Die Privatisierung des Kosovo durch die NATO / NATO's Kosovo privatizations
Im Folgenden dokumentieren wir einen Beitrag von Neil Clark, der am 21. September 2004 auf der unabhängigen Internetseite ZNet (www.zmag.org) erschien und von Andrea Noll ins Deutsche übersetzt wurde. Zuerst die deutsche Übersetzung, anschließend die englische Originalfassung.
Die Nato-Privatisierung des Kosovo
noch ein Krieg und seine Beute
von Neil Clark
“Kriege, Konflikte - alles nur Geschäft”, seufzt Monsieur Verdoux in Charlie Chaplins gleichnamigem Film von 1947. Sicher wissen viele - auch ohne große Überzeugungsarbeit - um den Konnex zwischen US-Konzernen, die sich heute fleißig am irakischen Staatsvermögen bedienen und jener Militärmaschinerie, die den Irak fürs globale Business öffnete. Was viele allerdings nicht wissen: In einem anderen Teil der Welt bahnt sich ein ähnlicher Prozeß an - in einem Land, auf das amerikanische B-52-Bomber in einer anderen “Befreiungs-”Mission vor nicht langer Zeit Bomben abwarfen. Auslöser des von den USA geleiteten Jugoslawien-Bombardements 1999 war - so die historische Standard-Version des Westens - die Weigerung der serbischen Delegation, das Friedensabkommen von Rambouillet zu unterzeichnen. Eine Version, die ungefähr so stichhaltig ist wie die Mär, der Irak habe sich geweigert, mit den Waffeninspekteuren zusammenzuarbeiten und sei daher schuld an der Invasion 2003. Der Vertrag von Rambouillet hatte einen geheimen Zusatz: Annex B. Dieser sah die militärische Besetzung ganz Jugoslawiens vor. Später gab Lord Gilbert vom britischen Foreign Office (?) vor dem ‘Defence Select Committee’ zu, daß der Zusatz bewußt eingefügt wurde, um eine Ablehnung Belgrads zu provozieren. Mindestens so aussagekräftig - hinsichtlich der langfristigen Motive des Westens - ist Kapitel 4, dessen einziges Sujet die Ökonomie des Kosovo ist. Artikel I fordert die “freie Marktwirtschaft”; Artikel II die Privatisierung sämtlichen Staatsbesitzes. In dieser Zeit war Rest-Jugoslawien das letzte Land Mittel-/Südeuropas, dessen Wirtschaft noch nicht von westlichem Kapital kolonialisiert war. Rest-Jugoslawien war damals noch nicht in der Weltbank, noch nicht in der Welthandelsorganisation, noch nicht im IWF oder der ‘Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung’. “Unternehmen in Sozialbesitz” - hieß die von Tito eingeführte Form der Arbeiterselbstverwaltung, die (in Rest-Jugoslawien) noch vorherrschend war. Jugoslawien besaß öffentliche Minen, eine öffentliche Erdöl-, Auto- und Tabakindustrie. 75% der Industrie gehörten dem Staat oder waren sozialisierter Besitz. Ein Privatisierungsgesetz von 1997 legte fest, daß bei Verkäufen mindestens 60% der Anteile bei den Arbeitern des jeweiligen Betriebs bleiben mußten.
Das ärgerte die Hohenpriester des Neoliberalismus. Anfang 1999, auf dem Gipfel von Davos, kritisierte Tony Blair Belgrad - nicht etwa für dessen Umgang mit dem Kosovo, vielmehr, weil Belgrad kein “Wirtschaftsreform”- Programm in Angriff nahm. Im Neusprech der New World Order hieß das: staatlichen Besitz veräußern und die Wirtschaft auf die Interessen der multinationalen Konzerne ausrichten. Während des Nato-Bombardements 1999 hatten es die reichsten Nationen der Welt speziell auf Staatsunternehmen abgesehen - weniger auf Militäranlagen. Die Nato ‘traf’ 372 Industrieanlagen - zum Beispiel das Autowerk Zastava in Kragujevac, wodurch Hunderttausende arbeitslos wurden -, zerstörte aber lediglich 14 (feindliche) Panzer. Keine einzige private bzw. ausländische Firma wurde bombardiert. Nach der Beseitigung Slobodan Milosevics bekam der Westen endlich seine Belgrader “Schnellschuß”-Reformregierung, auf die er so lange warten mußte. Eine der ersten Handlungen dieser Regierung: Sie hob das Privatisierungsgesetz von 1997 auf und erlaubte es, bis zu 70 Prozent eines Unternehmens an ausländische Investoren zu veräußern. Für die Arbeiter blieben 15% reserviert. Anschließend unterschrieb die Belgrader Regierung die Programme der Weltbank. Damit endete die finanzielle Unabhängigkeit Rest-Jugoslawiens defacto.
