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Hanseatische Repression

KZ-Überlebende Esther Bejarano: "Die Asyl- und Flüchtlingspolitik in Deutschland ist unerträglich. Wie der Hamburger Senat agiert, ist eine Schande"

Von Martin Dolzer *

Afrikanisch aussehende Menschen läßt der Hamburger Senat seit einigen Tagen verstärkt kontrollieren. Um die Identität der mehr als 350 Flüchtlinge der Gruppe »Lampedusa in Hamburg« festzustellen, scheint jedes Mittel recht. Zudem nahm die Polizei in den letzten sechs Tagen 29 schwarzafrikanische Kriegsflüchtlinge aus Libyen vorübergehend in Gewahrsam. Viele wurden erkennungsdienstlich behandelt. Etlichen Hamburgern reicht’s: Jeden Tag gehen zwischen 700 und 1300 Menschen auf die Straße. Polizeikessel, Ingewahrsamnahmen und Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten sind die Folgen. Immer mehr Menschen überwachen mittlerweile die Kontrollen. Die Bürgerschaftsfraktion der Linken bezeichnete diese Praxis in einem Brief als rassistisch und forderte die Polizisten auf, sich dagegen zu wehren.

Am Freitag informierten die Flüchtlinge von »Lampedusa in Hamburg« im Kulturzentrum Kölibri über ihre Lage. »Wir sind aus Libyen vor Krieg und Massakern geflohen. Dort konnten vor Kriegsbeginn mehrere Millionen Flüchtlinge in Würde leben. Es ist kaum zu verstehen, warum in einem Land, das die Demokratie proklamiert, keine Bereitschaft besteht, 350 Menschen in einer humanitären Notlage zu helfen, « so Anane Kofi Mark, ein Sprecher der Gruppe. »Statt dessen werden wir kontrolliert und kriminalisiert. Weite Teile der Bevölkerung unterstützen uns. Die Politiker sollten ihre Strategie, die die ganze Stadt ins Chaos stürzt, überschlafen und endlich den Dialog suchen«, ergänzte Friday Emitola, ebenfalls Sprecher.

Die Anwältinnen Daniela Hödl und Cornelia Ganten-Lange kritisierten, daß sämtliche Maßnahmen gegen die Flüchtlinge rechtswidrig seien. »Die Betroffenen haben Pässe und weitere Dokumente aus Italien. Da die Polizei keine Zweifel an ihrer Identität äußerte, hätten sie nach den Personenkontrollen sofort frei gelassen werden müssen«, erklärte Hödl.

Einer der Betroffenen schilderte das Vorgehen der Beamten. Er habe mehrmals vergeblich verlangt, seine Anwältin anrufen zu können. Um ihm gegen seinen Willen Fingerabdrücke abzunehmen, sei er gewürgt und mißhandelt worden. Eine Nacht habe er ohne Rechtsgrundlage, trotz Intervention der Anwältin, im Untersuchungsgefängnis verbringen müssen. Während der Innensenator die Flüchtlinge auffordere, sich freiwillig bei den Behörden zu melden, »um endlich ein geordnetes Verfahren zu ermöglichen«, würden die Verantwortlichen ständig geltendes Recht brechen, kritisierte Rechtsanwältin Hödl.

Esther Bejarano, Überlebende der Konzentrationslager Auschwitz und Ravensbrück, machte deutlich, was es bedeutet, wenn Menschen in Not Schutz verweigert wird. »Die gesamte Asyl- und Flüchtlingspolitik in Deutschland ist unerträglich. Wie der Hamburger Senat agiert, ist eine Schande. Die Politiker sollten sich erinnern, was Rassismus alles bewirken kann«, forderte Bejarano. Auch bei der Verleihung des Hans-Frankenthal-Preises des Auschwitz-Komitees waren am Donnerstag abend in Glinde Lampedusa-Flüchtlinge anwesend. In der Laudatio hieß es: »Einige Glinder Lampedusa-Flüchtlinge sind heute bei uns, können sich unter dem Schutz des Bundeslandes Schleswig-Holstein frei bewegen. Der Hamburger Senat hingegen verspielt gerade die Chance, ein Zeichen für Menschlichkeit zu setzen. Die Regierenden müssen es nur wollen, anstatt sich in bürokratischer Manier hinter Gesetzen zu verschanzen.«

* Aus: junge Welt, Samstag, 19. Oktober 2013


»Hautfarbe und Herkunft sind das Kriterium«

Hamburgs Polizei kontrolliert gezielt Schwarzafrikaner. Das ist »racial profiling« und gesetzwidrig. Gespräch mit Carsten Gericke **

Carsten Gericke ist Rechtsanwalt in Hamburg.

Wenige Tage, nachdem über 300 Flüchtlinge im Mittelmeer ertranken, ist die Hamburger Polizei dazu übergegangen, gezielt Schwarzafrikaner zu kontrollieren. Aus den USA ist dafür der Begriff »racial profiling« bekannt – ist das nicht auch bei uns rechtswidrig?

