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"Fitter, schneller und flexibler"

NATO modifiziert Strategie und macht Kiew Mitgliedsavancen im Kampf gegen Russland

Von René Heilig *

»Wir müssen die NATO fitter, schneller und flexibler machen«, fordert Generalsekretär Rasmussen. Bis zum Ratsgipfel Anfang September in Wales soll der Weg zur neuen NATO geebnet sein.

Während NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sich am Donnerstag mit einem devoten Bückling beim ukrainischen Präsidenten Pjotr Poroschenko für die hohe Auszeichnung mit dem »Freiheitsorden« bedankte, starben in Gorlowka, Gebiet Donezk, mindestens fünf Zivilisten durch Artilleriebeschuss. Zehn wurden verletzt.

Was beide Ereignisse miteinander zu tun haben, erschließt sich, wenn man Rasmussens Erklärung vor der Presse in Kiew folgt. Mit keinem Wort hat der NATO-Generalsekretär für eine Waffenruhe zwischen den ukrainischen Streitkräften und den sogenannten russischen Separatisten geworben. Im Gegenteil. Nicht einmal, dass Kiew sogar das beiderseits verabredete Stillhalten am Absturzort von Flug MH17 aufkündigte, animierte den Gast zu Kritik.

Rasmussen droht Moskau und lockt Kiew. Grundsätzlich halte die NATO die Tür für die Ukraine weiter offen. Man stehe zur entsprechenden Zusage beim 2008er Bündnisgipfel. Doch noch sei die Ukraine ob ihrer Verfassung der Blockfreiheit verpflichtet. Falls man in Kiew »dieses Gesetz revidiert, werden wir das auch respektieren«, ließ der NATO-Generalsekretär protokollieren. Gesprächspartner Poroschenko versicherte, immer mehr Ukrainer unterstützten einen »euroatlantischen Kurs«.

Beide wissen, dass die Ukraine – selbst wenn sie jetzt den Antrag auf NATO-Mitgliedschaft stellen könnte – nicht ins Bündnis aufgenommen werden dürfte. So lange ein Land mit einem Nachbarn Grenzstreitigkeiten hat, sind NATO-Erweiterern die Hände gebunden. Allzu schnell wäre das Bündnis sonst durch seine Beistandspflicht hineingezogen in unkalkulierbare Konflikte.

Auf diese besonnene Zurückhaltung setzen mehrere NATO-Staaten, auch Deutschland. Rasmussen, der auch noch am Ende seiner Amtszeit den USA gefällig sein möchte, ist auf Werbetour, um möglichst viele Bündnismitglieder in die abermalige Anti-Russland-Ausrichtung der NATO einzubeziehen. Jüngst hatte er in London ziemlichen Erfolg.

Zugleich sucht man in Brüssel nach Ukraine-Kooperationsmöglichkeiten unterhalb einer Mitgliedschaft. Wie das ausschaut, ist öffentlich nur verschwommen zu erkennen. NATO-Experten beraten ukrainische Partner bei den militärischen Planungen, man stellt Aufklärungsmaterial bereit, schult Militärs unter anderem bei der Führung von Operationen und bei der Verbesserung der Logistik. Beides, so zeigt sich seit Monaten in der Ostukraine, gehört bislang nicht zu den Stärken der ukrainischen Generale.

Im Juni bereits vereinbarten die NATO-Außenminister vier Treuhandfonds für die Ukraine. Dafür wird man Kiew keine neue Waffen verkaufen. Das sei bilateralen Verträgen vorbehalten. Aktuell, so heißt es in Brüssel, reichten die alten Gerätschaften zur Niederwerfung der Separatisten. Wenn man aber die zwischen Rasmussen und Kiewer Regierungsvertretern angesprochenen Bereiche Kommandoführung, Kommunikation und Cyberabwehrfähigkeiten betrachtet, weiß man, wofür das NATO-Geld verwendet wird.

Die westliche Bündnis fordert mit gewaltigem medialen Einsatz den Rückzug der russischen Truppen von der Grenze zur Ukraine. Vorsorglich warnt man Putin vor dem Einsatz einer »Friedenstruppe« in der Ukraine. Wohl wissend, dass diese die einzige Möglichkeit wäre, den Separatisten einen halbwegs gesicherten Abzug zu ermöglichen, falls es weiter zu keiner politischen Lösung zwischen ihnen und der Regierung in Kiew kommt.

Dass Putins Truppen auch deshalb aufmarschiert sind und allerlei Manöver abhalten, weil die NATO Russland so dicht wie noch nie auf den Pelz gerückt ist, dürfte auch in Brüssel klar sein. Dort wird trotzdem angestrengt an einer Verstärkung der NATO-Ostflanke gearbeitet: Flottenaufmärsche in der Ostsee und im Schwarzen Meer werden organisiert, NATO-Kampfstaffeln sind in den baltischen Staaten und in Polen stationiert. Auch von Rumänien aus wird verstärkt Luftaufklärung betrieben. Vor allem die USA üben die rasche Verlegung von Kampftruppen nach Polen. Waffen und Gerät wird demnächst vor Ort gelagert sein. Parallel füllt die US-Army ihre Depots in Norwegen auf.

