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Auf Diebstahl aufgebaut

Rüdiger Hachtmann über die Deutsche Arbeitsfront als ein Wirtschaftsimperium

Von Dietrich Eichholtz *

Es ist ein gründlich recherchiertes Buch, das in wenig bearbeitete Felder der Geschichte von 1933 bis 1945 führt. Die wirtschaftlichen Unternehmen der »Deutschen Arbeitsfront« (DAF) haben bisher selbst bei ausgewiesenen Faschismusforschern nicht gerade vordringliches Interesse gefunden. Rüdiger Hachtmann ist ein solcher Fachmann, und er untersucht ein Thema, das zum Verständnis des faschistischen Imperialismus deutscher Provenienz Wesentliches beiträgt. Auch wenn er beide Begriffe - »Imperialismus« und »Faschismus« - nicht liebt.

Knapp formuliert: Wichtigster Auftrag des Nazifaschismus war es 1933, die Arbeiterbewegung und vor allem ihre revolutionäre Vorhut zu vernichten. Womöglich wirksamer noch als die Entfesselung von Terror und Mord an Zehntausenden war es, dass Hitler einen seiner treuesten Paladine, den »Reichsorganisationsleiter« Robert Ley, damit bevollmächtigte, Arbeiter- und Gewerkschaftsorganisationen zu zerschlagen und zu berauben und stattdessen die Zwangsorganisation der »Deutschen Arbeitsfront« zu schaffen, die die Arbeiterklasse weitgehend wehrlos machte und in zwölf Jahren Faschismus und Krieg deren Klassenbewusstsein zerstörte.

Ley war kein Dummkopf, und sein Meisterstück war es, aus dem geraubten Geld und dem Eigentum der Arbeiter- und gewerkschaftlichen Organisationen sowie ferner aus anderen Erwerbungen wie Versorgungsunternehmen, Konsumgenossenschaften oder Wohnungsbauunternehmen ein vielgestaltiges wirtschaftliches Imperium zu zimmern - vergleichbar sowohl dem einen oder anderen großen privaten deutschen Konzern, aber auch neuen faschistischen Gebilden wie dem SS-Konzern, dem Hermann-Göring-Konzern oder dem Großunternehmen des Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt. Bemerkenswerte Charakteristika aller Teile des Konzerns, der per Erlasse des »Führers« nur Leys eigentümlicher persönlicher »Pflegschaft« unterstand, waren die Einbindung in die herrschende monopolistische Konkurrenzwirtschaft, die »Entjudung« und die Entfernung politisch unliebsamer Arbeiter und Angestellter sowie die Besetzung der Leitungsfunktionen durch Ley ergebene »Alte Kämpfer«, in der Regel jung, rücksichtslos und unerfahren.

Hachtmann betont, dass die Unternehmenseinheiten des »Imperiums« selbständig und weitgehend unabhängig als kapitalistische Unternehmen fungierten, ohne jedweden Charakter als Staatsbetrieb oder gar als (quasi-)sozialistischer Betrieb. Sie beschäftigten im Krieg Zwangsarbeiter aus verschiedenen deutsch besetzten Ländern und bauten das Zwangsarbeitssystem in besonderer Arbeitsteilung mit dem »Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz« Fritz Sauckel aus.

Der Autor behandelt die Hauptbestandteile des »Wirtschaftsimperiums«, das sich schließlich ausnimmt wie ein Sammelsurium, aber durchaus mit dem Umfang eines Großkonzerns, von dessen Dutzenden Einzelteilen dem heutigen Zeitgenossen noch einige der größeren ein Begriff sind. Dem Rezensenten fallen ein: das Volkswagenwerk (Porsche/Piech), die »Neue Heimat«, ein Komplex von Wohneinheiten in mehr als 40 Wohngesellschaften dieses Namens, und das Monstrum der Nazi-Organisation »Kraft durch Freude« (KdF), das »Bad der Werktätigen« in Prora auf Rügen. Im Gedächtnis bleiben wird dem Leser als besonderer Fall die »Arisierung« und Enteignung des Berliner Theater-Konzerns, der bis März 1933 unter der Ägide des großen Regisseurs Max Reinhardt stand und dann in die Hände der KdF und des Goebbels-Ministeriums geriet.

