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Bekämpfung der Piraterie vor Somalia künftig auch an Land – Eingeständnis des Scheiterns der bisherigen EU-Strategie?

Interview mit Dr. Hans-Georg Ehrhart, Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik IFSH *


Andreas Flocken (Moderation):
Fast vier Jahre versuchen nun schon Kriegsschiffe der EU und anderer Staaten, das Piratenproblem am Horn von Afrika in den Griff zu bekommen. Bisher ohne großen Erfolg. Die EU-Operation Atalanta soll jetzt auch auf den somalischen Küstenstreifen ausgeweitet werden. Die Infrastruktur der Piraten darf künftig auch an Land zerstört werden. Das haben im vergangenen Monat die EU-Außenminister beschlossen.
Das Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik hat kürzlich eine Studie zur Piraterie vor der somalischen Küste veröffentlicht. Zu den Autoren gehört Hans-Georg Ehrhart. Mit ihm habe ich über die Ausweitung des Mandats gesprochen. Ich habe Hans-Georg Ehrhart zunächst gefragt, ob diese Erweiterung eine richtige Entscheidung ist:


Interview Flocken / Dr. Hans-Georg Ehrhart



Ehrhart: Es gibt einen Grund, der dafür spricht, und mehrere, die dagegen sprechen. Dafür spricht, dass die Kosten-Nutzenrechnung der Piraten negativ beeinflusst wird. Dass also die Kosten für die Piraten erhöht werden, indem man auch im Küstenstreifen versucht, zu intervenieren. Und dagegen spricht erstens, dass die Piraten natürlich lernen werden, und den Küstenstreifen verlassen könnten. Dann stellte sich die Frage: wird das Mandat erneut erweitert? Dagegen spricht zweitens, dass sehr schwer sicherzustellen ist, dass bei solchen Angriffen keine Personen geschädigt werden. Und dagegen spricht drittens, dass man vielleicht auch irrtümlicher Weise Fischerboote trifft. Damit aber würde die Wahrnehmung, die Perzeption, der Somali gestärkt, dass Atalanta doch nur dafür da ist, die eigenen Fischereiflotten zu schützen.

Flocken: Können Sie vielleicht noch mal sagen, was künftig konkret erlaubt ist und was nicht?

Ehrhart: Erlaubt werden soll künftig, dass Atalanta am Küstenstreifen mit Helikoptern eingreifen kann, um Material, Skiffs, also die Angriffsboote der Piraten, oder Tanklager zu zerstören. Allerdings mit der Einschränkung, dass keine Personen gefährdet werden. Erlaubt ist weiterhin, dass Atalanta künftig auch in Seehäfen tätig werden darf und in Binnengewässern.

Flocken: Nun sagen aber Kritiker, dass das ein Schritt zur Eskalation ist.

Ehrhart: Es könnte ein Schritt zur Eskalation sein. Es ist insofern ein Schritt, weil natürlich jetzt mehr Gewalt angedroht wird. Man kann es vergleichen mit einer kriminellen Aktion auf dem Festland. Da gibt es die Polizei, die Verbrecher verfolgt, die eventuell auch von der Waffe Gebrauch macht. In diesem Falle ist es so, dass die Zerstörung der Skiffs verhindern soll, dass die Piraten sozusagen ihr kriminelles Handwerk durchführen können. Das Problem ist aber, dass die Aufklärung perfekt sein muss. Und ein weiteres Problem ist auch, dass die Piraten vielleicht die internationale Gemeinschaft sozusagen in eine Falle locken können.

Flocken: Inwiefern in eine Falle locken?

Ehrhart: Sie können so tun, als ob es Skiffs wären, aber es sind eben nicht Angriffsskiffs, sondern Boote von Fischern. Oder sie könnten natürlich auch Personen dort hinsetzen, zum Beispiel Geiseln. Aber selbst wenn es Piraten sind, dürfte man sie nicht ohne weiteres von Hubschraubern aus attackieren. Denn es gilt zunächst einmal das Polizeirecht. Es sind ja keine Kämpfer, keine Kombattanten im kriegerischen Sinne, sondern es sind Kriminelle.

Flocken: Nun sagt der Europaabgeordnete der Grünen, Bütikofer, dass eine Ausdehnung der Anti-Piratenmission auch auf Land eine Militarisierung der Mission bedeuten würde. Wie sehen Sie das?

