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"Weil ich es selbst gemacht habe"

15 Jahre nach dem Überfall der NATO auf Jugoslawien gesteht der deutsche Kriegskanzler Gerhard Schröder Völkerrechtsbruch ein. Und jetzt? Die Verantwortlichen nach Den Haag!

Von Gerd Schumann *

Da standen wir nun im Juli 1999, kurz nach dem Krieg, im Zentrum Belgrads, der Weißen Stadt, ein zerstörtes Regierungsgebäude vor uns, Trümmerfeld. Um die Ecke, nahe des Hotels »Slavija«, fragte der Cevapcici-Verkäufer, nachdem er gemerkt hatte, woher wir kommen: »Warum habt ihr das Bomben zugelassen?« Es klang nicht wütend oder zornig, und ging doch tief unter die Haut. Wir schauten uns an, betreten, schweigend. Die Frage, gestellt an die Eltern und Großeltern, kannten wir von früher.

Tabubruch des Kanzlers

Am 9. März 2014 äußerte Gerhard Schröder, siebenter Kanzler der Bundesrepublik Deutschland (1998–2005), auf einer Veranstaltung der Wochenzeitung Die Zeit: »Natürlich ist das, was auf der Krim geschieht, etwas, was auch Verstoß gegen das Völkerrecht ist. Aber wissen Sie, warum ich ein bißchen vorsichtiger bin mit ’nem erhobenem Zeigefinger? Ich muß nämlich sagen: Weil ich es selbst gemacht habe.«

Schröder war gefragt worden, warum er nicht als Vermittler in Sachen Ukraine auftreten wolle, und er – wohl schlecht vorbereitet oder taktierend oder auch einfach zu selbstsicher und geschichtsvergessen – gestand in seiner schnoddrigen Art den Völkerrechtsbruch ganz nebenbei, im Grunde genommen abgehakt: »Als es um die Frage ging, wie entwickelt sich das in der Bundesrepublik Jugoslawien, Kosovo-Krieg, da haben wir unsere Flugzeuge, unsere Tornados nach Serbien geschickt, und die haben zusammen mit der NATO einen souveränen Staat gebombt – ohne daß es einen Sicherheitsratsbeschluß gegeben hätte.« Völlig unerwartet, aber doch Klartext geredet – und nun?

Das letzte Kapitel im Buch mit dem Titel »Jugoslawien« wurde ab dem 24. März 1999 geschrieben. Am Abend dieses Tages, exakt um 20 Uhr MEZ, drangen Kampfflugzeuge der NATO in den Luftraum der Bundesrepublik Jugoslawien ein, unter ihnen auch vier »Tornados ECR« der Bundeswehr, Radaraufklärer. Den Deutschen fiel die militärlogistisch bedeutende Aufgabe zu, das Flugabwehrsystem der jugoslawischen Armee auszuschalten und so den Weg für die nachfolgenden Bomber freizumachen. Das geschah.

Am selben Tag zur Tagesschau-Zeit ließ Schröder, Kanzler einer SPD-Grünen-Bundesregierung, vom Bundespresseamt eine kurze Erklärung verbreiten. Daß er gerade einen an sich unfaßbaren Tabubruch begangen hatte, kam darin nicht vor. Statt dessen bedauerte der Kanzler lieber seine Regierung. Diese habe »sich ihre Entscheidung nicht leicht gemacht, schließlich stehen zum erstenmal nach Ende des Zweiten Weltkrieges deutsche Soldaten im Kampfeinsatz«.

Dort, wo die Naziwehrmacht einst gewütet hatte, wo 1,7 Millionen Jugoslawen während der Okkupationsjahre von 1941 bis 1944 getötet wurden, wo Konzentrationslager errichtet und Hunderttausende deportiert wurden, mordeten nun wieder deutsche Krieger mit deutschen Waffen. Nein, zur Geschichte kein Wort. Statt dessen das Thema »Menschenrechte« und »Demokratie« beschworen, das ab sofort für Angriffskriege herhalten mußte: »Heute abend hat die NATO mit Luftschlägen gegen militärische Ziele in Jugoslawien begonnen. Damit will das Bündnis weitere schwere und systematische Verletzungen der Menschenrechte unterbinden und eine humanitäre Katastrophe im Kosovo verhindern.«

