Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Unfreier Freistaat

Jahresrückblick 2012. Heute: "Sächsische Verhältnisse": Justiz geht gegen Linke und kritische Journalisten vor

Von Markus Bernhardt *

Auch das ausklingende Jahr war in Sachsen geprägt von einem harten Vorgehen der Justizbehörden gegen Antifaschisten und Bürgerrechtler. Prominentestes Opfer einer offensichtlich politisch motivierten Justizposse wurde André Hahn, ehemaliger Fraktionsvorsitzender der sächsischen Linken im Landtag. Begleitet von über Monate hinweg anhaltendem medialen Begleitgetöse machte die Dresdner Staatsanwaltschaft dem heutigen innenpolitischen Sprecher seiner Fraktion den Prozeß wegen eines angeblichen »Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz«. Hahn hatte sich 2010 an den vom bundesweiten Bündnis »Dresden nazifrei« organisierten antifaschistischen Protesten beteiligt. Damals war es mehreren tausend Nazigegnern in Dresden erstmalig gelungen, einen bis dahin über viele Jahre erfolgreichen Aufmarsch von mehreren tausend Neofaschisten durch friedliche Massenblockaden zu verhindern.

Tatsächlich befand sich Hahn zu dem Zeitpunkt, als der Aufmarsch der Neonazis starten sollte, gar nicht mehr bei den antifaschistischen Massenblockaden, sondern – wie auch mehrere Fernsehberichte und Bildaufnahmen belegten – gemeinsam mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU) bei einer Menschenkette auf der anderen Elbseite. Zwar wurde das Verfahren gegen den linken Spitzenpolitiker letztendlich im November eingestellt. Weitere Strafverfahren wegen der Dresdner Blockadeaktionen stehen jedoch an, unter anderem gegen den Rechtspolitiker der Linksfraktion, Klaus Bartl, aber auch andere Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen und Linkspartei – nicht nur aus Sachsen – an. So halten die Justizbehörden aktuell noch immer an dem Verfahren gegen Bodo Ramelow, den Linksfraktionschef im Thüringer Landtag, fest. Entsprechende Ermittlungen gegen die hessischen Linken-Fraktionsvorsitzenden Janine Wissler und Willy van Oyen wurden erst kürzlich eingestellt.

Auch gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König will die Behörde Ende März 2013 wegen »aufwieglerischen Landfriedensbruches« Anklage erheben, wie die Staatsanwaltschaft jüngst mitteilen ließ. König soll bei den antifaschistischen Protesten gegen den geplanten Nazigroßaufmarsch am 19. Februar 2011, der wie bereits im Vorjahr durch Massenblockaden verhindert worden war, Demonstranten über den Lautsprecherwagen der »Jungen Gemeinde« zur Gewalt gegen die eingesetzte Polizei aufgestachelt haben. Fernab dessen wird in der sächsischen Landeshauptstadt noch immer wegen einer angeblichen »Bildung einer kriminellen Vereinigung« gegen mehrere Antifaschisten ermittelt.

Datenschutz stört ...

Neben den meist linken Politikern, die Opfer der staatlichen Kriminalisierungs- und Einschüchterungsstrategie wurden, waren in diesem Jahr auch wieder bundesdeutsche Durchschnittsbürger Opfer des sächsischen Überwachungswahns. So war es – ohne das Gros der Betroffenen im Nachhinein überhaupt zu informieren – rund um die antifaschistischen Proteste am 19. Februar 2011 im Rahmen von sogenannten Funkzellenabfragen zur Speicherung und Überprüfung von über einer Millionen Verkehrs- und Bestandsdaten von Mobilfunknutzern gekommen. Sang- und klanglos hatte die Staatsanwaltschaft Bautzen von Betroffenen angestrebte Verfahren im Oktober diesen Jahres eingestellt, die Anzeigenerstatter jedoch nur nach und nach zaghaft und mit deutlicher Verspätung darüber informiert. Kritik – unter anderem vom sächsischen Datenschutzbeauftragten – löste dabei die Einstellungsverfügung der Behörde aus. So nannte diese darin die Klarnamen von Antifaschisten, denen sie – teils detailliert – gezielte Angriffe gegen Neofaschisten zur Last legte. Ein neuerlicher Prüfungsvorgang seitens der Datenschutzbehörde ist bereits eingeleitet.

