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"Es gab viele, die gegen das Denkmal waren"

Nach 16 Jahren Auseinandersetzung in Ulm zur Ehrung von Deserteuren setzten sich Kriegsgegner durch. Ein Gespräch mit Domino Winter


F: Rund 16 Jahre lang stand ein Denkmal für Deserteure in einem Privatgarten von Neu-Ulm, fernab jeder Öffentlichkeit. Wie kam es dazu?

Das Denkmal – riesige Stahlblöcke, die im Dominoprinzip gegeneinanderfallen – wurde bereits 1989 von der Ulmer Bildhauerin Hannah Stütz-Mentzel geschaffen. Eine Friedensgruppe hat damals den Antrag an den Gemeinderat gestellt, das Denkmal in der Stadt aufzustellen. Das wurde abgelehnt. Angeblich weil es in Ulm ein sogenanntes Erinnerungsfeld gibt, wo aller Opfer des Krieges gedacht wird. Darüber hinaus wolle man keine Einzelgruppen ehren. So landete das Denkmal in einem Garten in der Nähe von Neu-Ulm. In den folgenden Jahren wurde das Thema vor allem auf Initiative eines Mitglieds der Grünen im Gemeinderat immer wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Sein Antrag wurde dann jedes Mal aufs neue mit der gleichen Begründung abgelehnt.

F: Gibt es außerhalb dieses Erinnerungsfeldes denn auch keine Kriegerdenkmäler?

Doch, jede Menge. Ulm ist eine Garnisonsstadt mit etlichen militaristischen Traditionen. Es gibt Denkmäler, die an gefallene Soldaten erinnern, hauptsächlich an die des Ersten Weltkrieges. Aber auch für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs wurden Tafeln angebracht. Eben hierzu wollten wir einen Gegenpol schaffen.

F: Die Debatte fand sicher nicht nur im Gemeinderat statt. Wie diskutierten die Ulmer über das Denkmal für Deserteure?

Es gab wirklich viele, die gegen das Denkmal waren. Ihrer Meinung nach sind Deserteure Verräter, Feiglinge und Kamerdenschweine. Andere haben sich für uns eingesetzt und zum Beispiel gesagt, daß sie froh wären, wenn ihre Väter desertiert hätten. Ich will ja auch nicht behaupten, daß jeder Deserteur ein Held ist und es immer und in jeder Situation richtig ist, sich zu verweigern. Aber es stimmt eben nicht, daß Deserteure Angsthasen sind. Es ist eine menschliche Regung, Angst zu haben. Angst oder Ekel davor, jemanden erschießen zu müssen. Deserteure sind auch nicht feige. Jeder von ihnen wußte, welcher Gefahr er sich aussetzt, wenn er desertiert.

F: Die CDU war der Meinung, daß in Zeiten, in denen Deutsche zum Beispiel in Afghanistan ihr Leben aufs Spiel setzen, ein solches Denkmal nicht sein dürfe, weil es die Soldaten demotiviere ...

Die Argumentation hat uns schon erschreckt, aber auch in unserem Ziel bestärkt. Seit dem Sommer ist hier in der Wilhelmsburgkasere das »Kommando Operative Führung Eingreifkräfte« stationiert. Dieses Kommando ermöglicht weltweite EU-Einsätze und steht auch für NATO-Kriegseinsätze zur Verfügung. Von hier aus sollen Soldaten in den Kongo geschickt werden.

F: Meinen Sie, daß sich Kriege durch Desertionen verhindern lassen?

Ja, davon bin ich überzeugt. Wenn keiner mitmacht, gibt es die Kriege nicht. Aber ich war kürzlich selbst in der Kaserne und habe gemerkt, wie überzeugt die Soldaten davon sind, daß sie das Richtige tun. Ich habe auch Bekannte, die gerade ihren Wehrdienst ableisten. In ihren Augen sind das alles Peacekeeping-Aktionen, die mit Krieg nichts zu tun haben. Das macht es natürlich sehr schwer, mit ihnen über Verweigerungen zu reden. Auch hier soll unser Denkmal helfen. Es erinnert nicht nur an die Deserteure des Zweiten Weltkriegs, sondern zum Beispiel auch an israelische Soldaten, die sich weigern, Luftangriffe zu fliegen. Es ist für alle, die nein zum Krieg sagen und die Konsequenz daraus ziehen, nicht mitzumachen.

F: Am Ende haben Sie sich mit dem Denkmal ja auch durchgesetzt.

Nein, nicht ganz. Es steht zwar seit Ende vergangenen Jahres, aber nicht da, wo wir es haben wollten. Wir hätten gerne einen zentralen, öffentlichen Ort gehabt. Den hat uns die Stadt aber bis zuletzt verweigert. Der Mandatsträger der Grünen hat schließlich selbst ein Grundstück gepachtet. Darauf steht das Denkmal nun. Nicht sehr zentral, aber dafür an historischem Ort. Die Bushaltestelle dort heißt »An den Schießständen«. Unkommentiert. An der Straße wurden Menschen von den Faschisten hingerichtet. Wahrscheinlich auch Deserteure. Wir wollen das nun genau erforschen.

