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Rasmussens langer Wunschzettel an den Kreml

Von Andrej Fedjaschin *

Der neue NATO-Generalsekretär Rasmussen hat am heutigen Dienstag (15. Dez.) einen ersten offiziellen Besuch in Moskau begonnen.

Der Besuch wird von der geplanten Aufstockung des Truppenkontingents der USA, der NATO und der anderen Koalitionsländer im Kampf gegen die Taliban überschattet. Ein weiterer Faktor ist die von den USA geplante Aufstockung der afghanischen Armee. Sie soll bis Oktober 2010 auf 134 000 Mann anwachsen. Bis 2014 sollen weitere 100 000 Soldaten hinzukommen.

Zu den internationalen Truppen sollen noch 37 000 Soldaten dazukommen. Damit werden sie etwas mehr als 140 000 Personen stark sein. Zusammen werden der internationale und der afghanische Teil der im Westen als „Sicherheitskräfte" benannten Truppen aus 300 000 Soldaten bestehen.

Es ist zwar unklar, weshalb zu ihnen die äußerst unzuverlässige afghanische Armee gerechnet wird. Doch alle Afghanen müssen eingekleidet, bewaffnet, mit Essen versorgt, medizinisch behandelt und ausgebildet werden. Dazu brauchen die Koalitionsmächte Versorgungswege. Dabei gibt es keinen besseren Weg als durch Russland für die NATO.

Die NATO sieht auch keinen besseren Ausbilder für die Afghanen als die russischen Militärs und Polizeiinstrukteure. Ihre Denkart, die Einfachheit und Effizienz der Lehrmethoden passen zur afghanischen Mentalität besser als die westlichen. Außerdem ist die afghanische Armee fast vollständig mit sowjetischen Waffen ausgerüstet.

Russland hat übrigens bereits mehrere Tausend Afghanen als Drogenfahnder ausgebildet und führt die Ausbildung von neuen Polizisten und Nachrichtendienstlern weiter. Die Erfahrung ist also da. Die Afghanen trauen dem ehemaligen Feind als Ausbilder mehr als den amerikanischen und britischen Instrukteuren.

Der NATO-Generalsekretär hat eine große Wunschliste nach Moskau mitgebracht. Auf dieser Liste stehen mehrere Dutzend „militärische Güter und Dienstleistungen". Wenn Russland bereit wäre, sie an Afghanistan zu liefern, würde das die Beziehungen zwischen Russland und der NATO zur „wahrhaftig strategischen Partnerschaft" erheben, sagte Rasmussen.

Auf der „Rasmussen-Liste" stehen AK-47-Maschinenpistolen in verschiedenen Modifizierungen (insgesamt mehrere Hunderttausend), schwere Maschinengewehre, Pistolen, Granatwerfer, tragbare Flugabwehrraketen, Feldartilleriegeschütze und Schützenpanzerwagen. Ebenso will die NATO die Afghanen mit russischen An-32-Flugzeugen, die sich in Afghanistan bereits bewährt haben, Hubschraubern und Lastwagen ausrüsten. Afghanistan hat bereits vier An-32-Maschinen, die NATO will mindestens sechs weitere bestellen.

Die Allianz geht logischerweise davon aus, dass die Afghanen sich seit langem an sowjetische Maschinen gewöhnt haben. Es wäre sinnlos, zeitraubend und kostspielig, sie mit NATO-Standards neu auszubilden. Das Nordatlantik-Bündnis muss ohnehin einen großen Teil der Gelder für die eigenen Truppen ausschütten. Russland könnte der NATO, der Welt und sich selbst damit einen sehr großen Dienst erweisen.

Der Kreml will Rasmussens Wünsche nicht nur erörtern, sondern auch fast allen Forderungen zustimmen. Doch die NATO wünscht, dass Russland die Waffen, zumindest einen Großteil davon, kostenlos an Afghanistan abgibt. Alle Diplomaten und Militärexperten der Allianz geben das in Privatgesprächen zu. Die USA und NATO werden nämlich ihren Etat für Hunderte Millionen Dollar schwere Einkäufe stark strapazieren müssen. Doch sie haben weder für das nächste noch für das übernächste Jahr Gelder für massive Waffeneinkäufe einkalkuliert.

Die NATO macht übrigens keinen Hehl daraus, dass sie noch mehr von Russland will. Sie will russische Truppen in Afghanistan sehen.

Darüber soll Rasmussen zuerst mit Präsident Medwedew, dann mit Ministerpräsident Putin verhandeln. Da Rasmussen gekommen ist, um Russland um Hilfe bei der Zähmung Afghanistans zu bitten, wird er wohl oder übel auch Medwedews Plan zum neuen Vertrag über europäische Sicherheit diskutieren müssen.

Die NATO hat bereits ein leises „Nein" zur neuen europäischen Sicherheitsstruktur gegeben. Doch offen und offiziell hat das noch niemand gesagt. Das Bündnis sieht Medwedews Plan als Anspruch auf seine Rolle des Sicherheitsgaranten der Mitgliedsländer von Tallinn bis Lissabon und will ihn nicht akzeptieren.

Rasmussen wird Russland ebenfalls zureden, Obamas neuem Raketenabwehrplan für Europa zuzustimmen. Der Generalsekretär sagte, dass die NATO sogar weiter gehen und Russland in die neue europäische Raketenabwehrarchitektur mit einschließen wolle.

Es sieht so aus, als ob Russland und die NATO Partner bleiben, solange es die Taliban in Afghanistan gibt. Die werden dort lange bleiben. Die US-Truppen werden Afghanistan in anderthalb Jahren mit Sicherheit nicht verlassen können, wie es Präsident Barack Obama im November ankündigte. Sprecher des Pentagon geben bereits jetzt zu, dass dies zu voreilig war. Den USA sind mindestens vier bis fünf Jahre militärische Präsenz in Afghanistan sicher.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der der RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 15. Dezember 2009; http://de.rian.ru



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