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Nato-Gipfel in Bukarest: Kraftprobe zwischen Moskau und Washington

Bush gelingt wieder die Spaltung in ein "altes" und "neues" Europa. Pressestimmen

Bukarester Quadratur des Kreises

NATO-Gipfel der Superlative in der rumänischen Hauptstadt

Von Rainer Rupp *


Die Staats- bzw. Regierungschefs der NATO-Staaten sind am Mittwoch (2. April) zum Gipfel der Superlative in die rumänische Hauptstadt Bukarest gekommen. Doch der politische Streit um das weitere Vorgehen der NATO in Afghanistan, in Erweiterungsfragen oder auf globaler Ebene läßt keine Festtagsstimmung aufkommen. Dennoch sind die Politiker vor den anwesenden 3500 Journalisten sichtlich um Einigkeit in der Außendarstellung bemüht. Unmittelbar vor Beginn des Gipfels hat US-Präsident George W. Bush von den europäischen Bündnispartnern erneut mehr Kanonenfutter für Afghanistan gefordert. »Unser Bündnis muß seine Entschlossenheit beibehalten und den Kampf zu Ende bringen«, sagte er in der rumänischen Hauptstadt. Allerdings dürften seine Aufrufe bei den meisten Verbündeten auf taube Ohren stoßen. Geradezu symbolisch für den Niedergang der US-amerikanischen Autorität war, daß bei Bushs Rede vor ausländischen Journalisten vor der feierlichen Eröffnung für 20 Minuten der Ton ausgefallen war und viele Presseleute dem US-Präsidenten verärgert den Rücken kehrten.

Für nicht wenige Beobachter bewegt sich Bush seit langem in seiner eigenen, eingebildeten Realität, in der er sich dazu hinreißen läßt, die Quadratur des Kreises zu fordern. Dazu gehört, daß der vor Gipfelbeginn mit der Forderung nach rascher Aufnahme der früheren Sowjetrepubliken Georgien und Ukraine in die NATO auf deutlichen Konfrontationskurs zu Rußland gegangen ist, während er zugleich erklärt, mit Moskau eine strategische Zusammenarbeit »auf nicht dagewesenem Niveau« anzustreben. »Hier in Bukarest müssen wir klarmachen, daß die NATO das Streben Georgiens und der Ukraine nach einer Mitgliedschaft begrüßt«, erklärte Bush. Deutschland, Frankreich und andere europäische NATO-Bündnispartner halten die Aufnahme der beiden Länder in den sogenannten NATO-Aktionsplan, der als letzte Stufe vor dem Beitritt gilt, jedoch für verfrüht.

In einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung hat BRD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Mittwoch gewarnt, »die Grenzen der Belastbarkeit« Rußlands dürften nicht überschritten werden. Nach dem großen Konflikt um die Souveränität des Kosovo gebe es »in diesem Jahr keinen zwingenden Grund«, das Verhältnis zu Moskau »einer weiteren Belastung auszusetzen. Auch Verteidigungsminister Franz Josef Jung betonte, daß die Aufnahme Georgiens und der Ukraine Zeit brauche. Sowohl in der Afghanistan-, der Abwehrraketen- und der Erweiterungsfrage spaltet George W. Bush wie zu Zeiten des US-Angriffskriegs gegen Irak erneut die Allianz. Die deutschen Sicherheitsinteressen stoßen offensichtlich zunehmend mit denen der USA zusammen und Kanzlerin Angela Merkel sieht sich ungewollt in der Position der Gegenspielerin Washingtons.

* Aus: junge Welt, 3. April 2008


Wildwest in Bukarest

NATO-Gipfel: Bundesaußenminister Steinmeier auf Konfrontation zu US-Präsident Bush

Von Jürgen Elsässer **

Der NATO-Gipfel in Bukarest stand von Beginn an im Zeichen der schärfsten Widersprüche im Bündnis seit dem Streit um den Irakkrieg im Frühjahr 2003. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier gab dem US-Präsidenten George W. Bush Kontra wie seinerzeit sein damaliger Chef, Bundeskanzler Gerhard Schröder. Oder ist alles nur Show, Warmlaufen eines künftigen Kanzlerkandidaten?

»Zwei glorreiche Halunken« lautet der deutsche Titel eines 1966 gedrehten Italo-Westerns. Das englische Original des Kassenschlagers von Sergio Leone trifft die Konstellation auf dem NATO-Gipfel besser: Seit Dienstag stehen sich in Bukarest »The Good, The Bad and The Ugly« gegenüber -- der Gute, der Böse und der Hässliche. Die Rolle des Bösen ist mit dem Politdarsteller aus Washington besetzt, für die beiden anderen Typen gibt es aussichtsreiche Anwärter; Steinmeier will den Guten spielen.

