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Piraterie und Menschenrechte

Rechtsfragen der Bekämpfung der Piraterie im Rahmen der europäischen Operation Atalanta *

Im Folgenden dokumentieren wir die Einführung und das Fazit einer soeben erschienenen Abhandlung aus dem Zentrum für Europäische Rechtspolitik im Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Bremen. Bibliografische Angaben befinden sich unten auf der Seite.



I. Einführung

S. 1-2

Auf Antrag der deutschen Bundesregierung vom 10. Dezember 2008 [1] hat der Deutsche Bundestag in seiner Sitzung am 19. Dezember 2008 einer Entsendung der Bundeswehr zur Beteiligung an Maßnahmen zur Bekämpfung der Piraterie im Rahmen der europäischen Operation Atalanta zugestimmt. Der Beschluss sieht die Entsendung von bis zu 1400 Soldaten der Bundesmarine im Rahmen der Operation Atalanta vor. Die Operation Atalanta, mit deren Ausführung am 08. Dezember 2008 begonnen wurde, ist Resultat der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union vom 10. November 2008.[2] Die Operation soll ihre völkerrechtliche Rechtfertigung in den Normen des Seerechtsübereinkommens (SRÜ) [3] und ferner in Beschlüssen des UN-Sicherheitsrates finden, der sich unter Berufung auf seine Kompetenzen, nach Art. 39 der UN-Charta „den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen“, in einer ganzen Reihe von Resolutionen unter Hinweis auf Kap. VII der UN-Charta der Bekämpfung der Piraterie angenommen hat. Die Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008 und 1851 (2008) vom 16. Dezember 2008 des UN-Sicherheitsrats sollen die völkerrechtliche Grundlage dafür bieten, dass die Pirateriebekämpfung nunmehr nicht nur auf Hoher See sondern auch in den Küstengewässern und dem Territorium Somalias stattfinden kann.[4]

Nach dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom 19. Dezember 2008 sollen im Rahmen der Operation Atalanta durch die Bundeswehr folgende militärische Fähigkeiten bereitgestellt werden: Führung, Führungsunterstützung, Aufklärung, einschließlich der weiträumigen Aufklärung des Einsatzgebietes, Seeraumüberwachung, Lagebilderstellung und -austausch, einschließlich des Lagebildaustausches mit anderen Organisationen und Einrichtungen zum Zweck der Bekämpfung der Piraterie, Sicherung und Schutz einschließlich des Begleitschutzes, der Einschiffung von Sicherungskräften auf zivilen Schiffen sowie der gewaltsamen Beendigung von Akten der Piraterie, Ingewahrsamnahme einschließlich des Zugriffs, des Festhaltens sowie des Transportes zum Zwecke der Übergabe an die zuständigen Strafverfolgungsorgane, operative Information, sanitätsdienstliche Versorgung, Evakuierung einschließlich medizinischer Evakuierung, logistische Unterstützung einschließlich Transport und Umschlag. Weiterhin sollen Kräfte zur Verwendung in den zur Führung der Operation Atalanta gebildeten Stäben und Hauptquartieren einschließlich der Kräfte zur Unterstützung der Führungsfähigkeit sowie – soweit erforderlich – Kräfte als Verbindungsorgane zu nationalen und internationalen Dienststellen, Behörden und Organisationen eingesetzt werden.

Zwischenzeitlich ist es zu Festnahmen von der Piraterie verdächtigen Personen durch deutsche Staatsorgane gekommen. Teilweise wurden auf der Grundlage eines Briefwechsels zwischen der Europäischen Union und Kenia vom 06. März 2009 [5] der Piraterie verdächtige Personen an Kenia überstellt.[6] Der folgende Beitrag widmet sich vor diesem Hintergrund den verfassungsrechtlichen, europarechtlichen und völkerrechtlichen Fragen im Hinblick auf den Umgang mit diesen Personen.

Zunächst gehen wir auf die Frage ein, ob die Grund- und Menschenrechte für deutsche Hoheitsträger auch exterritorial gelten (hierzu II.). Sodann prüfen wir, ob es für die Festnahme der Verdächtigen eine Eingriffsnorm gibt und wie die Fragen der exterritorialen Kriminalitätsbekämpfung im Bereich der Piraterie in kompetenzrechtlicher Hinsicht ausgestaltet sind (hierzu III.). Zuletzt fragen wir, ob die Überstellung der Piraterie Verdächtigen an die Kenianische Justiz auf Grundlage der Vereinbarung zwischen der EU und Kenia grund- und menschenrechtskonform ist (hierzu IV.).