»Das Morden im Kosovo zu beenden«, flog die NATO-Luft-Armada 78 Tage und vor allem Nächte hindurch etwa 35000 Einsätze – allein die USA hatten zeitweise tausend Bomberjets im Einsatz –, feuerte 20000 Tonnen Bomben, Raketen oder Marschflugkörper ab. Schröder: »Die internationale Staatengemeinschaft kann der (…) menschlichen Tragödie in diesem Teil Europas nicht tatenlos zusehen. Wir führen keinen Krieg, aber wir sind aufgerufen, eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen.«

Im Namen des Vaters, des Sohnes und der »internationalen Staatengemeinschaft« – in diesem Fall bestand sie aus den zehn beteiligten NATO-Staaten. Kein UN-Beschluß, nichts. Und natürlich führten die Interventen keinen Krieg, sondern setzten lediglich mit militärischer Gewalt eine »friedliche Lösung« durch. Wie danach in Afghanistan, Irak, Libyen, Côte d’Ivoire.

Gegen Saddam Hussein, gehenkt nach vorheriger Fotosession in Unterhosen, Muammar Al-Ghaddafi und Sohn, gepfählt, gelyncht, skalpiert, verscharrt die Leichname; Saadi Al-Ghaddafi, ein anderer Sohn, bei seiner Festnahme vor kurzem öffentlich Haare und Bart geschoren, ein Spektakel. Die Ivorer Laurent und Simone Gbagbo, geprügelt und nach Den Haag verschleppt von den Siegern um Alassane Ouattara, eine vormalige Spitzenkraft des Internationalen Währungsfonds, heute Gbagbo-Nachfolger als Präsident. Mord und Totschlag in den Ländern, in denen »die humanitäre Katastrophe verhindert« werden sollte, Fehden um Öl und Geld. Libyen im freien Zerfall, der Irak zerrissen von religiöser und ethnischer Zwietracht. »Mad Max«-Untergangsstimmung inklusive Propagierung des Faustrechts in größeren Teilen des arabischen und subsaharaischen Afrika.

Schröder lieferte am 24. März 1999 die Blaupause für alle Kriege seitdem. Die NATO-Attacke »richtet sich nicht gegen das serbische Volk. Dies möchte ich gerade auch unseren jugoslawischen Mitbürgern sagen. Wir werden alles tun, um Verluste unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden.« Brücken wie am Markttag in Varvarin angegriffen, gerade errichtete Wohnhäuser gezielt vernichtet oder aus Versehen, wie den Eisenbahnzug – war wohl Munition an Bord, Geheimtransport im Abteil. Alles »Kollateralschäden«.

Als solche gelten die vorgeblich unbeabsichtigten Treffer aus der Luft. Die von Krankenhäusern, Altersheimen, Geburtskliniken, Schulen, Wohnhäusern – alles bevorzugte Objekte des Zufalls. Von militärischen Zielen weit entfernte Kleinstädte oder Dörfer wurden oft gleich mehrmals von den Bombengeschwadern heimgesucht und Flüchtlingstracks, als Feindobjekte identifiziert, ausgeschaltet. »Wo es für angebracht gehalten wurde«, schrieb Werner Pirker zum fünften Jahrestag des Krieges (jW vom 24.3.2004), »bewiesen die NATO-Bomber durchaus ihre Fähigkeit zu ›chirurgischen Eingriffen‹. Öffentliche Gebäude in Belgrad wurden auf den Meter genau getroffen, weshalb die unzähligen Zerstörungen ziviler Objekte nicht unbeabsichtigt gewesen sein können. Die Zivilbevölkerung wurde bewußt terrorisiert, um ihren Widerstandsgeist zu brechen. Doch blieb die Moral der Bevölkerung bis zuletzt intakt.«

