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Der Prozess gegen Milosevic

Die Punkte der Anklage - Argumente der Verteidigung

Am 12. Februar 2002 begann vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag der Prozess gegen den ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic. Der Prozess konnte nur stattfinden, weil Milosevic im Juni 2001 gegen das Votum des jugoslawischen Verfassungsgerichts von der Regierung Djindjic in einem Überraschungs-Coup nach Den Haag ausgeliefert wurde. Das sollte sich für Belgrad in klingender Münze auszahlen. Dem Tribunal selbst wurde in der Vergangenheit des öfteren Einäugigkeit und Parteilichkeit vorgeworfen. Vor allem hat es sich bis zum heutigen Tag geweigert, Ermittlungen gegen die NATO aufzunehmen, der verschiedentlich vorgeworfen wurde (u.a. von amnesty international), mit ihrem Krieg gegen Jugoslawien nicht nur gegen das geltende Völkerrecht, sondern auch gegen Regeln des humanitären Kriegsrechts (Genfer Konventionen) verstoßen zu haben. Von den Regierungen der NATO-Länder hingegen wurde die Einleitung des Verfahrens gegen Milosevic als Sieg der Gerechtigkeit ausgiebig gefeiert.

Wir werden, soweit wir das können, den Prozess aufmerksam verfolgen, da er von grundlegender Bedeutung für die Fortentwicklung bzw. Aushöhlung überstaatlichen Rechts sein dürfte. Kritik an dem Verfahren, die von Völkerrechtlern sowie aus den Reihen der Friedensforschung und der Friedensbewegung geäußert wird, muss nicht gleichbedeutend sein mit einer inhaltlichen Solidarisierung mit dem Angeklagten.


Die 66 Anklagepunkte im Prozess gegen Milosevic (Kurzfassung)

A) Fünf Anklagepunkte wegen Verbrechen in Kosovo (1998-99):
  • in einem Fall wegen Kriegsverbrechen (Mord)
  • in vier Fällen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit;
  • (Deportation, ethnische Säuberung, Mord, Verfolgung aus politischen, rassistischen und religiösen Gründen, Missbrauch, Überführung von Leichen aus dem Kosovo in Massengräber nach Serbien).
    Annähernd 800.000 Kosovo-Albaner wurden aus ihren Häusern vertrieben. An zahlreichen Orten im Kosovo wurden Massaker verübt. Neben Milosevic sind vier weitere ehemals enge Vertraute von ihm in Den Haag angeklagt: der frühere serbische Präsident Milan Milutinovic, der ehemalige jugoslawische Oberbefehlshaber Generaloberst Dragoljub Ojdanic, der frühere serbische Innenminister Vlajko Stojiljkovic und Milosevics Berater Nikola Sainovic.
B) 32 Anklagepunkte wegen Verbrechen in Kroatien (1991-92):
  • in neun Fällen wegen schwerer Verstöße gegen die Genfer Konventionen von 1949 (absichtliche Tötung, unrechtmäßige Gefangennahme, Deportation, Folter, Zerstörung, Verwüstung und Aneignung fremden Eigentums);
  • in 13 Fällen wegen Kriegsverbrechen (Mord, Folter, Misshandlung, Zerstörung von Häusern, Plünderung privaten und öffentlichen Grundbesitzes, Angriffe auf die Zivilbevölkerung, Zerstörung und Beschädigung historischer Bauwerke und Institutionen);
  • in zehn Fällen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Verfolgung aus politischen, rassistischen und religiösen Gründen, Mord, Verschleppung, Verhaftung, Inhaftierung in Lagern, sexuelle Misshandlung).
    In Kroatien wurden Hunderte Zivilisten ermordet, darunter auch alte Frauen und Kinder. 170.000 Kroaten und nicht-serbische Bewohner wurden gezwungen, ihre Heimat zu verlassen.
C) 29 Anklagepunkte wegen Verbrechen in Bosnien-Herzegowina (1992-95):
  • in zwei Fällen wegen Völkermordes und Beihilfe zum Genozid (Massaker in der UNO-Schutzzone Srebrenica)
  • in zehn Fällen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Verfolgung, gewaltsame Verschleppung, Inhaftierung und sexuelle Misshandlung, Folter, Abschiebung);
  • in acht Fällen wegen schwerer Verstöße gegen die Genfer Konventionen von 1949 (absichtliche Tötung, Folter, Verwüstung, Aneignung fremden Eigentums);
  • in neun Fällen wegen Kriegsverbrechen (Angriffe auf Zivilisten, Zerstörung fremden Eigentums, Plünderung, Misshandlung).
    Beim Massaker in der UNO-Schutzzone von Srebrenica ermordeten serbische Soldaten im Juli 1995 mehr als 7.000 Moslems.(APA/AP)


