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Die Angst vorm Fremden wird wieder gesellschaftstauglich

Berliner Bezirksbürgermeister tritt in Sarrazins Fußstapfen: Neuköllner Initiativen und Vereine wehren sich gegen Verunglimpfung ihrer Arbeit

Von Sarah Liebigt *

Die Bezeichnung »Problembezirk« hängt wie angenagelt am Berliner Stadtteil Neukölln. Die Vorurteile gegenüber den Menschen, die dort leben und arbeiten, hat Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) in einem Buch zusammengefasst. Die darin Angesprochenen wehren sich. In der Donaustraße, ein paar Schritte entfernt vom U-Bahnhof Neukölln, liegt eine kleine Kneipe, in der es neben dem obligatorischen Bier auch Schmalzstullen mit Radieschen gibt und Butterbrote mit Schnittlauch. Das »Valentin Stüberl« und seine Schwesterkneipe, das »Liesl«, sind nur zwei von zahllosen Kneipen im Stadtteil Neukölln. Ein paar Straßenzüge weiter eröffnete vor einer Weile eine dieser gemütlichen, ein bisschen »unsanierten« Lesekneipen. Linke Buchverlage, die Zeitung »jungle world« und andere laden dorthin zum Zuhören, Tanzen und Trinken. Auf den Hauptstraßen reihen sich Obst- und Gemüseläden an Internetshops, Spätis und Bäckereien. Neukölln ist ein Bezirk wie Kreuzberg, wie Prenzlauer Berg, wie Mitte: Alltagshektik, ergänzt um das für den jeweiligen Kiez typische Straßenbild zwischen Hipsterschick, Touristenmassen und die von alldem unbeeindruckten Berliner und Berlinerinnen.

Es braucht diese Einleitung für einen Text, der sich der lokalpolitischen Beurteilung dieses Stadtteils widmet. Denn Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) gilt neuerdings als weiterer großer Experte in Sachen Integration und Multikulti. Dinge, die seiner Meinung nach gescheitert und den Problemen seines Bezirkes immanent sind. Er hat ein Buch geschrieben, in welchem er »seinen« Bezirk einmal von vorn bis hinten durch die Mangel dreht.

Zahlreiche Initiativen, Gruppen und Vereine, die mit genau den Menschen arbeiten, die der Bezirksbürgermeister per Pauschalurteil für kriminell oder gescheitert erklärt oder anders mit negativem Urteil bedenkt, kritisieren »ihren« Bezirksbürgermeister nun aufs Schärfste.

»Buschkowsky treibt einen Keil zwischen die Neuköllner und Neuköllnerinnen«, sagt Robert Strauch von medipack, einem Mediatorenteam. »Er soll die vorhandenen Probleme als soziale Probleme erkennen, nicht als ethnische«, fordert der junge Mann und bringt damit die wesentliche Kritik auf den Punkt. Rund zehn Initiativen und Gruppen luden zum Hintergrundgespräch nach Neukölln ein.

»Buschkowsky hat eine große Medienwirksamkeit. Jugendliche lesen das und fragen sich, wieso sie sich da noch einbringen sollen«, so Nicole Bromann, ebenfalls von medipack. »Wir können dieses Buch lesen und uns ärgern. Das ist kein Mensch, der viel Hintergrundwissen hat, das ist ein Mitläufer nach Sarrazin, der will Geld verdienen«, sagt Ghossan Hajjo von der arabischen Elternunion.

»Was beim Leser hängen bleiben wird, sind die Ansammlung von Negativbeispielen und die unzähligen pauschalen Diffamierungen: ›Wozu braucht meine Tochter die Schule? Sie soll eine gute Hausfrau und Mutter werden.‹« Eine laut Buschkowsky durchaus gängige Antwort auf die Frage eines Sozialarbeiters, so Barbara John, Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin. »Und warum sollten die ohnehin oft strapazierten Schulpädagogen und Sozialarbeiter sich noch mehr anstrengen, wenn angeblich Integration nach Buschkowsky von den meisten Familien verweigert wird?«

»Fakt ist: Neukölln ist ein Bezirk, der sich mit massiven Problemen konfrontiert sieht. Fakt ist: Ein Großteil der Nordneuköllner Bevölkerung ist von Armut bedroht oder betroffen«, konstatiert Deniz Eroglu von den Neuköllner Talenten. Er nennt beispielhaft einige weitere Punkte und macht deutlich, dass die Anwesenden sich der Probleme im Bezirk durchaus bewusst sind. In der Runde wird genickt: Gäbe es im Bezirk keine Probleme, gäbe es auch keinen Bedarf an ihrer Arbeit.

Doch Heinz Buschkowsky weist alle Verantwortung von sich. Er fordert beispielsweise, dass die Kinder früh in den Kindergarten kommen, »aber er als Bezirksbürgermeister tut nichts dafür, mehr Kitaplätze zur Verfügung zu stellen«, sagt Elfi Witten.

»Es wird wieder gesellschaftsfähig, Angst vor Fremden zu haben«, kommentiert Idil Efe (Neuköllner Talente) das Buch und seine Wirkung. »Wenn der Klaus aus der Kneipe um die Ecke dieses Buch geschrieben hätte, dann wäre das eine Einzelmeinung«, wie Asia Afaneh-Zureiki. Projektleiterin JUMA es umschreibt. Aber es sei eben der Bezirksbürgermeister, der bundesweit gehört und ernstgenommen werde. Und der dieses »Dickicht von Vorurteilen« wie eine Glocke über Neukölln legt.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 01. November 2012


Sie kommen als Biedermänner

Begleitet von Protest startet die NPD ihre Hetztour gegen Migranten in Sachsen

Von Hendrik Lasch, Chemnitz **


Mit einer »Aktionswoche« hetzt Sachsens NPD gegen Ausländer und Muslime. Obwohl es etwa in Chemnitz viel Protest gab, ist zu befürchten, dass Ressentiments geschürt werden.