Fußnoten zur Einführung
  1. BT-Drs. 16/11337 v. 10.12.2008.
  2. Rat der Europäischen Union, Gemeinsame Aktion 2008/851/GASP vom 10. November 2008, ABl. L 301 v. 12.11.2008, 33 ff.
  3. BGBl. 1994 II 1798. Siehe ferner das Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt vom 10. März 1988 (BGBl. 1990 II 496).
  4. Hierzu: Fischer-Lescano/Tohidipur, Rechtsrahmen der Maßnahmen gegen die Seepiraterie, NJW 62 (2009), S. 1243 ff.; Kontorovich, “A Guantanamo on the Sea”: The Difficulties of Prosecuting Pirates and Terrorists, in California Law Review 98 (2010), i.E., abrufbar über http://ssrn.com/abstract=1371122; Guilfoyle, Piracy off Somalia. UN Security Council Resolution 1816 and IMO regional Counter-Piracy Efforts, in: The International and Comparative Law Quarterly 57 (2008), S. 690 ff.; Stehr, UN-Resolution 1816: Neue internationale Dimension der Pirateriebekämpfung, in: Marineforum: Zeitschrift für maritime Fragen – Offizielles Organ der Marine-Offizier-Vereinigung 83 (9/2008), S. 4 ff.
  5. ABl. L 79 vom 25.03.2009, S. 49-59; hierzu Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage, BT-Drs. 16/12648 vom 17.04.2009.
  6. Für einen Überblick über die Maßnahmen der Pirateriebekämpfung: Report of the Secretary-General pursuant to Security Council Resolution 1846 (2008), 16.03.2009, S/2009/146.

V. Fazit

S. 44-47

Sowohl im Hinblick auf die Festnahme als auch die Überstellung Verdächtiger an die Kenianische Justiz gibt es große Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen im Rahmen der Operation Atalanta. Der Gesetzgeber ist in Bezug auf die genannten Eingriffe in menschenrechtliche Schutzbereiche gefordert, die Rechtsgrundlagen der Auslandsentsendung der Bundeswehr und der Bundespolizei zu präzisieren. Der Regelungsbedarf im Hinblick auf globale Maßnahmen der Ordnungsbildung durch europäische Militär- und Polizeiverbände ist hierbei vielschichtig:

Auf völkerrechtlicher Ebene sind Rolle und Verantwortung der Vereinten Nationen aufzuwerten. Eine Stärkung des UN-Systems, beispielsweise durch einen zurückhaltenderen Gebrauch von Mandatierungen nach Kapitel VII der UN-Charta und durch eine Wiederanknüpfung an den ursprünglichen Gedanken dieses Kapitels, dass die UN selbst Herr solcher Operationen sein müssen, [130] sollte dann einher gehen mit einer Stärkung der Verantwortung der Generalversammlung und der globalen Zivilgesellschaft, sowie einer Intensivierung der gerichtlichen Kontrolle von Entscheidungen des UN-Systems (auch der Sicherheitsratsresolutionen), insbesondere durch den IGH, den EGMR, den EuGH und nationale Gerichte. Dies würde partialabsolutistischem Regieren entgegenwirken und dazu beitragen, dass globale Ordnungsbildungsmaßnahmen völkerrechtlichen Grundsätzen entsprechen. So darf es im Fall der Pirateriebekämpfung nicht dabei bleiben, dass gegen diese Deliktform weltpolizeilich vorgegangen wird. Wirksame Sicherheitspolitik im Bereich der Pirateriebekämpfung muss auch Entwicklungspolitik sein, die insbesondere auch gewährleisten muss, dass gleichermaßen gegen illegale Praktiken internationaler Fangflotten und gegen Giftmüllverklappungen vor der Küste Afrikas vorgegangen wird. Parallel ist das Land durch entwicklungspolitische Maßnahmen bei der Erlangung von politischer Stabilität zu unterstützen. Schließlich bedürfte es keines weltpolizeilichen Vorgehens, wäre Somalia in der Lage, selbst ordnungspolitische Maßnahmen durchzuführen. Phänomene der Piraterie sind nicht von der sozialen und politischen Situation in Somalia und dem Agieren westlicher Akteure zu trennen. Man wird die sozioökonomische Situation gezielt verbessern und sich auf eine Befriedung Somalias hin orientieren müssen,[131] wenn man tatsächlich Interesse daran hat, der Piraterie in nachhaltiger Form zu begegnen.[132] Die Legitimation der völkerrechtlichen Ordnungsmaßnahmen hängt davon ab, dass die Durchsetzungsorgane die illegalen Praktiken vor der Küste Afrikas nicht mit zweierlei Maß messen.

