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Lebensgefährliche Flucht

150 Menschen können Grenze zwischen Marokko und Melilla überwinden. Italienische Küstenwache rettet 1000 aus dem Mittelmeer. Doch viele schaffen es nicht

Von André Scheer *

Rund 150 Menschen ist es am Montag gelungen, die schwer bewachte Grenze zwischen Marokko und der spanischen Kolonie Melilla an der Nordküste Afrikas zu überwinden und das Territorium der EU zu erreichen. Diese Zahl nannten Vertreter der spanischen Regierungsdelegation in Melilla der Nachrichtenagentur Europa Press. Gegen 6.30 Uhr morgens hatten demnach etwa 250 Menschen, die meisten von ihnen aus Kamerun, den gefährlichen Durchbruch gewagt, etwa 100 von ihnen wurden von marokkanischen Grenztruppen abgefangen. Mehrere der Flüchtlinge wurden verletzt, mindestens fünf mußten im Krankenhaus behandelt werden. Trotzdem lobte Madrids Regierungsdelegierter Abdelmalik El Barkani die »großartige Arbeit« der Guardia Civil, der paramilitärischen Polizei Spaniens, »bei der Verteidigung der europäischen Südgrenze«.

Diese »großartige Arbeit« hatte erst am 6. Februar in der zweiten spanischen Exklave, Ceuta, mindestens 15 Menschen das Leben gekostet. Spaniens Innenminister Jorge Fernández Díaz mußte inzwischen offiziell zugeben, daß die Polizisten Gummigeschosse auf die im Meer schwimmenden Flüchtlinge abgegeben hatten. Für die Vereinigte Linke (IU) verlangte deren Koordinator Cayo Lara deshalb am Montag im spanischen Parlament die Ablösung des Innenministers und forderte alle anderen Fraktionen auf, die Menschenrechtsverletzungen in Ceuta zu verurteilen. Das wird die regierende Volkspartei (PP) jedoch mit ihrer absoluten Mehrheit verhindern. Sie nutzte die Debatte vielmehr für Angriffe auf die oppositionellen Sozialdemokraten. Die PSOE solle die »Demagogie« aufgeben und zu der Position zurückkehren, die sie vertreten habe, als sie selber noch regierte. Deren Sprecher Patxi López hatte erklärt, es sei unmoralisch, »Menschen zu beschießen, die vor dem Elend fliehen«. Während der Regierungszeit der PSOE waren 2005 an der Grenze zu Ceuta fünf Menschen getötet worden.

Der Grenzdurchbruch vom Montag könnte nur ein Anfang gewesen sein. Unter Berufung auf Polizeiquellen bezifferte die spanische Tageszeitung El País die Zahl der Menschen, die derzeit in Marokko auf eine Gelegenheit warten, über Ceuta und Melilla die EU zu erreichen, auf mehr als 30000. Die hier unter oftmals elenden Bedingungen hausenden Menschen sind der Willkür der marokkanischen Behörden ausgesetzt und wurden oft schon vorher Opfer krimineller Banden oder der Sicherheitskräfte verschiedener Staaten. So kam es in der vergangenen Tagen zu Spannungen zwischen Algerien und Marokko, nachdem Rabat den Behörden des Nachbarlandes vorgeworfen hatte, Flüchtlinge aus Syrien über die Grenze »weitergereicht« zu haben.

Zeitgleich versuchen weiterhin Tausende, Europa über das Mittelmeer zu erreichen. Allein am Wochenende rettete die italienische Küstenwache mehr als 1000 Menschen aus überladenen und kaum seetüchtigen Booten. Wie viele Menschen in den vergangenen Tagen die Passage nicht überlebt haben, ist völlig unklar. Schon 2009 hatte die französische Zeitschrift L’Express unter Berufung auf Geheimdienstberichte geschrieben, daß im Schnitt jeder vierte die Flucht über das Mittelmeer nicht überlebe. Der Internetblog Fortress Europe, dessen Macher eine Statistik der Todesfälle führen, geht von mindestens 20000 Menschen aus, die in den vergangenen 25 Jahren den Versuch, über das Mittelmeer oder den Atlantik nach Europa zu gelangen, mit ihrem Leben bezahlen mußten.

* Aus: junge welt, Dienstag, 18. Februar 2014


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