Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Besatzungshelfer gesucht

Ausbildung, Drogenbekämpfung, Grenzsicherung: NATO will russische Soldaten für Afghanistan

Von Rainer Rupp *

Man sollte annehmen, daß Moskau seine Lektion in Afghanistan gelernt hat, wo die Sowjetarmee dank der tatkräftigen Unterstützung der USA für die islamistischen Gotteskrieger in den 1980er Jahren an die 50000 Soldaten verloren hat. Geht es aber nach der US-Regierung und NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, dann werden schon bald wieder russische Soldaten am Hindukusch ihr Leben lassen, diesmal allerdings nicht für den Sieg des Sozialismus, sondern für die NATO. Entsprechende Projekte mit Aufgabenstellungen für russische Soldaten in Afghanistan als Hilfstruppen an der Seite der westlichen Besatzer hatte Rasmussen bereits im Dezember vergangenen Jahres bei seiner Visite in Moskau im Gepäck gehabt. Es war der erste Besuch des Generalsekretärs gewesen seit der georgischen Aggression gegen Südossetien im August 2008 und den daraus resultierenden Spannungen zwischen der NATO und Rußland. Damals hatte der Kreml auf das unmoralische Angebot aus dem Westen noch mit einem eindeutigen »Njet« geantwortet.

Heute scheint Moskau im Prinzip bereit, sich in Sachen Raketenschild, Ostausdehnung der NATO und Anerkennung der russischen Sicherheitsinteressen das Entgegenkommen des Westens durch ein militärisches Engagement in Afghanistan zu erkaufen. Der russische Präsident Dmitri Medwedew hätte die politische Kehrtwende im Kreml nicht deutlicher machen können, als er anläßlich einer Tagung der »Münchner Sicherheitskonferenz« in Moskau am 21. Oktober konstatierte, daß »die NATO keine aggressiven Absichten gegen Rußland« hege.

Konkret möchte die NATO Rußland für folgende Militärprojekte verpflichten: Ausbildung afghanischer Piloten an russischen Militärhubschraubern; Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte durch russisches Militär; verstärkte Kooperation bei der Drogenbekämpfung und der Sicherung der afghanischen Grenze sowie Ausbau der Transitwege auch für den militärischen Nachschub der NATO-Truppen in Afghanistan, was angesichts der Wirren in Pakistan, durch das bisher das Gros der Besatzerversorgung läuft, immer dringlicher wird. Der Gipfel des Militärpakts am 20. November in Lissabon, zu dem auch Präsident Medwedew kommen wird, werde »den Startschuß zu einer engeren Beziehung zwischen der NATO und Rußland geben«, erklärte Generalsekretär Rasmussen in Brüssel. Laut Deutsche Welle hatte er anläßlich seines Besuchs in Berlin bei Bundeskanzlerin Angela Merkel vergangene Woche sogar enthusiastisch von einer »strategischen Partnerschaft« mit Moskau gesprochen.

Steht Rußland nach der Präsidentschaft Boris Jelzin nun ein zweiter strategischer Ausverkauf ins Haus? Nimmt man westliche Medienberichte sieht es fast so aus. Dagegen spricht, daß der Kreml der NATO nur da entgegenkommt, wo Rußlands eigene Sicherheitsinteressen betroffen sind. Zugleich verfolgt er gegenüber dem Westen sein Projekt eines paneuropäischen Sicherheitspakts hartnäckig weiter. Die NATO, die sich als über dem Völkerrecht stehende »internationale Gemeinschaft« versteht, will den Pakt jedoch nicht einmal mit der spitzen Zange anpacken, weil er das Aggressionsbündnis wieder in die Achtung des internationalen Rechts einbinden würde. »Die Position, welche die NATO in ihrem neuen strategischen Konzept in bezug auf das Völkerrecht, auf die UN-Charta und insbesondere bezüglich der Anwendung von Gewalt in den modernen internationalen Beziehungen einnimmt, wird der Schlüssel für unsere Beziehungen zur NATO sein«, unterstrich denn auch der russische Außenminister Sergej Lawrow am Dienstag in Moskau die russische Position.

* Aus: junge Welt, 28. Oktober 2010

Abkommen: Keine Einigung über Kontingentstärke

Rußland fordert von der NATO die verbindliche Zusage, keine »umfangreichen« Truppenkontingente in neuen osteuropäischen Mitgliedsstaaten der Allianz aus Osteuropa zu stationieren. Eine solche Aufforderung habe Rußlands Außenminister Sergej Lawrow schon im Dezember an NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen gerichtet, berichtete die russische Zeitung Kommersant am Mittwoch. Gemeint seien Länder wie Kroatien und Slowenien. Lawrows Stellvertreter Sergej Rjabkow sagte der Zeitung, auch wenn kein Konflikt drohe, wolle Rußland eine »gewisse militärische Garantie« schriftlich festlegen. Schließlich habe sich für Moskau die »militärische Lage im Westen« durch die sich modernisierenden NATO-Kräfte verändert.

Zu der geforderten verbindlichen Vereinbarung kam es den Angaben zufolge bislang nicht, weil sich beide Seiten nicht auf eine Größe der NATO-Truppen in den osteuropäischen Mitgliedsländern einigen konnten, wie das Blatt unter Berufung auf Informationen aus dem NATO-Hauptquartier in Brüssel berichtete. Rußlands NATO-Botschafter Dmitri Rogosin nannte als Beispiel die vorübergehende oder ständige Stationierung einer Manöverbrigade, eines Hubschrauberbataillons oder eines Luftwaffenregiments.Rußland wolle aus »politischen Verpflichtungen« rechtliche Vereinbarungen werden lassen.

Der frühere sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow sagte unterdessen dem britischen Rundfunksender BBC, ein Sieg der USA und ihrer Verbündeter in Afghanistan sei »unmöglich«. USA und NATO haben mehr als 150000 Soldaten in Afghanistan im Einsatz. Die Entscheidung von US-Präsident Obama, ab Juli 2011 mit dem Rückzug der US-Truppen zu beginnen, sei richtig. Dies sei zwar ein schwieriger Schritt, ansonsten drohe den USA aber ein zweites Vietnam.

(AFP/jW)




Zurück zur NATO-Seite

Zur Afghanistan-Seite

Zur Russland-Seite

Zurück zur Homepage