Gleichzeitig wartete auf die Eroberer “der glitzernde Preis des Krieges” - so die New York Times einst frohlockend. Im Kosovo befinden sich die zweitgrößten Kohlereserven Europas sowie enorme Vorkommen an Zink, Gold, Silber, Blei, Erdöl und Braunkohle. Das Juwel jedoch sind die Minen von Trepca - eine enorme Anlage, deren Wert 1997 auf $5Milliarden taxiert wurde. Gleich nach dem Kosovo- Krieg wurde die Anlage den Arbeitern und dem Management entzogen - in einer beispiellosen, überfallsartigen Enteignungssaktion, an der mehr als 2900 Nato- Soldaten teilnahmen und die unter Einsatz von Gummigeschossen und Tränengas ablief.
Fünf Jahre nach den Nato-Angriffen verkündete KTA - die Kosovo-Treuhandagentur, die unter Jurisdiktion der ‘UN Mission in Kosovo’ (Unmik) arbeitet: “Wir freuen uns” ein Programm zur Privatisierung der ersten rund 500 Unternehmen in Sozialbesitz (SOEs) unter KTA-Kontrolle “ankündigen zu können”. Letzte Woche war der letzte Gebotstermin für die Versteigerung: 10 Unternehmen kamen unter den Hammer, darunter Druckereien, eine Einkaufspassage, ein Agrounternehmen und eine Softdrink-Fabrik. Der Ferronikeli-Komplex - Minen und Metallgewinnungsanlagen - dessen jährliche Nickelproduktion bei 12 000 Tonnen liegt, wird separat veräußert. Noch bis 17. November können in diesem Fall Gebote abgegeben werden. Um die SOEs (Socially Owned Enterprises) noch attraktiver für ausländische Investoren zu machen, veränderte die Unmik kosovarisches Grundrecht: Die KTA ist jetzt berechtigt, mit Unternehmen Pachtverträge mit 99jähriger Laufzeit auszuhandeln. Der Pachtbesitz ist übertragbar, kann beliehen oder als Sicherheit verwendet werden. Selbst die pro-westliche Regierung in Belgrad spricht hier von “Raub an staatlichem Land”. Auf westliche Unternehmen, die eine Schnäppchentour planen, warten also tolle Häppchen - in einer “sehr investorenfreundlichen Umgebung”, wird uns von KTA versichert. Weniger die Rede ist allerdings von den Rechten derer, die das moralische Anrecht auf die Betriebe haben: die Arbeiter und (Betriebs-)Leiter bzw. die Bürger Ex-Jugoslawiens, deren Besitz defacto beschlagnahmt wurde - im Namen der “internationalen Gemeinschaft”, im Namen der “Wirtschaftsreformen”. Die Übernahme der Ruinen von Bagdad und Pristina durch die Konzerne schreitet synchron voran. Weder die “Befreiung” des Irak noch die “humanitären” Bomben auf Jugoslawien strafen die Worte des zynischen Antihelden Verdoux aus Chaplins Film demnach Lügen.
* Neil Clark ist Autor und ‘Broadcaster’ - Spezialgebiet Balkan.
Übersetzt von: Andrea Noll
ZNet 21.09.2004
http://www.zmag.de/artikel.php?print=true&id=1233
NATO's Kosovo privatizations
by Neil Clark
'Wars, conflict - it's all business," sighs Monsieur Verdoux in Charlie Chaplin's 1947 film of the same name. Many will not need to be convinced of the link between US corporations now busily helping themselves to Iraqi state assets and the military machine that prised Iraq open for global business. But what is less widely known is that a similar process is already well under way in a part of the world where B52s were not so long ago dropping bombs in another "liberation" mission.