Woodstock in Belgrad

Sonderbar-Wunderbares geschah, nachdem die US-Amerikaner, die Deutschen und Italiener seligen Gedenkens an Lili-Marleen-Zeiten zuschlugen. Indem sich die Belgrader und Novi Sader und Niser und Kraljevoer »Target«-Buttons anhefteten, trotzten sie als selbsterklärte menschliche Ziele den Monstern der Luft. Die auf Betonsäulen an der deutschen Botschaft zu Belgrad gemalten Hakenkreuze in schwarz glänzendem Lack verströmten den penetranten Brandgeruch deutscher Geschichte. Am Tor stand »Marko und Slavko are not dead« und auf serbokroatisch »Wir pusten und pusten und pusten die Tornados weg«. Durchhalteoptimismus in Kindersprache, nachempfunden den Comicfiguren von heute, Marko und Slavko, zwei von den Nazis während der Besatzung hingerichtete Partisanenkuriere, zwölf Jahre jung.

Intakte, von Vernunft gestützte Moral: Sie versammelten sich auf den Brücken der Donau, ­Save, Morava, organisierten Konzerte auf zentralen Plätzen wie dem »Terazije« im Herzen Belgrads. Peter Handke war dabei, als auf dem Platz der Republik eine ukrainische – ja! – Gruppe auftrat. In »Unter Tränen fragend« schreibt er: »Der Eindruck vom Tanzen kommt eher aus dem, in jener Stunde jedenfalls, stillen gemeinsamen Zuhören, Hin- und Herschauen, Wege- und Platz-Suchen, Insichgekehrtsein, ein ganz anderes Woodstock, ohne dessen ›make love not war‹ – von dem ein internationaler Paradejournalist eine Art Legitimierung des Bombenkrieges herleitet: denn die, die den Krieg jetzt führen, B.C., T.B., G.S., J.F. etc., seien doch allesamt keine ›kalten Krieger‹, sondern Kinder der ›Flower Power‹, und deswegen ›glaubhaft‹.«

Vom Hippie zum Terminator

Die deutsche Hippie-Troika funktionierte über weite Strecken prima. Ihre Sozialisation machte die Protagonisten des Krieges »glaubhaft«. Drei Männer aus einer Generation, die von »1968« was erlebt hatten und die antiautoritäre Flower-Power-Mode, Haare, Bärte, Turnschuhe, Gorleben, Straßenkampf, am Bonner Kanzleramtstor des Nachts betrunken rütteln und rufen: Laßt mich hier rein – oder so ähnlich. Wilde Revoluzzer aus bundesdeutschen Landen, ihrem Freund aus Übersee gleichend, William Clinton, Bruder im Geiste, »Bill« genannt.

Der spielte Saxophon, mochte Fleetwood Mac (Don’t stop thinkin about tomorrow), hatte früher mal einen Joint geraucht. Auch Anthony »Tony« Blair soll ein ganz fescher Wilder gewesen sein, Sänger und Gitarrist der Rockband »Ugly Rumours« (Häßliche Gerüchte). Mit der Deformierung der Sozialdemokratie zum antisozialen New-Labour-Projekt setzte er Zeichen für Schröder und Hartz IV. Ein Versammlung der Karrieristen: B.C. (USA), T.B. (GB), G.S., J.F. und R.S. (BRD) als Anführer der in der »Operation Allied Force« (etwa: Unternehmen Bündnisstreitmacht).

Schröder – vom Hippie zum Terminator. Lange hatte sich der inzwischen als »Kanzler der Bosse« Enttarnte angesichts der doch heiklen, schwer vermittelbaren Angelegenheit – immerhin ging es um Krieg –, vornehm zurückgehalten und seine Kumpane vorgeschickt. Der eine – ein Verteidigungsminister (1998–2002), der in kürzester Zeit zum Kriegs- und zugleich Propagandaminister mutieren würde –, zuständig fürs Grobe. Der andere – ein Außenminister (1998–2005), der seine einstige NATO-Gegnerschaft schon länger vehement bestritt, sich beim Marathon lifestylegemäß dünn lief und nun einen Herrenring trug – zuständig für die gebildeten Mittelschichten.