In völkerstrafrechtlicher Hinsicht ist im Fall der Piraterie sicherzustellen, dass die Menschenrechte der Verdächtigen beachtet werden. Ein Outsourcing der Justizfunktion an Staaten, in denen die Menschenrechte in den Haftanstalten und im Gerichtsverfahren nicht garantiert werden können, verbietet sich daher. Es sollte darauf hingewirkt werden, dass die Zuständigkeit eines internationalen Gerichts begründet wird, wobei sich anbietet, die Expertise des Internationalen Seegerichtshofs zu nutzen und dort im Wege eines Zusatzprotokolls zum SRÜ eine Kammer für Völkerstrafrecht einzurichten.

Auf europäischer Ebene sind insbesondere der Parlamentsvorbehalt für Einsätze europäischer Verbände im Rahmen der EU und die Intensivierung der Kontrollmöglichkeit durch den EuGH Desiderat. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Vertrag von Lissabon festgestellt hat, dass der nationale konstitutive Parlamentsvorbehalt integrationsfest ist und eine mögliche politische Einigung zwischen den Mitgliedstaaten, Streitkräfte im europäischen Bündnis einzusetzen, in keinem Fall in der Lage sein soll, „auf rechtlicher Ebene eine Handlungspflicht zu erzeugen, die den insoweit gegenüber Art. 23 GG spezielleren konstitutiven Parlamentsvorbehalt nach Art. 24 Abs. 2 GG überspielen könnte,“[133] wäre es wünschenswert, dass auch auf europäischer Ebene ein konstitutiver Parlamentsvorbehalt eingeführt wird. Denn, so stellt auch das BVerfG fest, auf europäischer Ebene kann durch gubernatives Handeln eine Beschlusslage entstehen, nach der nationale Militärbeiträge „politisch ‚geschuldet’“[134] sind. Das Europäische Parlament sollte darum in den Entscheidungsprozess so früh wie möglich einbezogen werden, idealerweise bevor die Nationalstaaten Militärbeiträge ‚schulden’.

Auf verfassungsrechtlicher Ebene sollte der Text des Grundgesetzes näher an die Verfassungswirklichkeit gerückt werden. Eine klare grundgesetzliche Regelung im Hinblick auf die Auslandsentsendungen der Bundeswehr würde deutlich machen, dass die grundgesetzlichen Regelungsregimes für den Einsatz des Militärs im Inneren und den Einsatz im Ausland voneinander zu trennen sind. Eine grundgesetzliche Regelung speziell für den Auslandseinsatz könnte hier verhindern, dass aus der militärischen Auslandsentsendepraxis weiterhin falsche normative Schlüsse bezüglich einer angeblich gegebenen Notwendigkeit der Gestattung des Einsatzes der Bundeswehr auch im Innern gezogen werden.[135] An der grundsätzlichen Trennung polizeilicher und militärischer Maßnahmen wäre auch für Auslandsentsendungen festzuhalten, um spill over- Effekte auf das innerstaatliche Einsatzregime zu verhindern. Ferner sollte der konstitutive Parlamentsvorbehalt in den Wortlaut einer solchen Verfassungsnorm aufgenommen werden.

Auf einfachgesetzlicher Ebene bedarf es der Schaffung eines Gesetzes, das die Anwendung unmittelbaren Zwangs durch Bundespolizei und Bundeswehr im Ausland regelt. Die o.g. Fragen der Eingriffe in Menschen- und Grundrechte durch Festnahmen etc. sind durch ein formelles Parlamentsgesetz zu regeln, das die exekutivische Praxis in hinreichend bestimmter Form vorstrukturieren muss. Auch § 6 des Bundespolizeigesetzes ist keine Norm, die in bestimmter Form die mit Festnahmen von der Piraterie Verdächtigen auf Hoher See zusammenhängenden Grund- und Menschenrechtsfragen regeln würde, da nur pauschal auf eine zu unbestimmte Völkerrechtsnorm verwiesen wird. Eine Präzisierung des Bundespolizeigesetzes für Auslandseinsätze sollte zuletzt der Tatsache Rechnung tragen, dass die zunehmende Bedeutung und Zahl der Einsätze der Bundespolizei einen gesteigerten parlamentarischen Kontrollbedarf generiert. Der konstitutive Parlamentsvorbehalt sollte im Zuge einer Änderung des Bundespolizeigesetzes auch für bewaffnete Auslandseinsätze der Bundespolizei angeordnet werden. Wenn militärische und polizeiliche Vorgehensweisen nur vernetzt und integriert Sinn machen, wie die Bundeskanzlerin wiederholt und zuletzt auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2009 betont hat,[136] dann ist es wohl kaum sachgerecht,[137] einerseits eine parlamentarische Zustimmung für einen Einsatz der Bundeswehr (und damit auch des Kommandos Spezialkräfte (KSK)) im Rahmen der Operation Atalanta zu verlangen und zugleich für den Einsatz der GSG 9 und sonstiger Bundespolizisten im selben Kontext und mit paralleler Mission keine konstitutive parlamentarische Zustimmung vorzusehen.

