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Größte Zusammenrottung

Somalia: Kosten der militärischen Jagd auf Piraten sind höher als das von ihnen erpreßte Lösegeld. Ursachen der Seeräuberei bleiben ausgeblendet

Von Knut Mellenthin *

In den Gewässern rund um Somalia ist seit Monaten die größte internationale Zusammenrottung von Kriegsschiffen in der Geschichte der Seefahrt zu beobachten. Neben den USA und Europa sind unter anderem auch Rußland, China und Indien vertreten – insgesamt über 20 Länder. Selbstverständlich ist auch Deutschland dabei, mit mindestens zwei Fregatten in verschiedenen Verbänden, deren genaue Arbeitsteilung und Rechtsgrundlage – ob nun Piraten-, Terroristen- oder Schmugglerbekämpfung – verwaschen ist und bei Bedarf auch kurzzeitig geändert werden kann.

In der Hauptsache geht es, zumindest offiziell, um den Schutz der Handelsschiffahrt vor Seeräubern, die an der 3300 Kilometer langen Küste Somalias über ein halbes Dutzend größerer und eine Reihe kleinerer Stützpunkte verfügen. Die Kosten des internationalen Flottenaufmarsches übersteigen die Summe aller im vorigen Jahr gezahlten Lösegelder – maximal 100 Millionen Dollar – bei weitem. Sie sind auch erheblich höher als die Hilfsleistungen für die notleidende somalische Bevölkerung. Deutschland beispielsweise, das nach Auskunft des Auswärtigen Amt »zu den größten Gebern humanitärer Hilfe für Somalia zählt«, hat dafür im Jahr 2007 insgesamt noch nicht einmal zehn Millionen Euro aus dem Staatshaushalt ausgegeben. Zum Vergleich: Die »einsatzbedingten Zusatzausgaben« der deutschen Beteiligung an der EU-geführten Operation Atalanta im Golf von Aden sind im Haushaltsjahr 2009 mit 43,1 Millionen Euro veranschlagt.

Kein Zweifel, die Gewässer um Somalia sind zur Zeit der weltweit bedeutendste Schauplatz von Akten der Piraterie. Ungefähr die Hälfte aller wesentlichen Kaperungen im Jahr 2008 fand im Golf von Aden und in dem östlich an Somalia grenzenden Teil des Indischen Ozeans statt. Damit hat das Horn von Afrika die Führung vor Südostasien übernommen, das jahrelang an der Spitze der Zwischenfälle lag. Dort ist die Zahl der Piratenakte seit einigen Jahren aufgrund der koordinierten Tätigkeit der Kriegsmarinen Thailands, Malaysias und Indonesiens stark rückläufig.

Der Hauptgrund für die somalische Seeräuberei ist immer wieder schnell genannt: Seit dem Sturz des diktatorisch regierenden Siad Barre 1991 ist Somalia ohne funktionierende, im ganzen Land anerkannte Regierung. Seither bekämpfen sich Clans, politische und religiöse Organisationen sowie andere Interessengruppen.

Als Erklärung für das aktuelle Ausmaß der Piraterie gerade in Somalia kann das Fehlen einer staatlichen Ordnung allein aber nicht ausreichen. Denn die Zahl der Kaperungen hat dort erst 2006 – also 15 Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs – leicht zugenommen, stieg dann 2007 deutlich und 2008 sprunghaft an. Und es handelte sich dabei nicht nur um eine zahlenmäßige Zunahme, sondern vor allem um eine qualitative, hinsichtlich der Größe und des Wertes der gekaperten Schiffe. Außerdem: Die meisten Piratenakte um das Horn von Afrika, schätzungsweise 80 Prozent, ereignen sich im Golf von Aden, nördlich von Puntland, das sich 1998 von Somalia getrennt hat und seither de facto ein eigener Staat ist. Die Verhältnisse dort sind aber, verglichen mit denen Somalias, relativ stabil und friedlich.

Ein entscheidender Faktor für die plötzliche Zunahme der Seeräuberei rund um Somalia ist wahrscheinlich in der Verfügbarkeit von Kapital zu sehen, das den Piraten beispielsweise die Anschaffung von neuen Schnellbooten ermöglichte, mit denen sie inzwischen auch über 200 Kilometer weit vor der Küste operieren können. Die Piraterie ist zu einem Geschäft geworden, in das exil-somalische Geschäftsleute in Kanada, Großbritannien, auf der arabischen Halbinsel und in Südasien investieren. Vielleicht besteht auch ein direkter Zusammenhang zwischen dem gleichzeitigen Rückgang der Piraterie in Südostasien, vor allem in der Straße von Malakka, und dem Aufschwung der Seeräuberei um das Horn von Afrika: daß nämlich verbrecherisches internationales Kapital ein neues Betätigungsfeld gesucht und gefunden hat.

Von seiten entwicklungspolitischer und antikapitalistischer Gruppen wird auf den Zusammenhang zwischen der Piraterie und der Ruinierung der somalischen Fischer vor allem durch internationale Raubfischerei und die mafia­mäßig organisierte »Entsorgung« aller Arten von Giftmüll in den Gewässern um Somalia hingewiesen.

Tatsächlich haben diese Faktoren, die aber auch schon Anfang der 90er Jahre vorhanden waren, bei der Entstehung der somalischen Seeräuberei eine wesentliche Rolle gespielt. Es begann den Berichten zufolge mit Notwehraktionen von Fischern gegen die aggressiv vorgehenden, Raubfischerei in den somalischen Gewässern betreibenden Fangschiffe aus vielen Ländern der Welt. Die wichtigsten »Piratennester« – Bossaso und Eyl in Puntland, Haradere und Hobyo in Somalia – sind ursprünglich Fischerstädtchen, die allerdings durch die Piraterie in den letzten Jahren einen Boom erlebt haben. Immer noch sind viele Piraten ehemalige Fischer, auch wenn sich ihre Stützpunkte inzwischen zu Magneten für Männer aus allen Teilen des Landes und aus unterschiedlichen Berufen entwickelt haben. Darunter viele frühere Angehörige der heute praktisch kaum noch existenten Küstenwacht und schlecht entlohnte Soldaten. So wurde im vergangenen Sommer gemeldet, daß sich 400 puntländische Soldaten mit ihren Fahrzeugen den Piraten in Eyl angeschlossen hatten, nachdem die Soldzahlungen ausgeblieben waren.

* Aus: junge Welt, 28. Februar 2009


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