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Schmutzige Geschäfte vor Somalia

Von der UNO toleriert: Giftmüll-Entsorgung und Raubfischerei

Von Knut Mellenthin *

Der Tsunami, der im Dezember 2004 die Anrainerländer des Indischen Ozeans heimsuchte, hatte für Somalia eine besondere Nebenwirkung: In großer Zahl wurden Fässer, zum Teil schon durchgerostet und zerbrochen, an Land gespült, in denen sich radioaktive und andere hochgiftige Stoffe befanden. Mit Mafiamethoden arbeitende ausländische Unternehmen hatten sie im Laufe der Jahre illegal im Meer vor Somalia versenkt. In der Folgezeit traten – einem UN-Bericht zufolge – bei der Küstenbevölkerung gehäuft Atemwegsinfektionen, Mundgeschwüre, Darmblutungen und ungewöhnliche Hautkrankheiten auf.

Der Grund des schmutzigen Geschäfts liegt auf der Hand: Durchschnittlich 250 Dollar, bis zu Spitzenpreisen von 1000 Dollar, kostet es, in Europa oder den USA eine Tonne Giftmüll einigermaßen sachgerecht zu entsorgen. In Somalia liegt der Preis nur bei etwa 2,50 Dollar pro Tonne. Auch viele andere Länder Afrikas sind Opfer solcher verbrecherischen, menschenverachtenden Praktiken. Das Land am Horn von Afrika bietet aber aus Sicht der Giftmüllmafia noch einen besonderen Vorteil: das Fehlen staatlicher Strukturen, einschließlich einer funktionsfähigen Küstenwache.

Nur selten werden Hintergründe und Drahtzieher dieses organisierten Verbrechens so aufgedeckt, wie es Anfang der 90er Jahre geschah. In Zusammenarbeit mit Greenpeace kamen damals italienische Umweltschützer zwei Firmen auf die Spur, die Giftmüll nach Somalia geschafft hatten: Achair Partners in der Schweiz und Progresso in Italien. Die Europäischen Grünen legten damals dem Europaparlament in Strasbourg Kopien von Kontrakten vor, die die beiden Unternehmen mit einem zwielichtigen somalischen Politiker abgeschlossen hatten, der ausgerechnet als Gesundheitsminister im Kabinett einer kaum weniger fragwürdigen, aber vom Westen begünstigten »Übergangsregierung« unter Präsident Ali Mahdi Mohamed fungierte.

Eine andere schwere Schädigung der Menschen und der Umwelt Somalias ist die Raubfischerei in der 200-Seemeilen-Zone des Landes. Auch diese profitiert vom Fehlen staatliche Strukturen und Organe, auch hier wird teilweise mit korrupten somalischen Politikern und Warlords gemeinsam operiert. Schätzungen zufolge agieren pro Jahr 700 bis 800 Fangschiffe illegal und zudem mit verbotenen Mitteln in Somalias Gewässern, darunter auffallend viele unter der Flagge der kleinen mittelamerikanischen Republik Belize. Oft handelt es sich dabei in Wirklichkeit um französische und spanische Schiffe, die auf diese Weise sehr bequem und unangreifbar EU-Bestimmungen umgehen. Der Wert des jährlich geraubten Fisches liebt bei etwa einer Milliarde Dollar. Auf diesem Weg geht den Somalis mehr Protein verloren als durch die Lebensmittelhilfe herein kommt.

Es sind schmutzige Geschäfte, an denen sich direkt oder indirekt die gesamte »internationale Gemeinschaft« beteiligt. Warum sonst wird die Gefährdung der Handelsschiffahrt durch Piraten so viel ernster genommen als die kriminelle Schädigung eines Landes und seiner Menschen?

* Aus: junge Welt, 28. Februar 2009

Hintergrund: Was die UNO erlaubt

Seit dem 16. Dezember 2008 kann die internationale Piratenbekämpfung rund ums Horn von Afrika auch auf dem somalischen Festland stattfinden. Ein entsprechender Beschluß, der von den USA beantragt worden war, wurde vom UN-Sicherheitsrat einstimmig verabschiedet. Resolution 1851 besagt in Punkt 6, daß für einen Zeitraum von zwölf Monaten alle Staaten, die sich an der Piratenjagd beteiligen wollen, berechtigt sind, »in Somalia zum Zweck der Unterdrückung von Akten der Piraterie und bewaffneten Raubes auf See alle notwendigen und angemessenen Maßnahmen zu unternehmen«. Eine entsprechende Erlaubnis für internationale Militäraktionen galt aufgrund der am 2. Juni 2008 beschlossenen Resolution 1816 bereits in den somalischen Territorialgewässern.

Voraussetzung dafür, wie auch für die mit der neuen Resolution gestattete Ausweitung, ist die Zustimmung der somalischen »Übergangsregierung«, die im aktuellen Fall mit einem Schreiben vom 9. Dezember 2008 erteilt wurde. Es handelt sich also, formal gesehen, nicht um einen Eingriff in die Souveränität Somalias, wie in beiden Resolutionen hervorgehoben wird. Ferner steht dort, daß es sich um eine ausschließlich auf Somalia bezogene Sonderregelung handelt, durch die kein internationales Gewohnheitsrecht begründet wird. Auf diese Klarstellung hatte besonders Indonesien bestanden, das selbst, wenn auch in geringerem Ausmaß, mit Piraterie konfrontiert ist. Die »Übergangsregierung« ist allerdings keine gewählte Institution, und sie war zum Zeitpunkt beider UN-Resolutionen politisch nahezu bedeutungslos, da sie nur einen ganz geringen Teil des Landes kontrollierte.

Eine vom Bundestag am 19. Dezember 2008 mit 491 Ja- gegen nur 55 Nein-Stimmen beschlossene Resolution erlaubt die Beteiligung an Landoperationen am Horn von Afrika. Das Einsatzgebiet der Bundesmarine ist nicht eingeschränkt, sondern kann – sofern die betroffenen Regierungen zustimmen – jederzeit auf »angrenzende Räume und Hoheitsgebiete anderer Staaten« ausgedehnt werden. (kt)




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