F: Die ganze Aktion hat ein ziemliches Loch in Ihrer Kasse hinterlassen. Was war so teuer?

Das Teuerste war der Schwertransport der Stelen und ihre Sicherung. Das Geld wurde vom Verein für Friedensarbeit vorgestreckt. Nun fehlen noch 3200 Euro, die wir gerne zurückzahlen wollen.

Interview: Wera Richter

* Domino Winter ist Mitglied der Jugend für Frieden Ulm (JUFFU), die sich erfolgreich für ein Denkmal für Deserteure eingesetzt hat
Spenden für das Ulmer Deserteurdenkmal gehen an: Verein für Friedensarbeit, KontoNr.: 116035, Sparkasse Ulm, BLZ: 630 500 00, Stichwort: Deserteurdenkmal, weitere Infos unter www.friedensdenkmal-ulm.de

* Aus: junge Welt, 3. April 2006

Gedanken zum Deserteurdenkmal

  • Denkmäler beziehen sich auf konkrete geschichtliche Ereignisse oder Personen, deshalb bedeutet die Aufstellung des Deserteur-Denkmals Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte - gerade heute besonders wichtig (Landtag Sachsen !)
  • Es gibt zwar in Ulm eine Gedenktafel für alle Opfer des zweiten Weltkriegs. Aber Deserteure sind eine besondere Personengruppe. Sie mahnen uns vor der Gefahr eines absoluten, sinnlosen Gehorsams.
    Auch andere Kriegsdenkmäler in Ulm beziehen sich auf besondere Personengruppen, nämlich meist nur auf die Soldaten; der Opfer aus der Zivilbevölkerung wird nicht gedacht.
  • Im Ulmer Münster (in der sogenannten Ehrenhalle) gibt es eine Gedenktafel für eine Sondergruppe des 2.Weltkriegs, nämlich die Gedenktafel für die 5.Division, die im Vernichtungsfeldzug gegen Russland eine wichtige Säule war. Diese Tafel wurde nach dem Krieg anlässlich eines Kameradschaftstreffens in Ulm angebracht.
  • Ein Deserteur-Denkmal soll nicht diejenigen, die damals im Krieg Soldaten waren, oder gar die, die gefallen sind, diffamieren.
    Es kann dazu beitragen, den Krieg zu entmythologisieren:
    Kriege sind keine Naturereignisse wie Gewitter. Sie sind von Mensche gemacht, geplant und von langer Hand vorbereitet durch entsprechende Feindbildproduktion.
  • Dass zumindest für einen Teil der deutschen Deserteure des 2.Weltkriegs die Sinnlosigkeit und die Verbrechen dieses Krieges (besonders im Krieg gegen Russland) der Grund waren, zu desertieren, zeigen die folgende Zahlen:
    1. Auf deutscher Seite gab es ca. 22 000 Todesurteile wegen Desertion,
    2. ca. 15 000 davon wurden vollstreckt.
    3. Auf angelsächsischer Seite wurde nur 1 Todesurteil wegen Desertion vollstreckt. (Quelle: Manfred Messerschmidt, ehemaliger leitender Historiker des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes der Bundeswehr, Freiburg. Sein Votum in„Blätter für deutsche und internationale Politik“. 6/89,S.656)
  • Wenn wir in Ulm auf die Geschwister Scholl stolz sind, ist es konsequent, auch Deserteure zu ehren.
  • Die Erfahrungen von Hans Scholl an der Ostfront haben den Widerstand der „Weißen Rose“ entscheidend mitbegründet.
  • Deserteure haben an der Front das gemacht, wozu die „Weiße Rose“ in ihrem dritten Flugblatt (Salus publica suprema lex) im Juli 42 (als studentische Widerstandsgruppe in München richtete die „Weiße Rose“ ihre Appelle an die Zivilbevölkerung und deren Möglichkeiten) aufrief:
  • Sabotage auf allen Gebieten (Rüstungsbetriebe, Versammlungen, Wissenschaft, Kultur, Schrifttum, Zeitungen), „Verhinderung des reibungslosen Ablaufs der Kriegsmaschine“, einer „Maschine, die nur für einen Krieg arbeitet, der allein um die Rettung und Erhaltung der nationalsozialistischen Partei und ihrer Diktatur geht“.
  • Beim Verfassen des letzten Flugblatts hatte Prof. Huber den Satz geplant: “Unterstellt euch weiterhin unserer herrlichen Wehrmacht.“ Diesen Satz haben Hans Scholl und Alexander Schmorell nicht zugelassen. Die „Weiße Rose hat sich daraufhin von Prof. Huber getrennt (Quelle: Michael Verhoeven/Mario Krebs, Die Weiße Rose, S. 210f)
  • Otl Aicher, der Schwager der Geschwister Scholl, war Deserteur. Sein Buch: „Innenseiten des Krieges“.
  • Das Ulmer Deserteur-Denkmal ist ein Kunstwerk, das der Stadt Ulm von der Künstlerin Hannah Stütz-Mentzel geschenkt wurde.
Bruni Düllmann

Quelle: Homepage der Initiative "Friedensdenkmal Ulm; www.friedensdenkmal-ulm.de



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