Der Vorsitzende des türkischen Kulturvereins in Chemnitz hat seine Leute nach Hause geschickt. »Man weiß nicht, was passiert«, sagt der Mann, der nur »Isi« genannt werden will. Er steht im kalten Nieselregen vor dem unauffälligen Vereinshaus neben dem Chemnitzer Theater. Vor ihm ein Kordon von Polizeifahrzeugen. Dahinter parkt ein Lkw, den die NPD gechartert hat. »Asylmissbrauch und Islamisierung stoppen«, ist in grellen Lettern auf die Seitenwand geschrieben. Die Partei veranstaltet eine »Aktionswoche«, mit der, wie aus dem Megafon zu hören ist, das Grundrecht auf Asyl gekippt werden soll. Nicht so offen ausgesprochen wird das eigentliche Ziel: Die Rechten wollen Ressentiments gegen Ausländer schüren und davon nicht zuletzt bei Wahlen profitieren.

Der türkische Kulturverein kommt wohl gerade recht als vermeintlicher Hort der »Islamisierung«. Er ist am Dienstag zweiter Ort der NPD-Tour, die vor der zentralen Aufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge am Stadtrand von Chemnitz begann, abends in Plauen fortgesetzt wurde und bis Samstag noch durch Leipzig und Dresden, Pirna, Kamenz, Radebeul und Riesa führt. Überall versucht die NPD, so nahe wie möglich vor Moscheen oder Heime zu gelangen, in denen Flüchtlinge untergebracht sind. Überall versucht sie, diese als Gefahr für Sicherheit und Wohlstand in Deutschland, als »Schmarotzer« zu diskreditieren.

Der Kulturverein wird in Chemnitz nicht als Gefahr empfunden, eher als Bereicherung. »Wir sind ein offenes Haus«, sagt Isi. Seit 1994 gibt es den Verein, der nicht nur für Türken da ist. Zum Freitagsgebet kommen Menschen mit 27 Nationalitäten; bei Festen sind auch Chemnitzer ohne muslimischen Glauben willkommen. Um den Charakter des Islam zu veranschaulichen, breitet der Chef des Vereins die Arme sehr weit aus. Aber, fügt er hinzu, »das wissen die da drüben nicht.«

Besser: Sie wollen es nicht wissen. Der NPD geht es darum, Stimmung zu machen. Zwar rufen Redner wie der Landtagsabgeordnete Andreas Storr oder Michael Schäfer, der Bundeschef der Jungen Nationaldemokraten, nicht offen zu Gewalt auf. Doch »wir empfinden das als Angriff«, sagt Vereinschef Isi. Bisher, sagt er, habe sein Verein ungestört gearbeitet. Ob das so bleibt? Er zuckt die Schultern. Die Gefahr sei, sagen Beobachter, dass sich Gleichgesinnte der Braunen zu Übergriffen ermutigt fühlen. »Sie kommen als Biedermänner«, sagt die Grünen-Stadträtin Petra Zais über die NPD, »und sind doch Brandstifter.«

Das sehen viele ähnlich. Den 35 NPD-Aktivisten, meist Abgeordnete und Mitarbeiter der Landtagsfraktion, stehen in Chemnitz gut 150 Gegendemonstranten gegenüber, unter ihnen Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig. Es sei »schlimm, dass die NPD so eine dämliche Kampagne machen und gegen das Grundrecht auf Asyl hetzen darf«, sagt die SPD-Politikerin und dankt denen, die »an diesem hässlichen Tag« dagegen auf die Straße gehen. Überall entlang der NPD-Tour wurden Aktionen geplant. Die Zuwanderer sollen nicht mit den geistigen Brandstiftern allein gelassen werden.

Diese können indes auch anknüpfen an Signale und Entscheidungen der herrschenden Politik, sagt Ali Moradi, der Vorsitzende des sächsischen Flüchtlingsrates. Er warnt in Chemnitz vor einer Stimmung »wie vor 20 Jahren in Rostock-Lichtenhagen« und erinnert an die massiven Übergriffe auf dortige Flüchtlingsheime, was auch mit bundespolitischen Entscheidungen zu tun gehabt habe. Wer sich um Asyl bewirbt, landet in der Regel in Heimen, die oft überfüllt sind und wo sich Probleme ballen. Würden Migranten indes in Wohnungen leben, könnten ihre Nachbarn sehen, dass sie »lachen, weinen, essen; dass sie Menschen sind wie alle anderen auch«, sagt Moradi. Statt dessen werden Hunderte Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen jahrelang in Heime gezwängt - ein Nährboden für Konflikte.

Die nutzt die NPD aus - und zwar nicht ohne Erfolg. »Ich habe mit denen nichts am Hut«, sagt ein Anwohner in Chemnitz, »aber Recht haben sie trotzdem«. Vielleicht sollte er statt auf die Braunen lieber auf den Alten Fritz hören. »Wenn die Türken und Heiden kämen und wollten unser Land peuplieren«, also bevölkern, »so wollten wir für sie Moscheen und Kirchen bauen«, wurde der Preußenkönig auf einem Plakat zitiert. Das, so heißt es weiter, sollten sich die »nationalistischen Rotzlöffel« hinter die Ohren schreiben.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 01. November 2012


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