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Die Herkunft ist sicher

Bundesregierung setzt brachial neue Abschiebemöglichkeiten von Flüchtlingen durch

Von Uwe Kalbe *

Aus »sicheren Herkunftsstaaten« kommende Flüchtlinge dürfen keinen Asylantrag stellen und werden umgehend zurückgeschickt. Drei Balkanstaaten werden jetzt gesetzlich mit diesem Etikett versehen.

Unionsparteien und SPD gestanden sich in ihrem Koalitionsvertrag gegenseitig die Umsetzung einiger Vorhaben zu. Die SPD durfte das Staatsangehörigkeitsrecht ein klein wenig lockern, mehr Menschen mit zwei Pässen werden geduldet. Die Union darf »unkontrollierte Zuwanderung« erschweren. Nachdem in den letzten Wochen die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts auf den Weg gebracht worden war, ging es am Freitag im Bundestag um Flüchtlinge aus Balkanstaaten, die noch keine EULänder sind. Kleines Zeichen an die Wähler: Die Herkunft (der Ideen) ist sicher. Leidtragende sind vor allem Flüchtlinge. Zeichen an sie: Ihre Herkunftsstaaten sind sicher.

Die Umetikettierung ihrer Heimatländer als »sichere Herkunftsstaaten« ändert grundlegend die Rechtslage. Durch die Neudefinition verlieren Flüchtlinge das Recht auf Asyl in Deutschland. Es geht konkret um Serbien, Mazedonien und Bosnien- Herzegowina, aber die Liste ist noch offen; aus der Union kam mittlerweile die Forderung, auch Albanien und Montenegro in diese Reihe aufzunehmen. Roma, die in diesen Ländern nicht nur nach eigenen, sondern auch nach Aussagen von Beobachtern existenzbedrohenden Diskriminierungen ausgesetzt sind, suchen in zunehmender Zahl ihr Heil in der Flucht. Es sei bekannt, dass Roma in diesen Staaten »am Rande der Gesellschaft leben, Opfer von rassistischen Übergriffen und Kampagnen sind«, wandte am Freitag in der Bundestagsdebatte auch Ulla Jelpke, Innenexpertin der LINKEN, gegen die Neudefinition der sicheren Staaten ein. Das Asylrecht, das seit »20 Jahren malträtiert« werde, sei nun auf dem Wege »weiter entleert und in sein Gegenteil verkehrt (zu) werden«, kritisierte Claudia Roth (Grüne).

Mit der Begründung, die Bundesrepublik sei das Land in der EU, das die meisten Flüchtlinge aufnehme, versuchte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) am Freitag im Bundestag Verständnis für die Pläne der Koalition zu wecken. Doch die Opposition zeigt wenig Verständnis. Auch deshalb, weil die quasi geplante Verriegelung der deutschen Grenzen für Flüchtlinge aus den genannten Ländern mit einer ebenfalls geplanten Verschärfung des Asylverfahrensgesetzes einhergeht.

Zwar ist das hierzu geplante Gesetz noch im Stadium eines Referentenentwurf, doch lassen erste Stellungnahmen bereits ein klares Urteil erkennen. Pro Asyl und der niedersächsische Flüchtlingsrat forderten von der Bundesregierung, den Entwurf zurückzuziehen und gründlich zu überarbeiten. Verwunderlich ist das nicht, denn den Referenten führte erkennbar ein Anliegen die Feder: nicht Prüfung berechtigter Anliegen von Menschen, die einem Leben in Armut oder sogar Todesangst entfliehen wollen, sondern Reduzierung ihrer rechtlichen Handhaben und Möglichkeiten ist das Ziel. Beinahe mitleiderregend klingt es, wie das Innenministerium in dem Entwurf seine Pläne begründet: Das seit 2006 geltende Bleiberecht habe einer großen Zahl ehemals ausreisepflichtiger Personen »zu einem Aufenthaltstitel verholfen « und den »Begünstigten eine Perspektive für die gesellschaftliche und ökonomische Integration in Deutschland« eröffnet. Und noch trauriger: »Der Umfang der geduldeten Ausländer konnte aufgrund der Stichtagsgebundenheit dieser Regelungen jedoch nicht dauerhaft reduziert werden.«

Das soll sich ändern. Die Bundesregierung gibt die Zahl der Menschen, die sich oft viele Jahre lang von Duldung zu Duldung hangeln, mit rund 95 000 Personen an, davon knapp 33 000 Personen mit mindestens sechsjähriger Aufenthaltsdauer. Zwar soll es Lockerungen beim Arbeitsverbot für Flüchtlinge und Geduldete geben, aber zugleich wird die Residenzpflicht nicht abgeschafft, Abschiebungshaft wird in bestimmten Fällen ausgeweitet statt eingestellt, Familiennachzug wird erschwert. Weiterhin und entgegen der UNOKinderrechtskonvention sollen Jugendliche unter 18 Jahren in Verfahren gegen sie als Mündige statt als Schutzbefohlene behandelt werden.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 7. Juni 2014


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