US-Präsident George W. Bush verdeutlichte in seiner Eröffnungsrede, wie zügig er die Einkreisung Russlands fortsetzen will. »Hier in Bukarest müssen wir klar machen, dass die NATO das Streben Georgiens und der Ukraine nach einer NATO-Mitgliedschaft begrüßt«, sagte er. »Alle Länder haben mir zugesichert, dass Russland kein Vetorecht hat in den Fragen, die in Bukarest entschieden werden.«

Da war der Texaner freilich etwas voreilig. Das Einspruchsrecht, das Moskau nicht zusteht, nehmen nämlich -- stellvertretend -- die westeuropäischen NATO-Partner wahr. An die Spitze der Opposition hat sich jener Politiker gestellt, der als der eigentliche Stratege hinter der leider kurzlebigen Achse Paris-Berlin-Moskau aus den besten Tagen der Ära Schröder gilt. Außenminister Steinmeier verwies auf die »breite Skepsis« in Europa in der Frage einer weiteren Ostausdehnung der NATO. Diese Skepsis werde in Washington »etwas spürbarer« wahrgenommen, »weil Deutschland als bevölkerungsreiches und großes Land in Europa mehr Gewicht als beispielsweise Liechtenstein« habe. Die Präsidentschaftswahlen in Georgien im vergangenen Jahr hätten gezeigt, dass »das Land noch nicht auf einem sicheren stabilen Weg« ist. Und in der Ukraine gebe es »vergleichsweise wenig Rückhalt« für den westlichen Militärpakt. Schon mit der Anerkennung des Kosovo sei die NATO »im Verhältnis zu Russland ans Limit gegangen«. Es dürfe nicht dazu kommen, dass man sich über die »Grenze der Beherrschbarkeit« hinaus bewege.

Steinmeiers Sorge vor einer unkontrollierbaren Entwicklung in Europa korrespondiert mit den Warnungen des russischen Außenministers Sergej Lawrow, dass bei einer Entscheidung der NATO für den Beitritt Georgiens und der Ukraine eine »rote Linie« überschritten werde. Berlin und Paris sind zwar weiter bereit, die USA bei Aggressionen gegen die islamische Welt zu unterstützen, wie die deutsche Ankündigung zur Übernahme der Schnellen Eingreiftruppe in Nordafghanistan und das französische Angebot zur Truppenaufstockung am Hindukusch beweisen. Aber sie sind nicht bereit, Feuer an das eigene Haus zu legen -- wohl wissend, dass im Kosovo bereits eine Lunte brennt.

Ob die Bundeskanzlerin Steinmeier auf dem Gipfel stützt, bleibt fraglich. Auch Angela Merkel hat bei ihrer Ankunft in Bukarest die weitere NATO-Ostausdehnung als »zu früh« bezeichnet. Gleichzeitig betonte sie aber, Georgien und die Ukraine hätten »unstrittig« eine »Perspektive für den Beitritt«. Das riecht nach faulem Kompromiss.

Steinmeiers Offensive wird durch eine Umfrage für die heute erscheinende Ausgabe des »Stern« gestützt: 28 Prozent halten ihn für den besten Kanzlerkandidaten der SPD. Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit (16 Prozent) und der derzeitige Vorsitzende Kurt Beck (14 Prozent) wurden klar distanziert. »Machtbewusstsein« trauen ihm allerdings nur 18 Prozent zu. Grund genug, in Bukarest nicht in die Knie zu gehen.

** Aus: Neues Deutschland, 3. April 2008


Weitere Pressestimmen

Die Presseschau des Deutschlandfunks bringt am 3. April eine Reihe weiterer Stimmen aus dem Ausland. Sie zeigen die unterschiedliche Interessenlage der europäischen Staaten. ***

Die französische Zeitung DERNIERES NOUVELLES D'ALSACE blickt nach Bukarest und kommentiert die Diskussion um die Ost-Erweiterung der Allianz:
"Russland lehnt eine 'Anwartschaft' auf den Beitritt zum Atlantischen Bündnis ab, die die USA der Ukraine und Georgien verleihen wollen. Bei dieser Kraftprobe zwischen Moskau und Washington zeigt Europa vor allem seine traurige Nicht-Existenz. Einige Mitgliedstaaten preschen vor, andere folgen den USA aus 'atlantischer Disziplin'. Auch wenn das Verhalten der EU legitim sein mag und sich aus der Geschichte erklärt, so wird Europa dadurch in der Außenpolitik gelähmt und gegenüber Moskau noch bedeutungsloser", betonen die DERNIERES NOUVELLES D'ALSACE aus Straßburg.

