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"Wir kritisieren den christlichen Glauben, das Judentum und den Islam"

Atheisten sorgen sich um den Frieden. Erfahrungsaustausch auf der Konferenz "Give Peace a Chance". Ein Gespräch mit Rainer Ponitka *


Rainer Ponitka ist Sprecher des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA).

Am Freitag beginnt in Köln die »Atheistische Convention« unter dem Titel »Give Peace A Chance – Säkularisierung und globale Konflikte«. Wie begründen Sie, dass aus Ihrer Sicht tatsächlicher Friede nur in säkularen Staatsordnungen möglich ist?

Wir vom Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) finden es entscheidend, die Ausrichtung einer Gesellschaft und ihre Ethik unter allen Beteiligten auszuhandeln. Es kann nicht sein, dass dies eine Religion bestimmt. Beim Ausbruch von gewalttätigen Konflikten und Kriegen wirkt jede Religion wie Öl im Feuer – denn sie alle gehen jeweils davon aus, den einzig wahren Glauben zu vertreten und sich zum Moralwächter über andere aufspielen zu können. Aus säkularer Sicht ist Friede in einer Gesellschaft nur zu wahren, wenn Religion und Glaube rein private Angelegenheiten sind.

Gibt es Belege dafür, dass Staaten unter religiösem Einfluss eher Kriege entfachen als andere?

Unsere Referentin aus Bosnien und Herzegowina, die Juristin Nada Peratovic, wird bei der Konferenz den Wandel Kroatiens erläutern: Von einer Republik des ehemals sozialistischen Jugoslawien, in der Religion nicht staatlich unterstützt wurde, zu einer Region, in der Katholiken das Sagen haben. Wer seit den 90er Jahren dem Normativ des Katholizismus nicht entsprach, hatte es dort nicht leicht. Es folgte der Krieg.

Neuerlich erheben dort atheistische, wissenschaftliche Bewegungen ihre Stimme. Sie haben die Nötigung durch die Kirche satt; ihnen missfällt, dass sie sich überall einmischt. Peratovic ist Repräsentantin der Atheist Alliance International (AAI) im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UN) und Mitbegründerin des »Zentrum für Zivilcourage« in Zürich.

Wer wird außerdem referieren?

Morgan Elizabeth Romano, Vizepräsidentin der »Ateizm Dernegi« (Vereinigung der Atheisten in der Türkei) wird über die dortige Situation unter dem Titel »Rückwärtsgewandt: Der Niedergang des Säkularismus in der Türkei« referieren: Seit die AKP eine religiös-konservative Justiz gefördert hat, hat letzterer an Boden verloren. Die Journalistin Maryam Namazie, im Vorstand der ehemaligen Muslime in Großbritannien und Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Arbeiterpartei des Iran, wird den globalen Aufschwung der religiösen Rechten in Zeiten des Islamischen Staates (IS) erklären. Leo Igwe, Gründer der nigerianischen humanistischen Bewegung, wird schildern, welche Konflikte entstanden sind, seit Teile Afrikas von dschihadistischen Gruppen überfallen wurden.

Vom Prinzip her machen wir keinen Unterschied zwischen Religionen. Wir kritisieren den christlichen Glauben, das Judentum oder den Islam gleichermaßen. Natürlich sind die Religionen in ihrer Ausprägung sehr verschieden. Das westeuropäische Christentum hat die Aufklärung durchlaufen; ist somit erträglicher geworden, anderswo herrschen noch mittelalterlich geprägte Zustände. Religionen sind jedoch in ihrer Grundausrichtung und ihren Statuten stets von Gewaltvorstellungen geprägt – die Bibel ähnlich wie der Koran.

Den IBKA-Preis »Sapio« (deutsch: verständig, klug) erhält der Sänger der Punk-Band »Bad Religion«, Greg Graffin. Warum gerade er?

Wir verleihen den Preis an Personen oder Organisationen, die sich in herausragender Weise um Weltanschauungsfreiheit, Selbstbestimmung sowie Förderung des vernunftgeleiteten Denkens verdient gemacht haben. Griffin hat zum Beispiel das Punkmanifest geschrieben, einen Aufruf zur gegenseitigen Toleranz.

Welches Ziel haben Sie mit Ihrer Convention, da doch nur die Leute kommen, die bereits religionskritisch sind?

Atheisten wagen zunehmend, ihre Stimme zu erheben und sich zu ihren Überzeugungen zu bekennen, selbst in Ländern, in denen das bislang kaum denkbar schien. Zugleich gibt es immer mehr fundamentalistische Gewalt und Intoleranz. Auf der internationalen atheistischen Konferenz in Köln wollen wir Erfahrungen aus verschiedenen Ländern austauschen.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 21. Mai 2015


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