aus: neues deutschland, 9. Januar 2012


Polizeiexzeß in Dessau

Von Gitta Düperthal **

Wenn sie Schwarze vor sich hat, sieht die Dessauer Polizei gerne mal rot: Bei einer Demonstration haben Beamte am Samstag nach Angaben von Teilnehmern in einer Prügelorgie regelrecht Jagd auf sie gemacht. Anlaß der Demo war der für den heutigen Montag vor dem Landgericht Magdeburg angesetzte neue Prozeß gegen einen Dienstgruppenleiter der Dessauer Polizei. Unter dessen Verantwortung war am 7. Januar 2005 der aus Sierra Leone stammende Asylbewerber Oury Jalloh in einer Polizeizelle verbrannt.

Der Dienstgruppenleiter und ein weiterer Beamter waren zunächst der fahrlässigen Tötung angeklagt worden, wurden aber im Dezember 2008 vom Landgericht Dessau freigesprochen. Nach Aufhebung des Urteils durch den Bundesgerichtshof steht jetzt die Neuverhandlung vor dem Landgericht Magdeburg an. Flüchtlingsorganisationen, Migrantenverbände und zahlreiche Juristen gehen davon aus, daß Oury Jalloh ermordet wurde: Auf eine Pritsche in der Arrestzelle gefesselt, war er verbrannt. Die Matratze soll er nach Polizeidarstellung mit einem Feuerzeug selbst angezündet haben – und das, obwohl er an Händen und Füßen gefesselt war.

Stein des Anstoßes war für die Polizei am Samstag (7. Jan.) die von ihr verbotene Parole »Oury Jalloh – das war Mord!«. Noch am Freitag hatte Dirk Vogelskamp vom Komitee für Grundrechte und Demokratie in Köln in jW klargestellt: Der Slogan ist nicht beleidigend, sondern drückt die Überzeugung von Bürgerinnen und Bürgern zum Tode von Oury Jalloh aus. Er sei somit durch die grundrechtliche Meinungs- und Redefreiheit gedeckt. Das habe auch das Landgericht Magdeburg bestätigt, sagte Mbolo Yufanyi, Sprecher der Flüchtlingsorganisation The voice Berlin zur jW. Eine Bestätigung dafür konnte am Wochenende jedoch nicht eingeholt werden.

Youfanyi berichtete weiter, die Polizei habe in einem »wahren Gewalt­exzeß« auf die etwa 200 Teilnehmer der Demo eingeprügelt und 30 von ihnen verletzt. Besonders schlimm habe es den Demo-Anmelder und Gründer der Dessauer »Oury-Jalloh-Initiative«, Mouctar Bah, getroffen: Während er noch versucht habe, das Aktenzeichen des Landgerichtsbeschlusses aus seiner Tasche zu kramen, hätten Beamte ihm Pfefferspray in die Augen gesprüht und ihn bewußtlos geschlagen.

Auch er selbst und andere Sprecher der »schwarzen Community« seien gezielt angegriffen worden, berichtete Youfanyi weiter. Begonnen habe die Auseinandersetzung schon im Dessauer Bahnhof, als die Polizei versucht habe, Transparente mit der Aufschrift »Oury Jalloh – das war Mord« zu beschlagnahmen. Bereits zu diesem Zeitpunkt hätten die in Kampfmontur auftretenden Polizisten eine Frau geschlagen, die den Slogan mit Kreide auf den Boden habe schreiben wollen.

Eine Hamburger Aktivistin wurde laut Youfanyi mit dem Kopf brutal gegen eine Wand gestoßen, andere wurden ins Gesicht geschlagen. Weitere Zeugen berichteten von grundlosen Angriffen der Polizisten sowie von Prügel für einen Arzt und einen Fotografen.

** Aus: junge Welt, 9. Januar 2012


Sieben lange Jahre

Von Hendrik Lasch ***

Sieben Jahre sind vergangen, seit Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte. Ein 21 Jahre junger Mann, der den ärmlichen Verhältnissen in seiner Heimat entflohen war, um eine bessere Zukunft zu finden. Er kam um in der Obhut von Beamten, deren Aufgabe es ist, für Sicherheit zu sorgen. In diesem Fall haben sie dramatisch versagt.

Das freilich ist eine moralische Bewertung; auf ein juristisches Urteil warten die Familie des Opfers wie auch viele Flüchtlinge in Dessau und anderswo immer noch. Lange dauerte es, bis überhaupt eine Anklage geschrieben wurde. 21 Monate zog sich danach der erste Prozess hin. Am Ende wurden zwei Angeklagte freigesprochen; der Richter sprach angesichts dreist lügender Polizisten von einer »Bananenrepublik«. Immerhin sorgte der BGH 2008 dafür, dass der peinliche Prozess nicht den Schlusspunkt setzte. Seit Januar 2011 wird erneut verhandelt.

Freilich: An der Ausgangsthese hat sich nichts geändert. Jalloh, beharrt die Anklage, hat - obwohl an Händen und Füßen gefesselt - die Matratze, auf der er lag, selbst angezündet. Der Dienstgruppenführer, der vor Gericht steht, habe zu behäbig reagiert, um ihn aus den Flammen retten zu können. Selbst falls der Mann in zwölf Tagen verurteilt wird, ist abzusehen, dass kein (Rechts-)Frieden einkehrt. Die Gedenkinitiative spricht schon jetzt von einem »Bauernopfer« und moniert, ihr Mordvorwurf sei nie ernsthaft untersucht worden. Derlei Verdächtigungen hatten sieben lange Jahre Zeit, sich in den Köpfen festzusetzen. Und anders als viele Zeugen und Teile der Öffentlichkeit, werden die Migranten nicht vergessen können und wollen, was 2005 in Dessau geschah.

*** Aus: neues deutschland, 9. Januar 2012 (Kommentar)


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