Ehrhart: Er bezieht sich da auf eine Studie von uns, in der wir diesen Begriff benutzt haben, weil die ganze Operation, die in Somalia läuft - und es geht ja hier nicht nur um militärische Fragen - immer das Militärische in den Mittelpunkt stellt. Es wird zwar gesagt, die Lösung liegt an Land, nicht im Sinne eines militärischen Einsatzes, sondern im Sinne einer besseren Situation an Land. Aber die meisten Mittel werden in militärische Geschichten hineingesteckt. Und in dem viel wichtigeren Bereich, nämlich die Stützung der somalischen Gesellschaften, und zwar der einzelnen Entitäten und nicht der Übergangsregierung alleine, da wird viel zu wenig getan. Insofern sind wir mit Herrn Bütikofer einer Meinung, dass es hier um eine Militarisierung geht, weil der eine Aspekt betont wird, und der andere vernachlässigt wird.

Flocken: Der militärische Aspekt ist aber aus Ihrer Sicht im Augenblick akzeptabel?

Ehrhart: Der ist akzeptabel, mit Einschränkungen. Natürlich muss die Kosten-Nutzenrechnung der Piraten beeinflusst werden. Denn solange es sich für sie lohnt, das Risiko einzugehen, werden sie weitermachen. Also muss man versuchen, es in irgendeiner Form einzudämmen. Dazu gehören natürlich auch militärische Maßnahmen.

Flocken: Aber könnte die Ausdehnung auf Land nicht auch bedeuten, dass, wenn zunächst nur Hubschrauber aus der Luft operieren dürfen, dass es dann nur eine Frage der Zeit ist, wann beispielsweise auch Marinespezialkräfte an Land operieren, um etwa abgeschossene Hubschrauber zu bergen, was ja durchaus denkbar ist. Oder dass Spezialkräfte an Land sogar noch effektiver operieren können als Hubschrauber in der Luft. Wäre das nicht möglicherweise ein Einstieg in eine größere Militärmission?

Ehrhart: Die Gefahr besteht. Man muss aber auch zur Kenntnis nehmen, dass Spezialkräfte schon längst an Land operieren. Nicht im Rahmen von Atalanta, aber im Rahmen nationaler Mandate. Die Amerikaner, die Franzosen, die Briten: alle haben zeitweise Spezialkräfte vor Ort, wenn auch nicht ständig stationiert. Und die Gefahr, die Sie angesprochen haben, die besteht natürlich. Wir erinnern uns alle an den Anfang der 90er Jahre, an Black Hawk Down. Damals eskalierte eine internationale Intervention in Somalia. Sie hatte erst eine humanitäre Zielsetzung, eskalierte dann zu einem Kleinkrieg. Es kam zum Abschuss eines amerikanischen Hubschraubers. 18 amerikanische Tote. Die Leichen sind durch Mogadischu geschleift worden. Und dies führte zum direkten Abzug der Amerikaner und der internationalen Gemeinschaft, unter anderem auch der Bundeswehr, die sich damals ebenfalls in Somalia engagiert hatte. Die Folge war, dass sich Amerika lange Zeit aus dieser Region zurückgezogen hat. Eine solche Eskalation im Sinne eines Abschusses des Hubschraubers kann man nicht ausschließen. Insofern warnen wir auch davor, zu viel Optimismus in diese taktische operative Neubestimmung oder Erweiterung des Mandats zu setzen. Selbst wenn die internationale Gemeinschaft ein- oder zweimal die Skiffs, die Boote an Land zerstört. Spätestens dann werden die Piraten gelernt haben, sie nicht an den Strand zu legen, sondern in weiter entfernte Regionen, oder aber eben in die Nähe von Dörfern. Und dann ist kein Angriff mehr möglich, weil dann andere Personen gefährdet werden könnten.

Flocken: Wenn die Anti-Piraten-Mission nun auch auf Land ausgedehnt wird, ist das nicht zugleich ein Eingeständnis, dass die Anti-Piraten-Mission bisher keineswegs so erfolgreich gewesen ist, wie das nach außen gerne von Politikern immer wieder behauptet wird?