Pirker beschrieb Joseph »Joschka« Fischer trefflich: »Ein deutscher Außenminister, dessen politische Karriere im Zeichen der nihilistischen Verneinung des bürgerlichen Rechtsstaates – ›legal, illegal, scheißegal‹ – begann, war wie kein anderer dazu berufen, linke Befindlichkeiten dem imperialistischen Völkerrechtsnihilismus nutzbar zu machen. Die Parteinahme für die ›vom Genozid bedrohten Kosovaren‹ erschien als logische Fortsetzung eines ›linken Internationalismus‹, wie er sich in der Solidaritätsbewegung mit dem vietnamesischen Volk und anderen Trikont-Völkern manifestiert hatte. Mit dem kleinen Unterschied, daß diesmal die routinierte Ingangsetzung des Rades der Empörung nicht die Verurteilung einer imperialistischen Intervention zum Gegenstand hatte, sondern das Eintreten für eine solche. Die Welt dürfe dem Treiben faschistischer serbischer Banden nicht länger tatenlos zusehen, äußerte sich der ›Protest‹ in gewohnt alarmistischem Pathos« (jW vom 24.3.2004).

Dagegen war Rudolf Scharping für seine eher schlichte Art zu denken bekannt. Auf ihrem Parteitag hatten die Sozialdemokraten »Ziege«, wie er wegen seines ausrasierten Kinnbarts auch genannt wurde, abserviert. Er war lästig und belastend geworden, der Pfälzer, und manchen Genossen hatten dessen plumpe Stammeleien, vorgetragen mit Pathos, rollendem »r« und so, als hätte er sie auswendig gelernt, peinlich berührt. Zum Kanzler reichte das nicht ganz, zum Minister schon, und als solcher zitierte er gerne anonym. So, vermutete er, könne in der Bevölkerung nicht vorhandene Kriegsstimmung entfacht werden. Er zitierte aus vorgeblichen Augenzeugenberichten, wonach »man Frauen ihre Kinder aus den Armen reißt und ihre Köpfe abschneidet, um mit ihnen Fußball zu spielen«.

Sein Meisterwerk: Er enthüllte ein Dokument, das sich bald als Fälschung herausstellte: Den »Hufeisenplan« über die vermeintlich »vom Serben« geplante Vertreibung der Albaner aus dem Kosovo. Stichwortgeber für die Eskalation, wie später in Sachen Irak US-Außenminister Colin Powell (2001–2005) die gefakten Fotos von Saddams mobilen Chemiewaffenanlagen, präsentiert Anfang 2003 unter dem abgedeckten Guernica-Gemälde von Pablo Picasso bei der UNO in New York. Die gab es ebenso wenig wie Milosevic’ »Hufeisen«.

Aber einer mußte schließlich in übelster SPD-Tradition den Bluthund geben. Viel später ließ sich Scharping zum Planschen mit einer Gräfin in seinem Bundeswehrdienstflugzeug nach Mallorca fliegen und im Pool für die Bunte fotografieren. Das freut den harten deutschen Soldaten im Einsatz nicht. Turteltäubchen als Chef. Scharping wurde dann auch von seinem Vorgesetzten geschaßt, nachdem er in ein Bestechungsfettnäpfchen getreten war. Seine Pflicht hatte er längst getan.

Sie führten Krieg, der Tausenden Menschen das Leben kostete, in dem mindestens 10000 Verletzte zu beklagen waren, der ökologische Schäden mit heute noch unabsehbarer Tragweite verursachte, der ein ganzes Land ins Elend bombte. Und auch: dem weitere Angriffskriege folgten, also die Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Unabhängigkeit anderer Staaten. In der auf Serbien mit der Vojvodina und dem Kosovo sowie Montenegro geschrumpften Bundesrepublik Jugoslawien (1992–2003) demonstrierte das Imperium seine Entschlossenheit, den Anspruch auf Weltherrschaft auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen.

Putin gleich Schröder?

1999 hatte eine lange Vorgeschichte, die die Zerstörung des Vielvölkerstaats Jugoslawien zum Inhalt hat, eine Aufteilung des widerborstigen Großen in viele kleine Vasallen des Westens – das Verschwinden eines ehemals antikapitalistisch orientierten südslawischen Vielvölkerstaats von der Karte. Die Menschen in Cosmopolitskygrad, wie die Stadt ihrer vielen Ethnien wegen genannt wurde, flüchteten sich vor den Eisenbeton brechenden Superbomben in die Bunkeranlagen, soweit vorhanden.

