Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Menschliches Strandgut

An Mauretaniens Küste strandet Schwarzafrikas Jugend auf dem Weg nach Europa

Von Caroline M. Buck *

In der mauretanischen Hafenstadt Nouadhibou spülen die Wracks der Boote an, mit denen sie sich voller Hoffnung auf den Weg machten. Und ihre Leichen. Für ihren Dokumentarfilm »Hotel Sahara« sprach Bettina Haasen mit denen, die noch auf die Überfahrt warten.

Sie kommen aus Mali, aus Liberia, aus Nigeria oder Guinea. Zu Hause gab es keine Arbeit, keine Zukunft. Ihre Hoffnung ist Europa, und das, so machte man manchen weiß, liege gar nicht weit weg, nur eben jenseits des schmalen Flusses. Manche haben schon Unsummen bezahlt, um überhaupt nur bis ins nordwestafrikanische Mauretanien zu kommen. Manche haben erst unterwegs gemerkt, dass mehr als nur ein Flusslauf sie von dem Kontinent trennt, in dem man an einem Tag mehr verdienen kann als zuhause in einem Monat. Ihre Familien bauen auf sie, haben oft Hab und Gut verkauft, um sie auf den Weg zu schicken. Zurückkehren können sie nicht, zu groß wäre der Gesichtsverlust. Also bleiben sie, arbeiten in schlecht bezahlten Jobs, um die Schlepper zu bezahlen, die die Plätze in den ausgemusterten Fischerbooten vermitteln, die nach Norden fahren, und hoffen.

Im internationalen Flughafen von Nouadhibou herrscht gähnende Leere, nur ein paar Soldaten stehen herum und bewachen das Gebäude. Und an einem Ende des Flugfelds ist Bewegung: dort wartet die spanische Grenzpolizei Guardia Civil ihren Helikopter. Die Mannschaften wechseln -- 15 Mann waren es Anfang 2008, allesamt Spanier --, der Helikopter aber ist ständig in Nouadhibou stationiert, ebenso wie ein Aufklärungsflugzeug und eine Reihe von Patrouillenbooten. Die stellt die spanische Regierung der Regierung Mauretaniens, damit sie mithelfen kann, Europas Küsten freizuhalten von Einwanderern aus den Staaten südlich der Sahara. Aus rein humanitären Gründen, versteht sich, schließlich kommen jedes Jahr Tausende um beim Versuch, die 800 Kilometer offene See bis zu den Kanarischen Inseln bei gefährlich gegenläufiger Strömung und in viel zu vollen Booten zurückzulegen.

Seit 2003 gibt es ein entsprechendes Abkommen zwischen den beiden Staaten, das auch die Rückführung aufgegriffener Bootsinsassen nach Mauretanien vorsieht -- selbst wenn diese nicht aus Mauretanien stammen. Der Verdacht reicht aus, dass sie aus Nouadhibou abgereist sein könnten oder aus der südlicher gelegenen Hauptstadt Nouakchott, und dorthin werden sie zurückgebracht. Dann ist es Sache der mauretanischen Regierung, die Angehörigen von Drittstaaten weiterzuverteilen. Weil die Mittel fehlen, jeden in sein Heimatland zuurückzuführen, folgt erst die Internierung -- unter Bedingungen, die Amnesty und diverse UNO-Organisationen bereits zu Protesten veranlasst hat -- und dann die zwangsweise Deportation nach Mali oder in den Senegal. Dort lässt man sie stehen, eben jenseits der Grenze, 50 Euro Taschengeld aus EU-Mitteln in der Tasche, ohne Lebensmittel oder Transportmöglichkeiten.

Seit im Jahr 2006 eine Rekordanzahl von 31 678 Afrikaflüchtlingen auf den Kanaren landete, hat sich die Zusammenarbeit zwischen Spanien und Mauretanien intensiviert. Weil die Stacheldrahtzäune um die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla an der marrokanischen Küste inzwischen so hoch sind, dass sie jeden Weg in die EU versperren, haben sich die Flüchtlingsströme von Marokko Richtung Süden verlagert. Erst nach Naoudhibou. Und seit dort die Frontex, die europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen, die unionseuropäische Grenzsicherung nach Afrika trägt und die meisten Boote aufgreift, von Nouadhibou noch weiter in den Süden, in den Senegal zum Beispiel, wo die Frontex mittlerweile auch einen Stützpunkt unterhält. In Mauretanien hat der Druck von EU-Seite inzwischen dazu geführt, dass jeder in Gefahr ist, aufgegriffen und deportiert zu werden, der von schwarzer Hautfarbe ist und deshalb doch bestimmt auf dem Weg nach Europa.

»Hotel Sahara« läuft seit dem 6. August im Kino.

* Aus: Neues Deutschland, 11. August 2009


Zurück zur Seite "Migration, Flucht und Vertreibung"

Zur EU-Europa-Seite

Zur Afrika-Seite

Zurück zur Homepage