Ehrhart: Die jüngsten Zahlen stimmen schon etwas optimistischer. Denn die erfolgreichen Angriffe sind ja in der Tat ziemlich zurückgegangen. Allerdings, die Versuche der Piraten sind weiterhin sehr hoch. Die Angriffe scheinen sich also offenbar für sie noch zu lohnen. Von daher gesehen ist meine Bilanz eher sehr gemischt, was das Militärische angeht, das Abhalten der Piraten bzw. die Bekämpfung der Piraten. Es gibt Teilerfolge. Das grundsätzliche Problem ist jedoch nicht gelöst. Insbesondere wird zu wenig auf die Situation in Somalia selbst eingegangen und auf die politischen Fragen, die damit verbunden sind.

Flocken: Die Zerstörung der Boote und des Materials der Piraten aus der Luft erhöht ja zugleich auch das Risiko für die Soldaten von Atalanta. Denn die Piraten könnten – anders als auf See - aus einer Deckung heraus auf die Hubschrauber schießen, auch mit schwereren Waffen. Wächst das Risiko nicht für die Soldaten bei solchen Aktionen?

Ehrhart: Das kann man nicht ausschließen. Ich denke das Risiko wächst. Denn die Piraten werden sich natürlich fragen: Wie gehen wir dagegen vor? Wie reagieren wir? Ziehen wir uns zurück? Gehen wir woanders hin, oder versuchen wir erst einmal, wie damals, Anfang der 90er Jahre, über eine entsprechende Attacke den Gegner einzuschüchtern, um damit sozusagen unserem Geschäft weiter nachgehen zu können? Denn es ist ja, wie gesagt, ein sehr lukratives Geschäft.

Flocken: Die Teilnahme der Deutschen Marine an der Erweiterung der Operation setzt ein geändertes Bundestagsmandat voraus. Das steht allerdings noch aus. Aus Ihrer Sicht: soll die deutsche Marine ebenfalls teilnehmen an Operationen an der somalischen Küste? Die SPD hat Bedenken angemeldet.

Ehrhart: Ich würde sagen, ja, weil es sich hier um ein Zeichen handelt, das durchaus problematisch ist, aber das notwendig ist, um den Piraten zu zeigen, dass die internationale Gemeinschaft bereit ist, so weit zu gehen, um eben das Kosten-Nutzen-Kalkül der Piraten zu beeinflussen. Es ist insofern wichtig, weil die sogenannte Catch and Release-Praxis unterbrochen wird, also die Praxis, dass Piraten straflos entlassen werden, nachdem sie gefangen worden sind, dass sie also nichts zu befürchten haben. Aber ich betone, das ist nur ein Teilelement. Es müssen andere Dinge dazukommen.

Flocken: Welche Dinge müssen hinzukommen?

Ehrhart: Zum Beispiel die Unterstützung beim Aufbau einer Küstenwache. Die Unterstützung des ganzen Justizbereichs, die Unterstützung des Gefängniswesens, Piraten in Somaliland, in Puntland, in Somalia insgesamt müssen verfolgt und verhaftet und abgestraft werden können. Die bisherigen Fortschritte sind äußerst bescheiden.

Flocken: Mit Soldaten allein wird das Piratenproblem nicht zu lösen sein. Gefordert wird ein politischer Ansatz, der versucht, stabile politische Verhältnisse im Land zu schaffen. Die EU spricht ja auch von einem Comprehensive approach, also einem umfassenden Ansatz. Aber viel ist davon in der Praxis bisher nicht zu sehen.

Ehrhart: Ja, das ist ein schönes Schlagwort, auf Deutsch, der vernetzte Ansatz. Es gibt Teilelemente. Dazu gehört eben die umfangreiche humanitäre Hilfe. Aber die löst ja auch nicht die politischen Probleme des Landes. Das zentrale Problem ist, dass wir seit vielen Jahren eine sogenannte Übergangsregierung haben, die total korrupt ist, die all das nicht macht, was sie auf dem Papier machen sollte. Sie wird aber trotzdem noch von der internationalen Gemeinschaft unterstützt, weil eben unser internationales System auf Staaten aufgebaut ist. Und die Fiktion, dass diese Regierung Somalia vertritt, wird immer noch aufrecht erhalten. Aber die Regierung hat im Grunde genommen keinen Einflussbereich. Er geht nicht über Mogadischu hinaus.