Das finanzielle »Dach« des Imperiums war die »Bank der Deutschen Arbeit«, die vormalige Arbeitsbank der sozialdemokratischen und freigewerkschaftlichen Arbeiterbewegung. Die enorme Aktivität dieser Bank in allen Bankgeschäften führte sie in die Reihen der drei privaten deutschen Spitzenbanken, wo sie in der Bilanz- und der Einlagensumme schließlich sogar die Commerzbank überflügelte. Nach Hachtmann zog die »Bank der Deutschen Arbeit« bald die Gesamtheit der (Zwangs-)Beiträge der DAF-Mitglieder ein. Damit erklärt sich freilich leicht - bei 25 Millionen Mitgliedern - die Größe jener Summen. Die möchte man indes gern genauer aufgeschlüsselt sehen.

Wenn wir als Fazit erkennen, dass die Zerstörung des Arbeiterbewusstseins und des Milieus des Klassenkampfes, die »Entjudung« sowie Krieg, Expansion und Zwangsarbeit die wesentlichen und unabdingbaren Voraussetzungen für den Aufbau des »Wirtschaftsimperiums« der DAF waren, so verschafft uns das Buch noch einen anderen, vom Verfasser weniger überzeugend reflektierten Eindruck. Das Angebot, das die Unternehmen dieses Imperiums mit bedeutendem Werbe- und öffentlichem Propagandaaufwand der breiten Bevölkerung machten - außer den »Nichtariern«, anderen »Gemeinschaftsfremden« und natürlich den erkennbaren Antifaschisten - , war durchaus auf deren Bedürfnisse ausgerichtet. Es hielt sogar ausschweifende Vorstellungen darüber parat, welche vielversprechende großdeutsche Zukunft man nach Krieg und Sieg die Deutschen erwarten dürfte.

Was die DAF-Unternehmen den »Volksgenossen« anboten, war, abgesehen von annähernd 200 000 Arbeitsplätzen, »Sicherheit« (über eigene große Versicherungsunternehmen, genannt »Volksvorsorge«), Wohnungen (über eigene Wohnungsgesellschaften, Bau- und Siedlungsgenossenschaften, »Sonderbau«), Versorgung (über Verbrauchergenossenschaften; »Deutsches Gemeinschaftswerk«) sowie faschistische Kultur (eigene Literaturverlage; Zentralverlag der DAF) und Erholung (KdF). Bis Kriegsende strickte Ley an Plänen »für künftige Friedensaufgaben«, darunter ein »Volkskühlschrankwerk«, »Volkstraktorenwerk«, Werften-Imperium für den KdF-Schiffbau sowie ein (staatliches) »Gesundheitswerk«. Die Billigung Hitlers für Leys Imperium und seine weiteren Pläne scheint festzustehen; er verbot erst nach Stalingrad, weitere »Friedensaufgaben« zu planen.

Hachtmann definiert Leys Vorhaben als »einzigartig« und ihn selbst bzw. die DAF als »volksgemeinschaftlichen Dienstleister«. Das greift zu kurz. Denn jedes faschistische Regime ist - ähnlich heute neofaschistischer Populismus - darauf angewiesen, neben seiner Vernichtungs- und Ausgrenzungsideologie und -politik auch eine Strategie zu entwickeln, die terrorisierten und ausgeraubten Massen durch Versprechungen, auch durch ausgewählte Vergünstigungen an sich zu binden und sie an die unumschränkte Herrschaft des Regimes zu gewöhnen. Gerade hierzu wären weitere, internationale Untersuchungen der Faschismusforschung nötig.

Rüdiger Hachtmann: Das Wirtschaftsimperium der Deutschen Arbeitsfront 1933-1945. Wallstein Verlag, Göttingen 2012. 710 S., geb., 49,90 €.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 12. Juli 2012


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