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Söldner im Dienste des "Shareholder Value"

Von Peter Linke

Nachfolgender Artikel von Peter Linke erschien am 26. Mai in der Wochenzeitung "Freitag" unter dem Titel "Boom des modernen Söldnertums. Konfliktregulierung, wenn es dem ´Shareholder value´ nützt". Nachfolgend der Beitrag, unwesentlich gekürzt.

Spätestens mit der Ausbildung saudischer Militärs durch David Stirlings WatchGuard International Ende der sechziger Jahre beginnt das Zeitalter des modernen Söldnertums und privater Militäragenturen (PMA). Allerdings sollte es noch gut zwei Jahrzehnte dauern, bis PMAs zu einer Massenerscheinung werden: Executive Outcomes, Combat Force, Honey Badger Arms and Ammunition, Shield Security, Longreach Security, Military Professional Resources Incorporated, AirScan Inc. ..., die Neunziger erleben einen wahren PMA-Boom: Gegen Ende des Jahrzehnts operieren allein in Afrika mehr als 90 Söldneragenturen, aber auch in Zentralasien und Südosteuropa sind sie allgegenwärtig. Von 1995 bis 2000 wuchs die Branche jährlich um acht Prozent. Für das laufende Jahr wird ein Gesamtgewinn von 62 Millionen Dollar erwartet, bis 2005 soll dieser auf knapp 90 Millionen ansteigen.

Der jüngste Söldnerboom ist direktes Resultat einer Reihe wichtiger Entwicklungen in den internationalen Beziehungen nach Ende des Ost-West-Konflikts. Dazu zählen drastische Streitkräftereduzierungen - weltweit von zirka 10,1 (1990) auf 5,3 (1998) Millionen Soldaten - ebenso wie das nachlassende Interesse des Westens an gut ausgebildeten Armeen in der Dritten Welt: So reduzierte Großbritannien die Zahl seiner Militärberater weltweit von 599 (1987) auf 455 (1997), während Frankreich sein "Afrikakorps" 1998/99 um 40 Prozent auf 5.000 Mann zusammen strich.

Wachsende Zweifel an der Effizienz von UN-Peace-Keeping-Missionen kommen hinzu - besonders nach Somalia 1993/94 warnte Präsident Clinton, Washington werde "friedenserhaltende" Maßnahmen der UNO künftig nur noch dann unterstützen, wenn diese der internationalen Sicherheit nützten oder von nationalem Interesse seien. Damit schien er nicht wenigen UN-Mitgliedern aus der Seele gesprochen zu haben. Jedenfalls ging der Bestand an UN-Peace-Keeping-Personal zwischen 1994 und 1997 von 76.000 auf 19.000 zurück.

Kampfeinsatz in Angola

Hunderttausende arbeitslose Militärs, eine sich zuspitzende sicherheitspolitische Situation in vielen Ländern der Dritten Welt sowie vorzügliche ökonomische Möglichkeiten, im militärtechnologischen Bereich gewaltig Kasse zu machen, das ist der Boden, auf dem private Militäragenturen und Privatarmeen gedeihen - und dies in vielerlei Form tun.

Da ist zum einen die eher "traditionelle" PMA mit Zugriff auf militärisches Personal, dessen Qualifikation ausreicht, einfache Soldaten auszubilden und zu führen. In der Regel handelt es sich dabei um demobilisierte Offiziere großer Armeen, seltener um einfache Infanteristen. Ein gutes Beispiel für eine derartige PMA ist Executive Outcomes (EO), gegründet Ende der achtziger Jahre von Eeban Barlow, Ex-Aufklärungsoffizier im berüchtigten 32. Bataillon der Südafrikanischen Armee (SADF). Ihren ersten großen Vertrag schloß EO 1992 in Angola ab: Für 30 Millionen Dollar schützte sie die strategisch wichtigen Soyo-Ölfelder gegen Jonas Savimbis UNITA. Für weitere 60 Millionen drillte sie zwischen 1994 tausende angolanische Regierungssoldaten und kommandierte deren Einsatz gegen die Savimbi-Truppen. 1995/96 engagierte sich EO in Sierra Leone: Für 60 Millionen Dollar half sie Premier Valentine Strasser in dessen Kampf gegen die Revolutionäre Einheitsfront (RUF) ... - Eine weitere "klassische" PMA ist Sandline International, Mitte der Neunziger gegründet von Timothy Spicer, einem hochrangigen britischen Offizier und Ex-UN-Peace Keeper in Bosnien. Nach einem eher erfolglosen Versuch Anfang 1997, der Regierung von Papua-Neuguinea für 36 Millionen Dollar bei einem Schlag gegen die Unabhängigkeitsbewegung zur Hand zu gehen, verlegte Spicer seinen Aktionsradius nach Sierra Leone, wo er mithalf, den 1997 gestürzten Präsidenten Ahmad Tejan Kabah zurück ins Amt zu schieben.