Flocken: Das sollte man ändern?

Ehrhart: Man sollte mit den substaatlichen Akteuren reden.

Flocken: Das heißt?

Ehrhart: Ein Beispiel: Es gibt den Teilstaat Somaliland, der hat sich schon seit 1991 für unabhängig erklärt. Dort funktioniert alles. Dort funktioniert die Justiz, das Gefängniswesen, die Demokratie. Die haben regelmäßig Wahlen und Regierungswechsel. Da wird nicht die Wahl gefälscht, sondern es ist ein demokratisches Land, das funktioniert. Und interessanterweise ist das ein Gebiet in Somalia, wo die internationale Gemeinschaft nie etwas gemacht hat. Das hat funktioniert. Die können schon selbst ihre Probleme regeln, wenn man sie nur lässt.

Flocken: Und warum werden solche Akteure nicht von der EU unterstützt?

Ehrhart: Man hat jetzt damit begonnen. Man hat Kontakte, sie kriegen die ersten Hilfsmittel. Aber die EU ist noch sehr zögerlich, weil sie natürlich formalistisch denkt. Formal gibt es eine offizielle somalische Regierung. Das ist die Übergangsregierung, und die ist sozusagen der Chef im Land, obwohl das eine Fiktion ist. Und diese Fiktion wird auch von der internationalen Gemeinschaft zu stark aufrecht erhalten. Die Amerikaner machen das übrigens schon anders. Sie haben sich viel stärker mit Somaliland, mit Puntland oder mit Galmudug, eine andere Territorialeinheit, in Kontakt gesetzt, und versuchen dort, im Bereich Justiz und Polizei, die Kräfte zu unterstützen, in der Hoffnung, dass sich von unten heraus etwas entwickelt, was Somalia insgesamt stabiler machen könnte.

Flocken: Die EU bildet für Somalia auch Polizisten und Soldaten aus. Aber beim Aufbau einer somalischen Küstenwache hält man sich weitgehend zurück. Warum? Denn möglicherweise können ja die Somalis ihre Küste selbst schützen, bzw. selbst für Sicherheit sorgen, und auf diese Weise die Piraten schon beim Auslaufen hindern.

Ehrhart: Die EU bildet Somalis in Uganda als Polizisten aus, wobei diese Polizisten de facto Soldaten sind, weil sie im Städtekampf in Mogadischu eingesetzt werden. Die EU bildet im Grunde genommen Soldaten aus. Und das macht sie nicht alleine, sondern mit Hilfe der Amerikaner, der Ugander und anderer Akteure, und insbesondere der afrikanischen AMISOM, der Mission der Afrikanischen Union, die in Somalia mit mehr als 12.000 Soldaten aktiv ist. Sie macht das in der Hoffnung, dass man so den Justizbereich stärken kann. Der Fehler bei der ganzen Überlegung ist meines Erachtens, dass man fragen muss, wer führt diese Soldaten später? Denn die gegenwärtige Übergangregierung ist dazu de facto gar nicht in der Lage. Sie hat nicht die notwendige Administration und sie ist korrupt. Wer soll denn die Führung, die politische Führung der Soldaten übernehmen? Diese Frage ist bis heute nicht beantwortet.

Flocken: Um noch einmal auf einen anderen Bereich zurückzukommen. Wird in Somalia denn zu wenig für den Aufbau auch einer Küstenwache in Somalia getan?

Ehrhart: Ja, wobei ich mit Küstenwache nicht meine, dass die mit Booten auf dem Meer rumfährt. Ich meine einen Küstenschutz an Land, der dafür sorgt, dass die Kriminellen, die dort aktiv werden, im Grunde genommen von den Leuten, die es angeht, nämlich der lokalen Bevölkerung, bekämpft werden. Und es gibt gute Anzeichen in Puntland, dass dort mit Hilfe von finanzieller Unterstützung seitens der Vereinigten Arabischen Emirate, erste Erfolge sichtbar werden. Ich habe gehört, dass man in Brüssel langsam anfängt, darüber nachzudenken. Aber das dauert alles viel zu lange. Denn auch solche Prozesse brauchen ja Zeit. Die Leute müssen ausgebildet werden, sie müssen in gewisser Weise unterstützt werden, dass sie sich organisieren können. Aber ich denke, das wäre der richtige Weg, den ganzen Konflikt zu „somalisieren“.

