Italien und Malta streiten über Zuständigkeit für Afrika-Flüchtlinge
Rom sieht möglichen Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung gegen La Valletta
Von Roderick Argius, La Valletta *
Der Strom afrikanischer Flüchtlinge, die über See Europa erreichen wollen, hat sich verlagert. Statt
von Westafrika aus auf die Kanaren starten sie jetzt von der libyschen Küste Richtung Italien.
Zwischen Rom und La Valletta führt das zu Streitigkeiten.
Malta und Italien streiten wieder einmal über den Umgang mit Flüchtlingen aus Afrika, die mit Booten
über das Mittelmeer nach Europa wollen. Anlass ist eine Gruppe von 60 Eriträern, deren Boot von
einem maltesischen Patrouillenboot aufgebracht und zur italienischen Insel Lampedusa eskortiert
worden ist.
Das maltesische Marineboot P 51 hatte die Flüchtlinge entdeckt, ihnen Lebensmittel, Wasser und
auch Schwimmwesten gegeben und dann nach Lampedusa geleitet. Die Flüchtlinge hätten
ausdrücklich erklärt, dass sie nicht nach Malta wollten, erklärten maltesische Marinekreise. Die
italienische Regierung hat diese Haltung jedoch kritisiert. Malta entziehe sich seiner Verpflichtung,
selber Flüchtlinge aufzunehmen, indem es diese nach Italien zwinge.
Erst vor knapp zwei Wochen war ein anderes Flüchtlingsboot auf dem Weg nach Lampedusa
ausgemacht worden, in dem sich fünf Menschen befanden. 73 seien während der dreiwöchigen
Irrfahrt verdurstet, gaben die Überlebenden den italienischen Behörden an. Sie behaupteten auch,
dass sie von einem maltesischen Patrouillenboot gestoppt worden seien. Die Malteser hätten sich
geweigert, sie an Bord zu nehmen.
Diese Darstellung wies die maltesische Regierung zurück. Die Flüchtlinge hätten sich ausdrücklich
geweigert, nach Malta gebracht zu werden. Außerdem meldete Malta Zweifel an, ob die Fünf wirklich
wochenlang auf See gewesen seien, so seien frisch rasiert gewesen. Auch habe man sonst keinerlei
Anzeichen für die behauptete Tragödie gefunden. Das Boot sei recht sauber gewesen, ohne
Hinweise, dass sich darin 80 Personen befunden hätten.
Die Italiener haben nach einer Untersuchung des Vorfalls in Agrigento auf Sizilien deutlich gemacht,
die maltesische Marinebesatzung könnte wegen unterlassener Hilfeleistung mit Todesfolge
angeklagt werden. Derzeit laufen die Ermittlungen allerdings noch gegen Unbekannt.
Maltas Außenminister Tonio Borg und Innenminister Carm Mifsud Bonici kündigten an, man werde
bei den Untersuchungen kooperieren. Italiens Präsident Giorgio Napolitano wies Innenminister
Roberto Maroni nur an, ihn auf dem Laufenden zu halten. Die Opposition indes schoss Breitseiten
gegen Malta. Dario Franceschini, Sekretär des Partito Democratico, warf dem Inselstaat vor, »seine
internationalen Verpflichtungen glatt zu ignorieren«.
Der Streit macht die unklare rechtliche und politische Lage bei der Sichtung von Flüchtlingsbooten deutlich. »Wie kann Malta für etwas verantwortlich gemacht werden, was eindeutig in libyschen
Gewässern stattgefunden hat?«, hieß es aus Malta. Sollte es die geschilderte Tragödie gegeben
haben, so sei weder Malta noch Italien Schuld zuzuweisen. Das Flüchtlingsboot war von der
libyschen Küste aus gestartet.
Maltas Außenminister hat italienische Vorschläge abgelehnt, den Such- und Überwachungsraum im
Mittelmeer, für den es bisher zuständig ist, zu verkleinern. Dieser umfasst 250 000 Quadratkilometer
zwischen Tunesien und Griechenland. Auch hat die maltesische Regierung darauf aufmerksam
gemacht, dass bei Sichtung und Aufbringung von Flüchtlingsbooten die Regeln vorsehen, das Schiff
in den nächstgelegenen Hafen zu bringen. Das ist häufig Lampedusa vor Sizilien.
Italiens Außenminister Franco Frattini hat die EU-Mitgliedsstaaten kritisiert, die viele schöne
Erklärungen abgäben. Aber »bis jetzt wissen wir immer noch nicht, was passieren soll, wenn eine
Gruppe von Flüchtlingen die Grenzen Europas erreicht hat«, sagte Frattini kürzlich in Rimini. Italien,
Malta, Griechenland und Spanien, in denen die Bootsflüchtlinge ankommen, beklagen seit Jahren,
dass die nördlichen Staaten der EU sich für das Flüchtlingsproblem nicht wirklich interessieren. Der
schwedische Außenminister Carl Bildt, zurzeit Ratspräsident der EU, kündigte an, die Außenminister
würden im Oktober erneut darüber verhandeln, wie Flüchtlinge künftig verteilt werden sollen.
Die Europäische Kommission rief derweil die Mitgliedsstaaten zur verstärkten Aufnahme von
Flüchtlingen aus Krisenländern auf. »Das Recht auf Asyl gehört zu den Grundwerten Europas«,
sagte der für Einwanderung zuständige EU-Kommissar Jacques Barrot am Mittwoch in Brüssel.
Aufnahmequoten für einzelne Mitgliedstaaten solle es aber nicht geben. Stattdessen sollen die EUStaaten
stärkere finanzielle Anreize aus dem Europäischen Flüchtlingsfonds erhalten.
* Aus: Neues Deutschland, 3. September 2009
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