Die russische Zeitung ISWESTIJA hält fest:
"Die Franzosen, die Deutschen und andere Europäer reizt eine Beitrittsperspektive für Georgien und die Ukraine nicht allzu sehr. Sie halten es vielmehr für wünschenswert, neuen Streit mit Russland zu vermeiden. Moskaus ablehnende Haltung ist seit langem klar. Diese bewusst zu ignorieren, würde bedeuten, dem Kreml den Fehdehandschuh hinzuwerfen. So wird die Frage des NATO-Beitritts von Tiflis und Kiew wohl bis 2009 verschoben - vermutlich unter einem passenden diplomatischen Vorwand, um 'die Revolutionäre' Michail Saakaschwili und Viktor Juschtschenko nicht zu kränken", glaubt ISWESTIJA aus Moskau.

Auch die GAZETA 24, die in Kiew erscheint, geht davon aus, dass in Bukarest der Beitrittsprozess für die Ukraine und Georgien noch nicht eingeleitet wird:
"Unter den führenden NATO-Mitgliedern besteht in der Frage kein Konsens. Einig ist man sich nur darin, eine Politik der "offe- nen Tür" zu betreiben. Obwohl die USA eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens möglichst schnell erreichen wollen, sind Deutschland und Frankreich der Ansicht, dass die Länder den Kriterien noch nicht entsprechen. Nicht zuletzt spielt da- bei eine Rolle, dass die Pläne in Moskau eine äußerst negative Reaktion auslösen", erklärt die ukrainische GAZETA 24.

Die Zeitung ARAB NEWS aus Saudi Arabien meint, es sei schwer zu verstehen,
"warum George Bush die Ukraine und Georgien mit ins Boot ziehen will. Militärisch haben beide Staaten der Allianz nur wenig zu bieten. Die politischen Folgen wären hingegen mit Blick auf ein wiedererstarkendes Russland gravierend. Vor allem eine Aufnahme Georgiens könnte die NATO in einen direkten Konflikt mit dem Kreml stürzen, da Georgien und Russland bereits in Grenzfragen zerstritten sind. Es wäre vielmehr der richtige Zeitpunkt gewesen, um dem künftigen russischen Präsidenten die Hand zu reichen. Bush hat diese Gelegenheit versäumt. Und er hat mit Sicherheit viele europäische NATO-Verbündete verprellt", unterstreicht ARAB NEWS aus Dschidda.

Das "alte Europa" habe "Nein" gesagt, bemerkt das römische Blatt IL MESSAGGERO:
"Georgien und die Ukraine werden ihre Erwartungen, zumindest die Vorstufe zu einer Mitgliedschaft in der NATO zu erreichen, so schnell nicht verwirklicht sehen. Auf dem Gipfel in Bukarest wurde damit erstmals gewagt, den weisen Worten des ersten NATO-Generalsekretärs Lord Ismay zu widersprechen. Für ihn war die Allianz dazu da, die Amerikaner einzubinden, die Sowjets draußen zu lassen und die Deutschen am Boden zu halten. Diesmal ist es anders gelaufen", konstatiert IL MESSAGGERO aus Italien.

In der chinesischen Zeitung JIEFANG RIBAO ist zu lesen:
"Die USA sind die engagiertesten Befürworter einer Ost-Erweiterung der NATO. Washington verfolgt damit das Ziel, den strategischen Raum Russlands einzuschränken. Moskau kann dies nicht hinnehmen. Die amerikanisch-russischen Beziehungen sind daher angespannt. Bis auf einige osteuropäische Länder wie Polen haben die meisten EU-Mitglieder eine ablehnende Haltung zur NATO-Mitgliedschaft Georgiens und der Ukraine. Deswegen ist von diesem Gipfel kein Ergebnis zu erwarten", schreibt JIEFANG RIBAO aus Shanghai.

Die polnische Zeitung RZECZPOSPOLITA kritisiert die deutsche Haltung:
"Besonders traurig ist, dass ausgerechnet jene europäischen Staaten Moskau ein Mitspracherecht bei Beitrittsentscheidungen einräumen, die sich selbst am längsten der Stabilität erfreuen. Angela Merkel meint, dass man die Ukraine zur NATO nicht einladen kann, weil die Mehrheit der Ukrainer die Mitgliedschaft nicht unterstützt. Doch in der DDR, in der die Bundeskanzlerin aufgewachsen ist, war die in der pazifistisch-kommunistischen Ideologie erzogene Mehrheit auch gegen die NATO. Warum wollen Deutsche jetzt der Ukraine und Georgien keine Chance geben?", fragt RZECZPOSPOLITA aus Warschau.

*** Aus: Deutschlandfunk; http://www.dradio.de/presseschau/


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