The trigger for the US-led bombing of Yugoslavia in 1999 was, according to the standard western version of history, the failure of the Serbian delegation to sign up to the Rambouillet peace agreement. But that holds little more water than the tale that has Iraq responsible for last year's invasion by not cooperating with weapons inspectors.
The secret annexe B of the Rambouillet accord - which provided for the military occupation of the whole of Yugoslavia - was, as the Foreign Office minister Lord Gilbert later conceded to the defence select committee, deliberately inserted to provoke rejection by Belgrade.
But equally revealing about the west's wider motives is chapter four, which dealt exclusively with the Kosovan economy. Article I (1) called for a "free-market economy", and article II (1) for privatisation of all government-owned assets. At the time, the rump Yugoslavia - then not a member of the IMF, the World Bank, the WTO or European Bank for Reconstruction and Development - was the last economy in central-southern Europe to be uncolonised by western capital. "Socially owned enterprises", the form of worker self-management pioneered under Tito, still predominated.
Yugoslavia had publicly owned petroleum, mining, car and tobacco industries, and 75% of industry was state or socially owned. In 1997, a privatisation law had stipulated that in sell-offs, at least 60% of shares had to be allocated to a company's workers.
The high priests of neo-liberalism were not happy. At the Davos summit early in 1999, Tony Blair berated Belgrade, not for its handling of Kosovo, but for its failure to embark on a programme of "economic reform" - new-world-order speak for selling state assets and running the economy in the interests of multinationals.
In the 1999 Nato bombing campaign, it was state-owned companies - rather than military sites - that were specifically targeted by the world's richest nations. Nato only destroyed 14 tanks, but 372 industrial facilities were hit - including the Zastava car plant at Kragujevac, leaving hundreds of thousands jobless. Not one foreign or privately owned factory was bombed.
After the removal of Slobodan Milosevic, the west got the "fast-track" reforming government in Belgrade it had long desired. One of the first steps of the new administration was to repeal the 1997 privatisation law and allow 70% of a company to be sold to foreign investors - with just 15% reserved for workers. The government then signed up to the World Bank's programmes - effectively ending the country's financial independence.
Meanwhile, as the New York Times had crowed, "a war's glittering prize" awaited the conquerors. Kosovo has the second largest coal reserves in Europe, and enormous deposits of lignite, lead, zinc, gold, silver and petroleum.
The jewel is the enormous Trepca mine complex, whose 1997 value was estimated at $5bn. In an extraordinary smash and grab raid soon after the war, the complex was seized from its workers and managers by more than 2,900 Nato troops, who used teargas and rubber bullets.
Five years on from the Nato attack, the Kosovo Trust Agency (KTA), the body that operates under the jurisdiction of the UN Mission in Kosovo (Unmik) - is "pleased to announce" the programme to privatise the first 500 or so socially owned enterprises (SOEs) under its control. The closing date for bids passed last week: 10 businesses went under the hammer, including printing houses, a shopping mall, an agrobusiness and a soft-drinks factory. The Ferronikeli mining and metal-processing complex, with an annual capacity of 12,000 tonnes of nickel production, is being sold separately, with bids due by November 17.
To make the SOEs more attractive to foreign investors, Unmik has altered the way land is owned in Kosovo, allowing the KTA to sell 99-year leases with the businesses, which can be transferred or used as loans or security. Even Belgrade's pro-western gov ernment has called this a "robbery of state-owned land". For western companies waiting to swoop, there will be rich pickings indeed in what the KTA assures us is a "very investor-friendly" environment. But there is little talk of the rights of the moral owners of the enterprises - the workers, managers and citizens of the former Yugoslavia, whose property was effectively seized in the name of the "international community" and "economic reform".
As the corporate takeover of the ruins of Baghdad and Pristina proceeds apace, neither the "liberation" of Iraq nor the "humanitarian" bombing of Yugoslavia has proved Chaplin's cynical anti-hero to be wrong.
September 21, 2004
* Neil Clark is a writer and broadcaster specialising in Balkan affairs
Source: http://www.zmag.org/content/showarticle.cfm?SectionID=100&ItemID=6275%20
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