Unverständnis für das ganz offensichtlich politisch motivierte und willkürliche Vorgehen der Dresdner Staatsanwaltschaft äußerte auch das antifaschistische Bündnis »Dresden nazifrei«, das auch im kommenden Februar einen erneut drohenden Naziaufmarsch kleineren Ausmaßes verhindern will. »Die Staatsanwaltschaft Dresden ist Teil des Systems, das gemeinhin als ›Sächsische Demokratie‹ bekannt ist: Sie geht mit politischer Willkür gegen unliebsame Personen und Strukturen vor, die von weiterem Zivilen Ungehorsam und Kritik abgehalten werden sollen«, so das Bündnis in einer Erklärung.

... Pressefreiheit auch

Indes waren es keineswegs nur Linke und Antifaschisten, die Opfer der offensichtlich in einigen Fällen von der aus CDU und FDP instruierten Staatsanwaltschaft wurden. So gingen die Ermittlungsbehörden auch weiterhin gegen Journalisten vor, die sich der Aufklärung der Aktivitäten von kriminellen Netzwerken in Sachsen in den 1990er Jahren verschrieben haben. Bereits 2007 waren Vorwürfe öffentlich geworden, denen zufolge Politiker aller etablierter Parteien – mit Ausnahme der Linken – sowie Bedienstete von Polizei und Justiz, Teil eines kriminellen Netzwerkes im Freistaat gewesen sein sollen, dem unter anderem Verrat von Dienstgeheimnissen, Korruption, Verstrickung in Kinderprostitution und dubiose Mordanschläge bzw. angebliche Selbstmorde zur Last gelegt werden.

Während Staatsanwaltschaft, weite Teile der bürgerlichen Medien und die Landes-CDU gegen die Aufklärer der »Sachsensumpf«-Affäre vorgingen, wurden die Drahtzieher der kriminellen Machenschaften bis heute nicht juristisch belangt. Ganz anders hingegen erging es den freien Journalisten Thomas Datt und Arndt Ginzel, die 2010 wegen ihrer Berichterstattung zum sogenannten Sachsensumpf vom Amtsgericht Dresden wegen »übler Nachrede« zu Geldstrafen von je 2500 Euro verurteilt wurden. Sie hatten für Zeit online und den Spiegel über zwei ranghohe Richter berichtet, die in den 1990er Jahren Freier im damaligen Leipziger Kinderbordell »Jasmin« gewesen sein sollen. Zwar wurden beide Journalisten am 10. Dezember vom Landgericht Dresden freigesprochen, die Staatsanwaltschaft legte jedoch umgehend Revision gegen den ergangenen Urteilsspruch ein. Dies, obwohl auch zwei Frauen, die in ihrer Kindheit zur Prostitution gezwungen worden waren, ausgesagt hatten, die beiden Justizbeamten als frühere Freier wiedererkannt zu haben.

Die sächsische Justiz samt ihrer Weisungsgeber aus der Staatsregierung habt unterdessen auch in diesem Jahr alles gegeben, ihr Verständnis von »Demokratie« und »Rechtsstaat« nach eigenem Duktus weiter auszubauen und ihrem ramponierten Ruf erneut gerecht zu werden. Schließlich hatte der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle bereits zu Beginn diesen Jahres in einem Interview mit dieser Zeitung konstatiert, daß gegenüber Sachsen »selbst Bayern ein Hort des Liberalismus« sei.

Zu einem ähnlichen Schluß war in der Vergangenheit auch der Berliner Geschichtsprofessor Wolfgang Wippermann gekommen. Er bezeichnete den Freistaat als das »rechtskonservativste und unfreieste Bundesland der Republik«. »In Sachsen geschehen Dinge, die könnte sich George Orwell nicht einmal vorstellen«, hatte Wippermann außerdem konstatiert.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 02. Januar 2013


Zurück zur Seite "Rassismus, Neonazismus, Antifaschismus"

Zurück zur Homepage