Insgesamt betrachtet muss vor dem Hintergrund der zunehmenden Zahl und Intensität von Auslandsentsendungen der Bundeswehr und der Bundespolizei der Rechtsrahmen dieser Einsätze präzisiert werden. Ein demokratischer Rechtsstaat darf auch bei militärischen und polizeilichen Auslandseinsätzen wie der europäischen Operation Atalanta die Festlegung der menschen- und grundrechtlich relevanten zentralen Fragen nicht der exekutivischen Praxis europäischer Militär- und Polizeiapparate überlassen. Im Rechtsstaat obliegt die Strukturierung dieser Fragen der Legislative, nicht der Exekutive.

Fußnoten zu Teil V. Fazit
  1. Bothe, Streitkräfte internationaler Organisationen, Köln 1968.
  2. Zu Maßnahmen des state building siehe Oeter, Prekäre Staatlichkeit und die Grenzen internationaler Verrechtlichung, in: Kreide u.a. (Hrg.), Transnationale Verrechtlichung. Hauke Brunkhorst zum 60. Geburtstag, Frankfurt 2008, S. 90 ff.
  3. Heinicke, Piratenjagd vor der Küste Somalias, Kritische Justiz 42 (2009), S. 178 ff.; Fischer-Lescano, Bundesmarine als Polizei der Weltmeere? in: NordÖR 12 (2009), S. 49 ff. (55), je m.w.N.
  4. BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.6.2009, Rdn. 388.
  5. BVerfG, ebd., Rdn. 387.
  6. Zu dieser vorgeblichen Notwendigkeit der Entdifferenzierung innerer und äußerer Sicherheit sowie polizeilicher und militärischer Maßnahmen und dem dadurch vermeidlich generierten normativen Anpassungsbedarf Biermann, Schäuble will für Pirateneinsätze Grundgesetz ändern, in: Die Zeit v. 11.05.2009.
  7. Bundeskanzlerin Angela Merkel, 45. Münchner Sicherheitskonferenz, 07. Februar 2009, abrufbar über (27.06.2009) http://www.bundeskanzlerin.de.
  8. I.d.S. auch Hader, Polizeisoldaten: Die Paramilitarisierung deutscher Außenpolitik, Wissenschaft und Frieden 2006, S. 31 ff.
* Andreas Fischer-Lescano ist geschäftsführender Direktor des Zentrums für Europäische Rechtspolitik (ZERP). Er lehrt Öffentliches Recht, Europarecht, Völkerrecht und Rechtstheorie an der Universität Bremen.
Lena Kreck ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Europäische Rechtspolitik sowie am Sonderforschungsbereich 597 „Staatlichkeit im Wandel“ der Universität Bremen.
Dank geht an Sebastian Eickenjäger für die Unterstützung bei der Recherche, sowie an Lars Viellechner für konstruktive Kritik. Der Text ist die überarbeitete Fassung eines Gutachtens, das RA Oliver Wallasch im Mai 2009 in ein verwaltungsgerichtliches Verfahren beim VG Berlin (Az. 34 K 192.09) eingebracht hat.


Auszüge aus:
Andreas Fischer-Lescano / Lena Kreck: Piraterie und Menschenrechte. Rechtsfragen der Bekämpfung der Piraterie im Rahmen der europäischen Operation Atalanta.
Hrsg. vom Zentrum für Europäische Rechtspolitik, Fachbereich Rechtswissenschaft, Universität Bremen (ZERP-Diskussionspapier 3/2009); ISSN 0947—5729

Internet: www.zerp.eu



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