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Zwei rechte Flügel

Bremer AfD-Parteitag: Dreierspitze bald Geschichte, weiter Schlingerkurs zwischen Mob und Elite *

Mit der in Bremen durchgesetzten Parteireform hat AfD-Gründer Bernd Lucke seine Macht gefestigt. Eine schrittweise Reduzierung der bisherigen Dreierspitze auf erst zwei und dann nur noch einen Vorsitzenden ist laut Satzungsänderung beschlossene Sache. Die Solospitze wird nach dem Programmparteitag eingeführt, der Ende November 2015 stattfinden soll. Niemand in der Rechtspartei zweifelt nach dem Parteitag vom Wochenende ernsthaft daran, dass der Volkswirtschaftsprofessor Lucke dann alleiniger Parteichef wird. Damit spielt er mehr denn je eine entscheidende Rolle bei der Frage, ob sich die Alternative für Deutschland (AfD) von einer ursprünglich wirtschaftsliberal-eurokritischen zu einer klar rechtspopulistischen, nationalkonservativen Partei entwickeln wird. Welchen Weg Lucke bei der für dieses Jahr geplanten Verabschiedung des Parteiprogramms einschlagen will, bleibt auch nach dem Parteitag in Bremen unklar.

Stärkste Exponenten eines rechtspopulistischen Kurses in der AfD sind Co-Parteichefin Frauke Petry und Parteivize Alexander Gauland, der unter anderem mit der später relativierten Äußerung, er lehne Zuwanderung aus dem Nahen Osten pauschal ab, für Wirbel sorgte. Petry hatte gegen innerparteilichen Widerstand Kontakt zu der letzte Woche gespaltenen rassistischen Pegida-Bewegung (»Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes«) aufgenommen. Lucke sprach beide in seiner Rede vor knapp 1700 Parteitagsteilnehmern an und erklärte: »Ich bin zuversichtlich, dass wir alle die gemeinsame Überzeugung haben (...), dass der Erfolg der AfD untrennbar verknüpft ist mit dem Ansehen der AfD, das die AfD in der Mitte der Gesellschaft genießt und nicht an ihren Rändern.«

Diese Absage an rechtsextreme Tendenzen stellt Lucke aber selbst in Frage, wenn er seinen Parteifreunden entsprechende Äußerungen immer wieder durchgehen lässt. So konnte Gauland von Lucke unwidersprochen bei einer gemeinsamen Pressekonferenz am Rande des Parteitags die frühere Sprecherin der inzwischen gespaltenen Pegida, Kathrin Oertel, loben: »Ich schätze Oertel und ich hoffe, dass sie Erfolg hat mit ihrer neuen Gruppe.« Lucke selbst hat in der Vergangenheit Gemeinplätze rechten Gedankenguts aufgegriffen, indem er bestimmte Zuwanderer als Belastung für das deutsche Sozialsystem wertete. Für den Meinungsforscher und Forsa-Chef Manfred Güllner kann Lucke ein Kurs nach rechts im innerparteilichen Machtgefüge gefährlich werden: »Auch Lucke hat das rechtsradikale Segment angesprochen, aber hier schlagen Petry und Gauland härtere Töne an und sind auch glaubhafter«, sagte Güllner der Nachrichtenagentur Reuters. Aus seiner Sicht wird auch die Spaltung der Pegida »Zersetzungsprozesse in der AfD in Gang setzen«. Der Meinungsforscher sieht Parallelen zu rechtsradikalen Parteien wie der DVU oder den Republikanern, die nach anfänglichen Erfolgen in Splittergruppen zerfielen. Ein Grund sei, dass die AfD die Erwartungen ihrer Wähler nicht erfüllen könne. Als Opposition könne sie zum Beispiel nicht mehr Polizei in Grenzregionen einsetzen oder die Zuwanderung von Flüchtlingen stoppen.

