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Kein bißchen weise

65 Jahre nach ihrer Gründung zeigt sich die NATO aggressiv wie ehedem. Weitere Aufrüstung und verstärkte Präsenz in West wie Ost

Von Knut Mellenthin *

Die NATO könnte und sollte 65 Jahre nach ihrer Gründung endlich in Rente gehen. Statt dessen tobt sie sich in einem späten zweiten Frühling aus. Daß dabei ein SPD-Politiker in der Öffentlichkeit geradezu tollkühn vorprescht, während die CDU sich betont zögerlich gibt, kann nach dem Luftkrieg gegen Jugoslawien im Frühjahr 1999, der Rolle der Schröder-Fischer-Regierung beim Einstieg in die Afghanistan-Intervention im Dezember 2001 und den »rot-grünen« Angriffen gegen Guido Westerwelle wegen der deutschen Nichtbeteiligung am Libyen-Krieg kaum noch jemanden verwundern. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold, fordert – einem Bericht von Spiegel online zufolge – eine »strategische Neuausrichtung« der deutschen Militärpolitik. Dazu gehören unter anderem der verstärkte Aufbau von Panzertruppen, die Beschleunigung der Kriegsbereitschaft westlicher Land- und Luftstreitkräfte, die schnellstmögliche Entwicklung eines gemeinsamen europäischen Drohnenmodells und die Wiederaufnahme der zeitweise ausgesetzten Arbeiten an der Überwachungsdrohne »Euro Hawk«. Insgesamt ein pralles Geschenk für die deutsche Rüstungsindustrie, die sich bei ihrem eifrigen Lobbyisten vermutlich entsprechend bedanken wird.

Angesichts dieser forschen Forderungen gibt sich der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Union, Volker Kauder, zurückhaltender. »Die aktuelle Situation der Krim-Krise hat auf die Rüstungsprojekte der Bundeswehr null Einfluß«, erzählte er dem Spiegel. Daß dies zutrifft, ist allerdings kaum anzunehmen. Trotzdem hat Kauders Wort Gewicht, denn es ist bekannt, daß er oft ausspricht, was seine Kanzlerin möchte oder in die Debatte werfen will.

Unterdessen macht US-Verteidigungsminister Chuck Hagel in Ost­asien darauf aufmerksam, daß Rußland nicht der einzige, und auf lange Sicht vielleicht nicht einmal der wichtigste Feind der NATO ist. Bei einem Besuch in Tokio begrüßte er am Sonntag die Absicht der japanischen Regierung, den Grundsatz der ausschließlichen »Selbstverteidigung«, der nach dem Zweiten Weltkrieg in der Verfassung verankert wurde, abzuschaffen. Dieses Prinzip hindert Japan gegenwärtig noch daran, seine Soldaten zu Kampfeinsätzen ins Ausland zu schicken. Eine Verfassungsänderung würde auch den Weg Japans zum Anschluß an die NATO öffnen.

Hagel, der am heutigen Montag Gespräche in Peking führt, bestätigte in Tokio, daß für die von Japan besetzten, aber von China beanspruchten Senkaku- oder Diaoyu-Inseln die US-amerikanische »Beistandspflicht« gelte. Er kündigte außerdem die Stationierung zweier weiterer Kriegsschiffe in japanischen Gewässern an, wodurch deren Zahl auf sieben erhöht würde. Neben Luftabwehrraketen tragen diese Zerstörer auch Cruise Missiles, mit denen China beschossen werden könnte.

Die NATO wurde am 4. April 1949 von zwölf Staaten gegründet. In den folgenden 49 Jahren traten lediglich vier neue Mitglieder dem Bündnis bei, darunter die BRD im Mai 1955. Als sich im Juli 1991 die Warschauer Vertragsorganisation auflöste, wäre es für die westliche Militärallianz höchste Zeit gewesen, in den Ruhestand zu gehen. Statt dessen wurden seit März 1999 zwölf osteuropäische Staaten in die NATO aufgenommen, darunter drei ehemalige Republiken der Sowjetunion. Drei weitere Länder – die früheren jugoslawischen Teilrepubliken Montenegro, Bosnien-Herzegowina und Makedonien – stehen auf der letzten Stufe vor dem Beitritt.

* Aus: junge Welt, Montag, 7. April 2014


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