Flocken: Sie sprechen davon, dass man eine Küstenwache der Somalis an Land aufbauen sollte. Warum nicht auch auf See?

Ehrhart: Eine Küstenwache auf See – das wäre eine Möglichkeit mittelfristig- und langfristiger Art. In Somaliland wird eine Küstenwache auf See aufgebaut, also in diesem Teilgebiet selbst. Aber Somaliland sieht sich ja als unabhängiger Staat, und fordert von der internationalen Gemeinschaft, endlich anerkannt, zu werden, weil sie die Einzigen sind, die in Somalia funktionieren. Im Übrigen sind die Strukturen besser als bei vielen afrikanischen Staaten. Und daher fände es Somaliland gut, wenn es Unterstützung bekäme.

Flocken: Die Piraterie ist inzwischen ein riesiges Geschäft. Man hat den Eindruck, dass nicht viel gemacht wird, um auch an die Hintermänner heranzukommen, die meistens in anderen Ländern sitzen. Müsste man nicht auch auf diesem Gebiet viel mehr tun, etwa die Geldströme kontrollieren, um die Piraterie effektiv zu bekämpfen?

Ehrhart: Auch hier gilt: Im Prinzip ist das Problem erkannt worden, dass hier ein wichtiger Ansatzpunkt ist. Schwierig wird es dann, wenn die Hintermänner in Somalia selbst sitzen, was zum Teil der Fall ist. Und schwierig wird es auch, weil Somalia kein richtiges Bankensystem hat, sondern das Hawala-System. Das heißt: das Geld wird von Person zu Person weitergegeben, zu vertrauenswürdigen Personen. Und das kann man nicht mit unseren Mitteln unterlaufen. Hier liegen die Probleme. Aber hier gibt es ganz bestimmt auch einen Ansatzpunkt. Zumindest in Bezug auf die Hintermänner, die nicht in Somalia sitzen, und die unsere Bankensysteme benutzen.

Flocken: Häufig ist zu hören, die illegale Fischerei vor der Küste Somalias habe die Piraterie begünstigt, weil den Fischern die Existenzgrundlage entzogen worden sei. Kritiker sagen allerdings, das sei ein Propagandamärchen, weil die Somalis vor allem Hirten und Bauern seien. Wie sehen Sie das? Gibt es einen Zusammenhang zwischen illegaler Fischerei und der Piraterie?

Ehrhart: Also, die Somalis sind in erster Linie Hirten und Bauern, das stimmt. Aber es gibt auch Somalis, die Fischer waren bzw. noch immer Fischer sind. Und der Ursprung des Problems lag unter anderem darin, dass die sich gegen internationale Fischfangflotten gewehrt haben. Aber es ist insofern eine Propaganda von Seiten der Piraten, weil das jetzt längst nicht mehr der Fall ist. Und von daher gesehen ist es auch gut, darauf hinzuweisen, dass die Operation Atalanta auch im Mandat die Aufgabe hat, gegen solche Menschen vorzugehen, die illegal fischen. Das Problem ist allerdings ein Rechtliches. Die somalische Übergangsregierung hat bis heute nicht ihre ausschließliche Wirtschaftszone im Meer definiert, sondern sie sieht sie als nationale Wirtschaftszone an. Diese beträgt allerdings laut internationalem Recht nur zwölf Meilen, und keine 200 Meilen, so dass de jure dort kein illegales Fischen möglich ist. Und das ist ein Problem. Der Schutz der Fischerei steht zwar im Mandat, aber diese Aufgabe kann de facto nicht umgesetzt werden, weil die somalische Regierung ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat.

Flocken: Das heißt: Die EU-Mission Atalanta könnte auch gegen die illegale Fischerei vorgehen, hat es aber bisher noch nie gemacht?

Ehrhart: Sie hat es eigentlich nicht gemacht, unter anderem auch deswegen nicht, weil zu den „illegalen“ Fischern, eben auch spanische, portugiesische und französische Fischfangflotten gehören. Flocken: Und da tut man sich schwer. Ehrhart: Genau.

* Aus: NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien", 7. April 2012


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