Soziale Hängematte für Ex-Militärs

Eine andere, viel jüngere Gruppe von PMAs beschäftigt sich ausschließlich mit der Ausbildung von militärischem Führungspersonal. Ihr Service umfasst in der Regel alles, was für das Funktionieren von Generalstäben entwickelter Nationalarmeen notwendig ist: qualitativ hochwertige taktische, operative und strategische Expertisen hinsichtlich der Struktur, Ausrüstung und des Einsatzes moderner Streitkräfte. Eine solche PMA ist Military Professional Resources Incorporated (MPRI), gegründet Ende der achtziger Jahre durch eine Handvoll hochdekorierter US-Offiziere mit exzellenten Kontakten zum Pentagon. International erstmals auf sich aufmerksam machte MPRI Mitte der Neunziger, als sie die Federführung bei der Transformation der kroatischen Armee in eine "NATO-kompatible" Streitmacht übernahm. Kurze Zeit später sicherte sich die Agentur ihren bis dato wichtigsten Auftrag: die Schaffung schlagkräftiger bosnischer Streitkräfte im Rahmen des sogenannten Train-and-Equip-Programms ...

Fragwürdige Praktiken? PMA-Analysten wie Thomas Adams oder Jonah Schulhofer-Wohl geben sich gelassen: Auch für die weltweite Transformation von Konflikten gelte nun einmal die Formel: Nur eine privatwirtschaftliche Lösung ist eine gute Lösung, PMAs seien nicht nur preiswerter als UN-Peace-Keeping-Missionen, sondern auch effizienter. Auch das traute Miteinander von Regierungsstellen und PMAs gehe in Ordnung, da auf diesem Wege der Staat - und damit die Öffentlichkeit - jederzeit über die Aktivitäten der PMAs im Bilde sei. Doch nur aus Sicht der "Weltgemeinschaft" sind PMAs preiswerter als UN-Truppen: Für die betroffenen Länder bedeuten sie eine enorme Bedrohung ihrer nationalen Souveränität. Sehr oft stehen hinter PMAs transnationale Konzerne, für die Konfliktregulierung ein willkommenes Vehikel ist, Zugriff auf strategisch wichtige Rohstoffe eines Landes zu erlangen. So gewährte die Regierung von Sierra Leone in Erfüllung ihres Vertrages mit EO dem britischen Unternehmen Branch Energy eine Konzession für das Diamantenfeld von Koidu. Branch Energy ist eine Tochter der Branch-Heritage-Group des britischen Unternehmers Tony Buckingham. Dieser wiederum hatte EO nicht nur in Angola die Tür aufgestoßen, sondern auch in Sierra Leone die "richtigen Leuten im richtigen Moment" zusammengebracht ...

Im Sinne langfristiger Konfliktlösungen sind PMAs alles andere als effizient. Bestenfalls erzwingen sie ein momentanes Gleichgewicht durch gewaltsame Unterdrückung oppositioneller Kräfte, das in sich zusammenbricht, sobald sich die Privatarmeen aus einem Konflikt zurückziehen. So stürzte nur wenige Monate nach dem Abzug von EO aus Sierra Leone Oberst Johnny Koroma den gewählten Präsidenten des Landes Ahmad Tejan Kabah. Auch kommt es vor, dass PMAs bestehende Konflikte eher verschärfen als beilegen. So wäre die kroatische Armee ohne entsprechende Unterweisung durch MPRI-Spezialisten wohl kaum in der Lage gewesen, 1995 in der Krajina einzufallen und Hunderttausende Serben zu vertreiben...

Alles andere als ein Garant für Transparenz: die Kungelei zwischen nationalen Regierungen und PMAs. Regierungen nutzen PMAs, um außenpolitische Ziele zu verfolgen, die offenkundig völkerrechtswidrig sind. Wie wohl hätte die Öffentlichkeit reagiert, wäre bekannt geworden, das Sandline International in Absprache mit dem britischen Außenministerium Waffen nach Sierra Leone liefert oder Dyncorp im Auftrag der CIA in Südamerika Coca-Plantagen kontaminiert? Gleichzeitig fungieren MPAs als soziale Hängematte für hochrangige Ex-Militärs und profitieren von deren Expertise, wie etwa MPRI, die James Chambers nicht unbedingt zu einem ihrer Vizepräsidenten gemacht hätte, wäre dieser nicht federführend an den Bosnien-Planungen der US Air Force beteiligt gewesen.

Privatarmeen einer effektiven Kontrolle zu unterwerfen, ist ebenso notwendig wie kompliziert: 1998 versuchte sich die südafrikanische Regierung an einer entsprechenden Gesetzgebung. EO stellte daraufhin offiziell seine Tätigkeit ein. Allerdings: das Hauptquartier der Agentur in Pretoria blieb besetzt und die Mitarbeiter "vor Ort" machten unter neuen Firmenschildern munter weiter. Das eigentliche Problem jedoch sind die High-Tech-PMAs: Ihre Fähigkeit, Produkte herzustellen, die sowohl zivile als auch militärische Anwendung finden können, machen sie quasi unkontrollierbar. Wie kaum eine andere Kraft negieren sie das äußere Gewaltmonopol des Staates und befördern dessen Erosion - eine fortgesetzte Unterminierung des Völkerrechtssubjektes Staat als Faktor der internationalen Beziehungen.
Aus: Freitag, 26. Mai 2000

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