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Ein Übel auf See mit sozialer Wurzel

Piraterie, neoliberale Globalisierung und geschäftstüchtige Drahtzieher

Von Prof. Dr. Horst Diere *

In den letzten Monaten war es ruhig auf den Meeren der Welt. Verschwunden ist die Piraterie deswegen noch längst nicht, wie die Piratenübergriffe zu Ostern vor Somalias Küste auf einen südkoreanischen Öltanker und auf das deutsche Schiff »Taipan«, das von einem niederländischen Kommando befreit werden konnte, bezeugen.

Die Piraten haben nur eine Winterpause eingelegt seit ihren letzten spektakulären Übergriffen Ende November vergangenen Jahres. Somalische Piraten kaperten damals den griechischen Supertanker »Maran Centaurus«, zwei Tage später war es der Besatzung des ebenfalls griechischen Tankers »Silkinos« gelungen, einen Angriff zurückzuschlagen.

Als das »zweitälteste Gewerbe der Welt« hat man die Piraterie auch bezeichnet, ist sie doch so alt wie die Seefahrt selbst. »Peirates« waren für die Griechen jene Männer, die an fernen Meeresufern Küstenraub betrieben. Dieses Wort wurde in die Sprache aller seefahrenden Völker übernommen, egal ob sie sich Freibeuter, Kaper, Korsar, Likedeeler, Flibustier oder sonst wie nannten. In den Geschichtsbüchern verewigten sich Störtebeker, Hawkins und Drake, Lolonois und Morgan, Teach und Tew, aber auch Piratinnen wie Lady Killigrew, Grace O'Malley und Anne Bonny. Dass die See- und Kolonialmächte Piraten als Kaper in ihre Dienste nahmen, erhob die Seeräuberei über Jahrhunderte sogar zu einem legalen Akt der Kriegführung.

Um die jüngste Jahrtausendwende ist die Piraterie im großen Stil und in brutalerer Form weltweit zu einem Problem geworden. Zu Beginn der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts agierten Piraten vornehmlich im Golf von Thailand und im Südchinesischen Meer; und auch zu Beginn unseres Jahrhunderts fanden zwei Drittel der Übergriffe auf hoher See dort statt. Südostasien ist nach wie vor Gefahrenherd Nr.1 für den internationalen Seeverkehr. Vor Westafrika spielt Piraterie heute eine geringere Rolle als vor 30 Jahren; aber auch diese Region gilt weiter als ein stark gefährdetes Gebiet. Von Januar bis Ende Oktober 2009 wurden 20 Piratenangriffe vor westafrikanischer Küste gezählt; der letzte Überfall ereignete sich dort am 24. November vor der Küste von Benin und traf den unter libanesischer Flagge fahrenden deutschen Öltanker »Cancale Star«; dabei war der Erste Offizier erschossen worden.

Inzwischen hat sich am Horn von Afrika und im Golf von Aden, den jährlich über 20 000 Schiffe passieren, ein neuer, größerer Piratenschwerpunkt herausgebildet. Am Horn von Afrika operiert seit 2001 die von den USA initiierte »Operation Enduring Freedom« (OEF), ein multinationaler Marineverband, an dem die Deutsche Marine beteiligt ist. Die »gewöhnliche« Piraterie vermochte die OEF bislang kaum zu beeinträchtigen.

Die Seeräuberei eskalierte vor allem vor der vom Bürgerkrieg zerrissenen, politisch instabilen und wirtschaftlich völlig maroden Republik Somalia. Hier offenbart sich besonders deutlich der Zusammenhang heutiger Piraterie mit der Verschlechterung der Lebenslage weiter Bevölkerungskreise in Folge neoliberaler Globalisierung. Zu den befördernden Faktoren gehört auch die Überfischung somalischer Küstengewässer durch internationale Fangflotten, die einheimischen Fischern die Existenzgrundlage rauben.

Die somalischen Piraten agieren mit etwa 30 straff und hierarchisch organisierten Banden mit über 1000 Mitgliedern. Auf hoher See haben sie sogenannte Mutterschiffe stationiert, von denen aus sie meist nachts kleine schnelle Boote mit einer schwer bewaffneten Besatzung auf die Opfer zulaufen lassen. In einigen Küstenstädte haben sie ihre Stützpunkte, so in Haradhere. Dort war vor einem Jahr das deutsche Frachtschiff »Hansa Stavanger« fast vier Monate lang festgehalten worden, um dessen Befreiung es in Deutschland zu einem politischen Kompetenzgerangel sowie zu der von CDU-Politikern getragenen Forderung nach Änderung des Grundgesetzes gekommen war. Schließlich sind 2,7 Millionen US-Dollar gezahlt worden.

Hinter den Piratenaktionen stehen zumeist weltweit mächtige Drahtzieher mit »guten« Beziehungen zu Behörden, Polizei und Justiz. In die Beutezüge somalischer Piraten sollen z. B. einflussreiche Geschäftsleute aus Saudi-Arabien und Dubai involviert sein. Vieles deutet darauf hin, dass Teile der Lösegelder an islamistische Gruppen in Somalia, insbesondere an die Shabaab-Miliz, fließen. Ob EU-Soldaten das Problem lösen, ist fraglich. Das Übel der Piraterie muss an seiner sozialen Wurzel gepackt werden.

* Unser Autor, Spezialist für maritime Geschichte, lebt in Halle.

Aus: Neues Deutschland, 7. April 2010



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