»Ich habe es selbst gemacht«, sagt Schröder nun und unterstellt Wladimir Putin, dieser habe wie er das Völkerrecht gebrochen. Hat der russische Präsident Krieg geführt in der Ukraine oder auf der Krim? Hat er Bomber und Truppen aus Sewastopol ins Land geschickt? Der Eindruck von der Lage, den Politik und Mainstreammedien erwecken, lautet: Russische Soldaten sind einmarschiert. Der Eindruck, der im März 1999 und zuvor, aber auch danach medial und von der Politik suggeriert wurde, lautete: Slobodan Milosevic widersetzt sich einer friedlichen Lösung des Kosovo-Konflikts, wie in Rambouillet vom Westen diktiert.

Tatsächlich verweigerte der jugoslawische Staatspräsident die Besetzung seines Landes durch die NATO. Ihm blieb keine Wahl. Andernfalls hätte sich Jugoslawien »selbst zur Kolonie erklärt« (Jutta Ditfurth). Derweil hielten im Kosovo die Kämpfe mit der vom Westen installierten und ausgebildeten Mafia-Armee UCK an, die eine uneingeschränkte »Alles-oder-nichts«-Position bezogen hatte in der Gewißheit, den Westen hinter sich zu haben.

Bar jeglicher realistischen Bewertung betätigte sich Fischer als herausragender Scharfmacher und Verfechter der ahistorischen Totalitarismustheorie: »Es war ein wirklicher Schock, daß Milosevic bereit war zu handeln wie Stalin und Hitler: einen Krieg gegen die Existenz eines ganzen Volkes zu führen.« Und: »Die Bomben sind nötig, um die ›serbische SS‹ zu stoppen.«

Aus heutiger Sicht, wenn auch natürlich nicht durch die Brille der selbsternannten »Menschenrechtsverteidiger«, mutet das Negieren jeglicher Erkenntnisse aus der Geschichte seltsam naiv und hausbacken an. Trotzdem verfing die Fischersche Demagogie besorgniserregend gut. Feindbilder sind schnell gemalt: ob Serben oder Russen. Die grüne Kriegspartei paralysierte mit ihrem, den Holocaust verharmlosenden Kampfbegriff von der »Auschwitz-Rampe« in Srbrenica (1995) und Racak (Januar 1999) die Friedensbewegung weitgehend und hielt so die Heimatfront ruhig. Die Kritik am Auschwitz-Kosovo-Vergleich fand medial nicht statt. KZ-Überlebende mußten 38000 D-Mark für eine Anzeige in der Frankfurter Rundschau zahlen, um überhaupt zu Wort zu kommen (Jutta Ditfurth).

Milosevic landete auf dem Spiegel-Titel, Saddam Hussein, Muammar Al-Ghaddafi, Baschar Al-Assad folgten. Schließlich jüngst auch Putin, überlebensgroß, Merkel und Obama und Cameron, die hilflosen Helden des freien Westens, ganz klein. »Der Brandstifter. Wer stoppt Putin?«

Und wieder dieses Dämonische, diese Verbannung der Politik in den Bereich des Willkürlichen, des Unberechenbaren, der unzurechnungsfähigen, psychisch gestörten Führergestalten. Ronald Reagans Reich des Bösen forsch reloaded, die USA als wunderbarer, gottgegebener Leuchtturm der Freiheit wiederentdeckt, die durch milliardenfache NSA-Datenschnüffelei angeknackste transatlantische Schicksalsgemeinschaft wiederauferstanden. Die FAZ kommentiert, daß Rußland »den Fehdehandschuh hingeworfen« habe und »in einem nationalistischen Rausch die Großmachtglocken läutet« (20.3.2014). Geschichte passiert, weil es durchgedrehte Diktatoren oder fanatisierte Massen gibt.