Acht Militärübungen mit NATO-Beteiligung werden in diesem Jahr in der Ukraine abgehalten, rechnet Moskau vor. Vor allem im September zeigt die Allianz Muskeln. Beispielsweise mit »Rapid Trident«. An der Übung sollen 1300 Soldaten aus 16 Nationen teilnehmen – ganz im Geiste des NATO-Programms »Partnerschaft für den Frieden«, heißt es.

Moskau reagiert auf solche Aufmärsche, wie von Brüssel berechnet, »aggressiv«. Während das Nordatlantik-Bündnis im Juli die Manöversaison – nach eigenem Bekunden – mit einigen harmlosen Schiffen im Juli planvoll und friedlich im Schwarzen Meer begann, befahl Putin seine Kriegsmarine zur Gefechtsübung vor die annektierte Krim. Wie leicht sich aus solchen medial manipulierten »Doppelmanövern« ein gemeinsamer Konflikt ergeben kann, ist bekannt.

Am morgigen Dienstag wird Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ihren britischen Amtskollegen Michael Fallon begrüßen. Zum Antrittsbesuch, wie es heißt. Doch natürlich wird es bei dem Gespräch um den im September in Wales stattfindenden NATO-Gipfel gehen. Es wird an von der Leyen sein, ihrem Kollegen klar zu machen, was auch sie bislang stets vertreten hat. Die im strategischen NATO-Konzept von 2010 enthaltenen Festlegungen über die Beziehungen der NATO zu Russland seien nach wie vor gültig und nicht veränderungsbedürftig. Das gilt insbesondere für das Streben des Bündnisses nach einer – wie es im NATO-Papier heißt – »echten strategischen Partnerschaft zwischen NATO und Russland«. Bislang betonte die Bundesregierung stets, dass »nachhaltige Sicherheit in Europa nur in Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation zu erreichen ist«.

* Aus: neues deutschland, Montag 11. August 2014


Das Geflecht der NATO

Die NATO (North Atlantic Treaty Organization) bleibe »ein zentraler Anker unserer Verteidigungs- und Sicherheitspolitik«, sagt das Auswärtige Amt. Mit derzeit 28 Mitgliedern trage die NATO entscheidend zu Sicherheit und Stabilität im Euroatlantischen Raum bei. Das Hauptquartier ist in Brüssel. Oberhalb der verbündeten Streitkräfte gibt es ein vielgestaltiges Geflecht von politischen und militärischen Gremien. Die aktuelle Arbeit wird geleitet vom Generalsekretariat, dem noch der Däne Anders Fogh Rasmussen vorsteht. Höchstes Gremium des Bündnisses ist der Nordatlantikrat, auch NATO-Rat genannt. Alle Mitgliedsstaaten sind vertreten, er tagt wöchentlich, beteiligt sind die jeweiligen NATO-Botschafter. Mehrmals jährlich finden Konferenzen auf der Ebene der Außen- oder Verteidigungsminister statt. Geht es um noch »höhere Beträge«, treffen sich die Staats- und Regierungschefs. Einstimmigkeit ist bei den Entscheidungen Pflicht.

Der Verteidigungsplanungsausschuss ist quasi ein Fachministertreff, der Routineaufgaben durch die NATO-Botschafter erledigen lässt. Da die Kriegsführung auf Atomwaffenniveau immer unwahrscheinlicher geworden ist, verlor die Nukleare Planungsgruppe scheinbar an Bedeutung. Doch Atomwaffen als politisches Druckmittel gegen andere Staaten und Regionen sowie im Innern gegen einzelne Mitgliedsstaaten sind weiterhin ein probates Mittel.

Der NATO-Militärausschuss ist das oberste militärische Gremium. In ihm sind die Stabschefs vertreten. Militärisch ist das Bündnisgebiet in zwei Bereiche mit zwei Oberbefehlshabern eingeteilt: Europa (SACEUR, Hauptquartier Shape im belgischen Casteau) und Atlantik (SACLANT, Hauptquartier in US-amerikanischen Norfolk). Die Streitkräfte der Mitgliedsstaaten sind der NATO teilweise ständig unterstellt oder werden – unter nationalem Oberbefehl – dafür in Bereitschaft gehalten.

Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde die Strategie des Bündnisses mehrfach geändert. Man setzt auf sogenannte Schnelle Eingreiftruppen. Das sind temporär zusammengesetzte, multinationale Verbände, die rasch weltweit verlegbar und verwendungsfähig sind. Zugleich bemühte man sich im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden um eine Quasi-Erweiterung beziehungsweise eine verbesserte Zusammenarbeit zur Durchsetzung der politischen Ziele. Es gibt gemeinsame Übungen, man passt Ausrüstungen an, tauscht Beobachter und Instrukteure aus. So will man auch eine effektive Zusammenarbeit bei internationalen Militäreinsätzen wie in Afghanistan ermöglichen.

Im Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat soll der Informationsaustausch der 46 Staaten verbessert werden. Seit 1994 gibt es einen verstärkten Dialog zwischen der NATO und Russland. 1997 vereinbarten Russland und die NATO die Zusammenarbeit im Rahmen einer Sicherheitspartnerschaft. Das zuständige Gremium ist der NATO-Russland-Rat, in dem die 20 Mitglieder gleichberechtigt entscheiden. Die Arbeit des Rates wurde jedoch wegen der Krim-Annektion vor Monaten von der NATO auf Eis gelegt. hei




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