Dem Senat geht es offenbar darum, mit allen Mitteln Druck auf die Flüchtlinge auszuüben, die für ihr Aufenthaltsrecht streiten: Personenkontrollen, erkennungsdienstliche Maßnahmen und Freiheitsberaubung: Das erleben wir seit einer Woche. Mehr als 60 Personen sind mittlerweile betroffen; Höhepunkt war eine mehr als 24stündige Freiheitsentziehung am Mittwoch. Offenbar sind Hautfarbe und Herkunft das Kriterium für den Zugriff. Am Donnerstag abend haben eine Kollegin und ich für einen Betroffenen, der Samstag vergangener Woche verhaftet worden war, Klage beim Verwaltungsgericht Hamburg eingereicht.

Die Polizei braucht für Maßnahmen auf offener Straße Anhaltspunkte.

Fragt sich, worauf sie in diesem Fall ihre Annahme einer »vorliegenden Gefahr« stützt: Unser Mandant hatte an einer roten Ampel in St. Pauli gewartet – in einem Stadtteil, der seit jeher Einwanderungsviertel ist. Plötzlich umringten ihn Polizisten und kontrollierten ihn – was gegen das Diskriminierungsverbot im Grundgesetz verstößt.

Wie kann sich ein Flüchtling gegen polizeiliche Übergriffe wehren?

Die Polizei meint offenbar, mit den Flüchtlingen, die sich zur italienischen Insel Lampedusa gerettet hatten und dann nach Hamburg kamen, machen zu können, was sie will. Als seien sie vogelfrei! Der Senat betont zwar ständig, in der Stadt herrsche Recht und Gesetz – zugleich verstößt er aber selbst dagegen. Er rechtfertigt sich auch noch mit falschen Behauptungen, etwa der, die kontrollierten Personen hätten keine Papiere gehabt. Das ist schlicht und einfach falsch, was der Senat auch weiß.

Unser Mandant z. B. hatte sich durchaus ausgewiesen: Aufenthaltsgenehmigung, Reisepaß aus Italien und Krankenkassenkarte, alles gültig. Es gab keinen Grund, an seiner Identität zu zweifeln und ihn erkennungsdienstlich zu behandeln. Wir Anwälte bewerten das so: Es sind Schikanen, um die Lampedusa-Flüchtlinge zu zermürben und in der Öffentlichkeit ein falsches Bild der Situation zu zeigen.

Mischen sich Bürger bei Kontrollen ein, verweist die Polizei sie häufig des Platzes, weil sie angeblich die polizeiliche Arbeit stören. Muß ich einer solchen Aufforderung Folge leisten?

In St. Pauli ist die Unterstützung der Flüchtlinge immens. Anwohner wollen helfen, nach wie vor gibt es eine Anlaufstelle in der St.-Pauli-Gemeinde. Es ist aber nicht zu raten, sich in eine körperliche Auseinandersetzung mit der Polizei zu begeben.

Wenn man einen Polizisten bei einer rassistischen Kontrolle als »Rassisten« bezeichnet, wird das als Tatsachenbehauptung gewertet oder als Beleidigung?

Auch dazu rate ich nicht, die Rechtslage ist komplex. Anwohner in St. Pauli können aber weiterhin beobachten, was passiert; sie können Polizisten nach Kriterien für ihr Eingreifen sowie nach der Rechtsgrundlage fragen und dafür eintreten, daß solche Maßnahmen unterbleiben.

Bürgermeister Olaf Scholz und Innensenator Michael Neumann (beide SPD) wollen es gar als »strafbare Beihilfe zum illegalen Aufenthalt« verbieten, falls die Kirche im Winter Wohncontainer für die Flüchtlinge aufstellt. Machen sich Menschen strafbar, wenn sie sich menschlich verhalten?

Der Druck wird einerseits auf die Flüchtlinge ausgeübt, andererseits auf die St.-Pauli-Kirche, die den Flüchtlingen Zuflucht gewährt hat. Der Senat verlangt, daß sie die Geflüchteten denunziert. Ein ungeheuerlicher Vorgang! Die Rechtfertigungen des Senats hierzu sind Teil seiner Desinformationskampagne: Es liegen keine Straftaten vor, zu denen Beihilfe hätte geleistet werden können.

Es wundert kaum, wenn Autonome dagegen protestieren. Aber wie läßt sich das inhumane Vorgehen der Hamburger SPD stoppen?

Die angebliche Straßenschlacht zwischen Polizei und Autonomen ist Medienmache. Täglich gibt es Demonstrationen von Anwohnern und Unterstützern, die ein Bleiberecht fordern. Dazu hat der Senat alle Möglichkeiten nach Paragraph 23 Aufenthaltsgesetz. Das verschweigt er aber und will es auch nicht nutzen.

Interview: Gitta Düperthal

** Aus: junge Welt, Samstag, 19. Oktober 2013


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