Nicht das Irrationale treibt Putin und die russische Außenpolitik an, sondern die neuen Möglichkeiten zu einem ernst zu nehmendem, weil durchhaltbaren Veto, in Syrien überraschend erfolgreich eingesetzt, von wegen Obamas »rote Haltelinien«. Der gewachsene Einfluß auf das internationale Geschehen hängt mit einer zwar kapitalistisch orientierten, doch inzwischen stabilen Ökonomie zusammen; und auch mit dem Schwächeln und dem langsamen Niedergang der US-amerikanischen Supermacht; mit dem sich abzeichnenden Ende der Unipolarität.

Del Ponte, übernehmen Sie!

Wenn nun Schröder, strotzend vor einem Selbstbewußtsein, das Kriegsverbrechern nicht steht, seine Zurückhaltung in Sachen Ukraine mit dem völkerrechtswidrigen Krieg gegen die auf ­Serbien inklusive Vojvodina und Kosovo sowie Montenegro zusammengeschrumpfte Bundesrepublik Jugoslawien (1992–2003) begründet, drängt sich eine Frage besonders auf: Wann endlich landen er und seine Leute aus den internationalen Kriegsführungsetagen vor dem Kadi?

Es würde sich mit Sicherheit gut machen, wenn sie dem Ad-hoc-Tribunal für Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien (ICTY) in Den Haag zugeführt werden? Dem 1993, also vor dem NATO-Krieg, gegründeten Gerichtshof haftet zu Recht der Ruf an, die an der Zerschlagung Jugoslawiens Beteiligten aus den Ermittlungen auszuschließen. Selbst der Chefermittlerin Carla del Ponte war einst klargeworden, daß ihren Recherchen »politische Grenzen« gesetzt sind. Einige Vorfälle, wie die zweimaligen Bombardierung eines Personenzugs, waren ihr suspekt vorgekommen, doch die Mitgliedsstaaten der nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft blockten das Thema ab, immer wieder und immer entschiedener. Mehr als seltsam erschien ihr schließlich auch – die Memoiren, in denen sie davon berichtet, erschienen erst nach ihrer Amtszeit –, daß zwar jede Menge Serben (42), jedoch wenige Kroaten (15), noch weniger muslimische Bosnier (5) und nur ein Albaner verurteilt wurden. Die Nachforschungen zur Ausweidung serbischer Gefangenen zwecks Organhandel blieben unverfolgt.

Noch ist Zeit auch für die. Daß einige UCK-Führer in der kosovarischen Regierung sitzen, ist bekannt. G.S., R.S., J.F., und auch B.C. und T.B. genießen keine Immunität mehr – und selbst wenn: Die hat Slobodan Milosevic, dem Widerständigen, schon nicht geholfen. Warum nicht mal einige der ehemaligen Amtskollegen des in Den Haag umgekommenen jugoslawischen Präsidenten auf die Anklagebank? Die juristischen Zeichen stehen günstig: Der Gerichtshof wird wohl noch zwei Jahre weitermachen. Die Verfahren unter anderem gegen die bosnischen Serben Radovan Karadzic und Ratko Mladic und einige andere laufen noch.

Das miese Image der internationalen Gerichtsbarkeit wäre auf einen Schlag Geschichte. Der Vorwurf der »politischen Selektivität« (Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck), der vor allem aus südslawischen Gegenden, von den ehemaligen Nichtpaktgebundenen, aus dem ganzen Süden der Erdhalbkugel, wäre umgehend vom Tisch. Carla del Ponte, übernehmen Sie noch mal!

***

»Hvala!« (Danke) sagte ein Zimmermädchen im Hotel Moskau, wo er während des Krieges einige Tage wohnte, zu Peter Handke. Der fragt: »Warum? Für das Wort, das ich für Sie und Ihr Land, ihr Land und sie, eingelegt hätte.« Sie und nicht nur sie, wir, auch hier, hatten die eine oder andere Wahrheit, die Handke am 24. März 1999 geäußert, geschrieben hatte, verinnerlicht: »Mars greift an«, »Die ganze Welt ist Jugoslawien«.

* Aus: junge welt, Montag, 24. März 2014


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