Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Flüchtlingsabwehr kostet Leben

Massive Menschenrechtsverletzungen an den Außengrenzen der EU

Von Birgit v. Criegern *

Auch in dieser Woche (22.-26. Okt.) sind wieder Menschen gestorben, weil sie versuchten, in die EU zu gelangen. Um potenzielle Einwanderer abzuwehren, würden an den Grenzen der Union immer häufiger Menschenrechte massiv verletzt, so Amnesty International.

Vor der griechischen Insel Samos sind in der Nacht zum Montag 17 Flüchtlinge mit ihrem Boot gekentert und vermutlich ertrunken. Ihr Boot war bei dem Versuch, die rund 1,2 Kilometer breite Meerenge zwischen der Türkei und Griechenland zu überqueren, in einen Sturm geraten, berichtete das staatliche griechische Radio. Die Behörden wurden durch einen anonymen Anruf alarmiert. Eine umfangreiche Suchaktion blieb ohne Ergebnis. Immer mehr Migranten versuchen in kleinen, seeuntüchtigen Booten die gefährliche Überfahrt nach Europa – wie viele von ihnen auf dem Meer ertrinken, verdursten oder Opfer von Gewalttaten werden, kann nur geschätzt werden.

Während Menschenrechtsorganisationen das Massensterben an den europäischen Grenzen anprangern, arbeiten EU-Politiker im Zuge der Schengen-Koordination weiter an der Flüchtlingsabwehr. Um den Stand der Kontrollen an der zukünftigen neuen EU-Außengrenze in Osteuropa zu begutachten, hatte EU-Justizkommissar Franco Frattini Mitte Oktober Bratislava besucht. Mit dem geplanten Beitritt der Slowakei zum Schengen-Gebiet, so das politische Vorhaben, müsse die Grenze zur Ukraine mit neuer Technik abgesichert werden. Als »exzellent« lobte Frattini die technischen Vorbereitungen der Slowakei an der ukrainischen Grenze und stellte ihren Beitritt zum grenzfreien Verkehrsraum gemäß Schengen-Abkommen noch für Dezember in Aussicht.

Zudem wird ein einheitliches elektronisches System zur Überwachung »aller Bewegungsabläufe« an den EU-Außengrenzen geplant, »um illegale Einwanderer und Terrorismusgefahr abzuwehren«, sowie ein System »zur Erfassung der Menschen, die kein Visum haben oder länger als erlaubt in Europa bleiben«. Dafür wird die Einführung des elektronisch lesbaren biometrischen Datenträgers anstelle der »überholten« Papierkontrolle mit Zulassungsstempel bei den Behörden angestrebt.

Um potenzielle Einwanderer abzuwehren, verletzen indessen laut Amnesty International und der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl Grenzwachen »unter Zustimmung der gesamten EU« immer häufiger die Menschenrechte, besonders an den Meeresgrenzen der südlichen EU-Staaten. Die Migranten, die in Booten nach Europa zu gelangen versuchen, würden zunehmend Opfer von Repressionen. Pro Asyl dokumentierte z. B. »kriminelle« Vorgehensweisen der griechischen Küstenwache. Die Menschrechtsorganisation erfuhr von afghanischen Flüchtlingen, dass Grenzbeamte vor der Insel Lesbos ihr Schlauchboot zerstochen und sie dem offenen Meer überlassen hätten. Körperliche Misshandlungen sowie das Aussetzen von Flüchtlingen auf unbewohnbaren Inseln vor der Küste gehörten zu den Praktiken der Küstenwache.

Während Pro Asyl ein Ende der Repressionen und die Asylanerkennung für die Menschen in Notlage fordert, plädieren Politiker für verschärfte Abschottung. So wie der CDUBundestagsabgeordnete Reinhard Grindel, der die Bundesregierung unlängst aufgefordert hat, Italien und Griechenland zu einem besseren Schutz gegen Flüchtlinge zu ersuchen.

* Aus: Neues Deutschland, 26. Oktober 2007

Neues Gutachten: Flüchtlingsrechte gelten auch im Mittelmeer

Berlin/Frankfurt a. M. 27. September 2007 - Europa schottet sich auch mit illegalen Mitteln gegen Flüchtlinge und Einwanderer ab. Die von der EU-Agentur FRONTEX konzipierte Flüchtlingsabwehr missachtet menschen- und flüchtlingsrechtliche Verpflichtungen der EU-Staaten. Zu diesem Ergebnis kommt ein von amnesty international, der Stiftung Pro Asyl und dem Forum Menschenrechte in Auftrag gegebenes Gutachten des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), das die Organisationen heute anlässlich des bundesweiten Tags des Flüchtlings vorgestellt haben.

Auch außerhalb der Territorien der EU-Staaten - also etwa auch auf hoher See jenseits der 12-Meilen-Zone - sind die EU-Grenzschützer an Flüchtlings- und Menschenrechte gebunden. Mitten auf dem Meer aufgegriffene Flüchtlinge haben demzufolge das Recht, einen Asylantrag zu stellen. Sie dürfen auch nicht zurückgeschoben werden, wenn ihnen möglicherweise Verfolgung oder Misshandlung droht. „Flüchtlinge einfach an der Weiterfahrt zu hindern oder zurückzuschleppen, ist also verboten. Sie haben ein Recht darauf, in den nächsten sicheren europäischen Hafen gebracht zu werden“, sagte Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL.

ai und PRO ASYL kritisierten auch die Absicht deutscher Behörden, Flüchtlinge aus dem Kosovo und dem Irak trotz der schlechten Sicherheitslage in beiden Ländern abzuschieben. „Auch nach einem Rückzug der UNMIK dürfen Roma und Serben nicht in den Kosovo abgeschoben werden“, sagte Wolfgang Grenz, Flüchtlingsexperte von ai. „Der Streit um den zukünftigen Status des Kosovo hat zudem die Atmosphäre so aufgeladen, dass auch Minderheiten wie Aschkali und Ägypter den Ausbruch ethnisch motivierter Gewalt befürchten müssen. Deshalb dürfen sie weder jetzt noch nach einem UNMIK-Rückzug abgeschoben werden.“

„Ganz besonders absurd sind die Anstrengungen der Bundesregierung, Iraker so schnell wie möglich abzuschieben“, sagte Grenz. Derzeit sind 4,2 Millionen Iraker auf der Flucht - die größte Fluchtbewegung im Nahen Osten seit 1948. „Jeden Tag sterben Dutzende Menschen gewaltsam im Irak. Es ist völlig unbegreiflich, wie deutsche Behörden auf die Idee kommen, irakischen Flüchtlingen ihren Flüchtlingsstatus aberkennen und sie abschieben zu wollen. Stattdessen sollte Deutschland dem schwedischen Beispiel folgen und irakische Flüchtlinge großzügig aufnehmen“, sagte Grenz.

Das Gutachten finden Sie unter: http://www.amnesty.de/frontex

Quelle: Website von amnesty international; www.amnesty.de




Zurück zur Seite "Migration, Flucht und Vertreibung"

Zur EU-Europa-Seite

Zurück zur Homepage