61 Flüchtlinge starben vor der türkischen Küste
Westerwelle wartet noch mit "Welle der Hilfsbereitschaft" *
Beim schlimmsten Flüchtlingsdrama vor der türkischen
Küste seit Jahren sind mindestens 61
Menschen ertrunken. Das Boot, das vor allem
Syrer, Palästinenser und Iraker an Bord hatte,
sei am Donnerstag südlich von Izmir auf einen
Felsen aufgelaufen und gesunken, berichtete
die Nachrichtenagentur Anadolu.
Viele der Menschen an Bord seien im Laderaum
gefangen gewesen, zahlreiche Passagiere
so mit dem Schiff untergegangen. Der
Kapitän und ein Matrose wurden festgenommen.
Die Fahrt sei von Menschenschmugglern
organisiert worden, berichteten türkische
Medien. Das nur 15 Meter lange Boot soll insgesamt
mehr als 100 Menschen an Bord gehabt
haben, darunter viele Frauen und Kinder.
Mehr als 40 Menschen überlebten das
Unglück, weil sie die etwa 50 Meter bis zur
Küste schwammen oder aus dem Wasser gezogen
wurden. Dutzende schafften es jedoch
aus eigener Kraft nicht bis an Land. Rettungskräfte
suchten im Seegebiet vor Ahmetbeyli
bei Izmir am Donnerstag weiter nach
möglichen Überlebenden.
Trotz der stetig wachsenden Zahl syrischer
Flüchtlinge hat Bundesaußenminister
Guido Westerwelle derweil erneut deutlich
gemacht, dass Deutschland vorerst keine
Menschen aus dem Bürgerkriegsland aufnimmt.
Erst werde versucht, die Probleme vor
Ort zu lösen, auch weil die ganz überwiegende
Zahl der geflohenen Syrer in der Nähe ihrer
Heimat bleiben und so schnell wie möglich
zurückkehren wolle. »Aber wenn dies nicht
gehen sollte, habe ich keinen Zweifel, dass die
Deutschen den Syrern mit einer Welle der
Hilfsbereitschaft begegnen werden«, fügte der
Außenminister in der »Neuen Osnabrücker
Zeitung« hinzu. Solche Fragen müssten zusammen
mit dem Hohen Kommissar für
Flüchtlingsfragen, den Aufnahmeländern in
der Region und mit den europäischen Partnern
besprochen werden.
* Aus: neues deutschland, Freitag, 07. September 2012
Tödliche Tragödie bei Lampedusa
Vor der italienischen Küste wird nach etwa 80 Schiffbrüchigen gesucht
Von Wolf H. Wagner, Florenz **
Erneut hat sich eine menschliche Tragödie
vor der italienischen Insel
Lampedusa abgespielt. Die Zahl der
Todesopfer ist noch nicht bekannt.
In der Nacht zum Freitag retteten
Crew-Mitglieder von Schiffen der
Küstenwache und der Guardia di
Finanza 56 Schiffbrüchige in der
Nähe der kleinen Insel Lampione.
Bislang wurde ein Todesopfer aus
der See geborgen.
Nach ersten Angaben der
Überlebenden war das Schiff vor
Tagen von Tunesien aus in Richtung
Italien aufgebrochen. Am
Donnerstagnachmittag ging in der
Hafenkapitanerie von Palermo ein
über Mobiltelefon abgesandtes
Notrufsignal ein. Die daraufhin
alarmierten Kräfte – in der Region
operieren Schiffe der Küstenwache,
der Finanzpolizei sowie drei
Kriegsschiffe der NATO und Kräfte
der Seeflugstaffeln – begaben sich
auf die Suche nach dem in
»Schwierigkeiten geratenen Boot«.
Welcher Art diese Schwierigkeiten
waren, die im Notruf erwähnt
wurden, konnte bislang noch nicht
ermittelt werden.
Nach Aussagen der aus Tunesien
stammenden Überlebenden –
unter ihnen auch eine Schwangere
– waren zwischen 100 und 150
Personen an Bord. Die vor Ort
operierenden Kräfte sowie sich
dort bewegende Fischerboote suchen
nach etwa 80 Personen.
Völlig unklar ist der Verbleib
des Bootes. Die Staatsanwaltschaft
von Agrigento hat ein Ermittlungsverfahren
eröffnet, um die
näheren Umstände des neuerlichen
Unglücks zu untersuchen.
Zunächst konnten von den Schiffbrüchigen
keine verwertbaren
Aussagen über den Verbleib des
Fahrzeugs, das sie in die Nähe der
kleinen Felseninsel Lampione gebracht
hatte, erhalten. Wie Staatsanwalt
Renato Di Natale erklärte,
gingen die Ermittler von zwei Thesen
aus: Entweder sei das Boot rapide
schnell gesunken und befinde
sich nun auf dem Meeresgrund vor
Lampione.
Die zweite Möglichkeit ist, dass
kriminelle Schleuser die Flüchtlinge
vor der Felseninsel ausgesetzt
und dann das Schiff in den
Heimathafen nach Tunesien gesteuert
haben. Man werde in beiden
Richtungen untersuchen, erläuterte
Di Natale das Vorgehen
der Staatsanwaltschaft. Er schloss
ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren
ausdrücklich nicht aus.
Zur Zeit liefen die Ermittlungen jedoch
gegen »unbekannt«.
** Aus: neues deutschland, Samstag, 8. September 2012
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