Auszüge der Milosevic-Verteidigung (wörtlich am 14. Februar vor dem Tribunal)

"Die NATO hat sich bemüht, alles (in Serbien) dem Erdboden gleich zu machen. Typisch ist die gnadenlose Bombardierung ziviler Ziele, damit es so viel Leid und so viele Tote wie nur möglich unter der Zivilbevölkerung gäbe. Die Aggressoren zielten mit ihrem Terror offensichtlich auf Zivilisten und das gesamte Volk." ...

"Die Bevölkerung im Kosovo wurde durch Befehle und Prügel der UCK und durch die NATO-Bombenbangriffe vertrieben. Die Wahrheit über das Kosovo ist, dass die Bevölkerung aus den Dörfern floh, wo es Zusammenstöße mit den Terroristen oder NATO-Bombardierungen gab. Und dann reden die Ankläger hier von Mord und Vertreibung. Die NATO hat kleine Dörfer bombardiert. So etwas hätten sich nur die Nazis ausdenken können." ...

"Die ganze Konstruktion der Anklage ist eine einzige Lüge, und die Flucht, die als Vertreibung bezeichnet wird, ist eine reine Manipulation. Die Anklage gebraucht diese schreckliche und unglaubliche Lüge als Mittel des Verbrechens. So etwas beleidigt die Intelligenz jedes durchschnittlichen Bürgers auf diesem Planeten." ...

"Dieses Gericht ist illegal. Ich würde niemanden an das Tribunal ausliefern, weil das ein Verfassungsbruch wäre. Das jetzige Pro-NATO-Regime in Belgrad, das dies getan hat, ist ein Marionettenregime und hat keine Unterstützung im Volk." ...

"Dieser Film (gemeint ist die ARD-Dokumentation "Es begann mit einer Lüge", Anm.) ist nur ein Atom der Wahrheit, weniger als ein Atom, im Ozean der Lügen und des Missbrauchs der globalen Medien als Mittel des Krieges gegen mein Land." ...

"Die Ankläger sprechen von Mord, wenn es um die Zusammenstöße mit den terroristischen UCK-Banden im Kosovo geht und von Vertreibung, wenn es sich um die Flucht der Bevölkerung aus den umkämpften Gebieten handelt. Die Bekämpfung des albanischen Terrorismus im Kosovo, also zu Hause, wird als Verbrechen betrachtet." ...

"Für Armee und Polizei galten strikte Verbote, nicht auf Terroristen zu schießen, denen die Flucht gelang, wenn Gefahr bestand, dass dabei Zivilisten verletzt werden könnten." ...

"Wie kann man wagen zu sagen, dass das Kosovo an Serbien angrenzt, wenn das Kosovo Teil Serbiens ist. Wie kommt man dazu, mir ethnische Säuberungen vorzuwerfen, wenn das in Serbien doch immer ein Synonym für Verbrechen war." ...

"Unter allen ehemaligen (jugoslawischen) Republiken hat es nur in Serbien keine ethnische Diskriminierung gegeben, und nur in Serbien wurde die gleiche ethnische Struktur wie vor den Konflikten beibehalten. Es sieht danach aus, als ob meine angebliche Politik des Völkermordes praktisch nur außerhalb Serbiens ausgeführt worden sei." ...

"Entgegen den Behauptungen des Anklägers, dass hier nur gegen eine Einzelperson wegen Verbrechen verhandelt wird, geht es doch um das gesamte serbische Volk. Angeklagt sind alle, samt der Intelligenzia, angeführt von der Akademie der Wissenschaften und Künste. Es wird behauptet, das Memorandum der Akademie (zu ethnischen Fragen) sei die geistige Grundlage für Verbrechen an Albanern gewesen." ...

"Hier sind alle Verfassungsorgane Serbiens, die mich unterstützt haben, angeklagt - Parlament, Regierung, politische Organisationen, Medien, Armee, Polizei, Freiwillige und die Kräfte der Territorialverteidigung, und ebenso die Bürger, die mich mehrfach wiedergewählt haben. Was ich getan habe und was ich heute tue, ist Ausdruck des Willens der Bürger und des Volkes." ...

Nach einer Übersetzung von dpa


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