Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Berlin" beschattet Piraten

Pläne für Anti-Seeräuber-Angriffe am somalischen Strand bekommen neue Nahrung

Von René Heilig *

Das UN-Office of Drugs and Crime hat die somalischen Piraten »gezählt« und ist auf rund 3500 gekommen. Mit 29 von ihnen hat sich die Deutsche Marine gerade angelegt.

Am Dienstag (28. Feb.) um 12.39 Uhr mitteleuropäischer Zeit empfing der Einsatzgruppenversorger »Berlin«, der zur Zeit an der EU-Operation »Atalanta« vor Somalia teilnimmt, einen Notruf. Das unter der Flagge der Marshall Islands fahrende Handelsschiff »Spiliani« meldete den Angriff eines Skiffs, also eines Piratenbootes. Er wurde abgewehrt.

Ein Bordhubschrauber des deutschen Kriegsschiffes flog dennoch zum angegebenen Ort, folgte dem fliehenden Skiff bis zur Dhow »Alasma«. Eigentlich heißt das Boot »Ashma«, doch jetzt dient es nach Kaperung als Piratenmutterschiff. Tags darauf zerschossen deutsche Soldaten die beiden im Schlepp der »Ashma« befindlichen unbemannten Skiffs.

Doch die Piraten reagierten nicht etwa geschockt. Sie verwiesen darauf, dass sie die ursprüngliche Besatzung des Frachtkahns - es handelt sich vermutlich um 25 indische Seeleute - als Geiseln halte und eine Enterung der Dhow nicht tatenlos hinnehmen würde. Die Kontrahenten einigten sich auf einen Deal. Die deutsche Marine beobachtet nur, und die Piraten laufen Xaafuun in Somalia an. Dort lassen sie ihre unfreiwilligen Gastgeber frei. Der Vorfall beflügelt Hardliner in der EU.

Der »Atalanta«-Einsatz läuft seit Dezember 2008. Damals war die Bedrohung gegenüber Tankern und Frachtern, aber auch gegenüber Kreuzfahrtschiffen extrem angestiegen. Durch das Seegebiet vor Somalia und den Golf von Aden führt die wichtigste Handelsroute zwischen Europa, der Arabischen Halbinsel und Asien. 117 mutmaßliche Piraten wurden bislang festgenommen. Derzeit sind Schiffe aus neun Ländern beteiligt. Deutschland entsendet per Parlamentsbeschluss Schiffe, Hubschrauber, Aufklärungsflugzeuge und bis zu 1400 Soldaten.

Zwar wurde die Anti-Piraten-Mission »Atalanta« gerade von den Außenministern der EU erneut bis zum Dezember 2014 verlängert. Doch es gibt seit Monaten Pläne, die Operation auszudehnen. Am Strand ließen sich Boote, Treibstoff und Waffen der Piraten besser zerstören. Doch die Gefahr, dass der Konflikt so angefacht wird, ist groß. Das Auswärtige Amt bestätigte in dieser Woche lediglich einen »Entscheidungsfindungsprozess« auf EU-Ebene.

Doch nicht nur dort wird für »Atalanta«-Erdeinsätze geworben. »Wir entsenden unsere Soldaten nicht für Symbolpolitik, es geht um die Wirksamkeit ihres Einsatzes«, sagt beispielsweise der CDU-Verteidigungspolitiker Bernd Siebert. Er meint, man solle sich »nicht in kleinteiligen Streitigkeiten ergehen, sondern ernsthaft überprüfen, wie wir die Durchschlagskraft von ›Atalanta‹ sinnvoll erhöhen«.

»Die Pläne der Bundesregierung, auch mit Maschinengewehren auf den Strand von Somalia von Hubschraubern aus zu schießen, sind brandgefährlich«, sagte dagegen Christine Buchholz. Sie ist friedenspolitische Sprecherin der Bundestags-Linksfraktion.

* Aus: neues deutschland, 3. März 2012


Zurück zur Piraten-Seite

Zurück zur Homepage