Der prominenteste Vertreter des wirtschaftsliberalen Kurses, AfD-Parteivize Hans-Olaf Henkel, war erst gar nicht nach Bremen gekommen, warnte jedoch in einem Beitrag für das Handelsblatt davor, sich an Pegida zu orientieren. Auch Ausländerfeinde und Demokratiefeinde seien eine Gefahr für die AfD. Allerdings relativierte auch Henkel wie Lucke seine Äußerungen. In einer Videobotschaft an die Parteitagsteilnehmer erklärte er: »Die Unterschiede, die uns immer wieder unterstellt werden, gibt es in dieser Partei in dieser Form nicht.« Man sei gemeinsam der Ansicht, man müsse tolerant gegenüber Pegida sein.

* Aus: junge Welt, Montag, 2. Februar 2015


Luckes Tabu

AfD nach ihrem Parteitag

Von Thomas Wagner **


Was ist bloß bei der politischen Rechten los? Erst verkündet die von Kathrin Oertel und anderen angeführte Pegida-Abspaltung: »Wir gehen in Richtung direkte Demokratie«. Und dann hauen die Hauptredner der AfD auf dem Bremer Mitgliederparteitag in die gleiche Kerbe. »Ganz besonders brauchen wir eine Politik direkter Bürgerbeteiligung auf Bundesebene«, so Frauke Petry in ihrer Eröffnungsansprache. Und Jörn Kruse hält den »Altparteien« vor, wichtige gesellschaftliche Themen zu tabuisieren. Als Gegenmittel empfiehlt der Spitzenkandidat für die Hamburger Bürgerschaftswahl »viel mehr Demokratie«. Klingt gut, oder?

In Wirklichkeit verfährt das Führungspersonal der AfD nach einem Kalkül, das sich gegen die Interessen der Bevölkerungsmehrheit richtet. Das Rezept lautet: Schwächt die Parteien, und die Kapitaleigner werden strukturell gestärkt. Die Beispiele Schweiz und Kalifornien zeigen, dass direkte Demokratie im Kapitalismus die Interessen der Eigentümer tendenziell begünstigt. Während sich Lohnabhängige zusammentun müssen, um sich gegen die Kapitaleigner zu behaupten, verfügen diese über Geldmittel und haben den Rückhalt der Institutionen. Die Forderung nach unmittelbarer Volksbeteiligung auf Bundesebene ist Teil einer Strategie, mit der Lucke die in seinen Augen sozialdemokratisch dominierten politischen Verhältnisse aufmischen will. Sie trägt die Handschrift des liberalen Euro-Kritikers Hans-Olaf Henkel, der Luckes Bestreben unterstützt, die Partei als einziger Sprecher zu führen. Mehr als zwei Drittel der angereisten Mitglieder stimmten einer Satzungsänderung zu, die dies ab Dezember ermöglicht. Somit geht Lucke gestärkt aus dem Richtungsstreit der vergangenen Wochen hervor.

Unter seiner zentristischen Führung hat die AfD die reelle Chance, eine Hürde zu überwinden, an der alle bisherigen Parteigründungen rechts von der Union gescheitert sind: die Etikettierung als »extremistisch«. Wenn die Spitzenfunktionäre weiterhin auf eine behutsame Wortwahl im Hinblick auf Zuwanderung, Kriminalität und Familienpolitik achten und ansonsten die Themen direkte Demokratie und Euro-Kritik nach vorn schieben, könnte ihr das gelingen. Traditionelle antifaschistische Bündnispolitik würde dagegen zunehmend ins Leere laufen.

Was also tun? Die AfD muss als Hüterin des wichtigsten politischen Tabus entlarvt werden. Sie ist Teil jenes Machtkartells, das den abhängig Beschäftigten als den eigentlichen Produzenten die Verfügung über ihre Produktionsmittel verwehrt. Die kollektive Aneignung der Produktionsstätten, Maschinen und Wissensbestände ist notwendige Bedingung für eine umfassende Demokratisierung.

Erst wenn Menschen nicht mehr dazu erpresst werden können, ihre Arbeitskraft zu immer schlechteren Bedingungen zu verkaufen, wäre eine Wirtschaft wirklich freier Bürger erreicht.

** Aus: junge Welt, Montag, 2. Februar 2015 (Kommentar)


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