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Gesundheitsversorgung in einer globalen Schieflage

Berliner Kongress Armut und Gesundheit diskutierte Präventionsziele gegen Armut. Kongressberichte

Am 18. und 19. November 2005 fand im Rathaus Schöneberg in Berlin der 11. Kongress "Armut und Gesundheit" statt. Dabei ging es nicht nur um den Zusammenhang von Armut und Gesundheit (bzw. Armut und Krnakheit!) hier zu Lande, sondern auch um globale Fragen des Nord-Süd-Verhältnisses. Beispielsweise hatte medico international vier Workshops angeboten, in denen der "neoliberale Zugriff auf Leib und Leben und die Perspektiven einer globalen Gesundheitsbewegung, die für den freien und gleichen Zugang aller zu Gesundheit streitet", geprüft wurde. Grundlage hierfür ist der in diesem Jahr zum ersten Mal vorgelegte Alternative Weltgesundheitsbericht 2005/2006 (Global Health Watch), den wir an anderer Stelle bereits vorgestellt hatten (siehe: "Globalisierung macht krank").
Im Folgenden dokumentieren wir eine kurze Pressemitteilung zu den Ergebnissen des Kongresses (im Kasten) sowie einen Kongressbericht, der vor allem auf die Globalisierungsaspekte Bezug nimmt.



11. Kongress Armut und Gesundheit diskutiert Präventionsziele gegen Armut

Zunehmende Armut in Deutschland beeinflusst die Gesundheit von sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Arme Menschen habe eine cirka sieben Jahre kürzere Lebenserwartung als der Bevölkerungsdurchschnitt. Vor diesem Hintergrund stellte der 11. Kongress Armut und Gesundheit Handlungsansätze und Ziele in verschiedenen Lebenswelten und Politikbereichen in den Mittelpunkt der zweitätigen Veranstaltung. In 60 Foren tauschten sich mehr als 1300 Teilnehmer/innen darüber aus, wie soziallagenbezogene Präventionsangebote zu entwickeln und zu fördern sind.

Eine wesentliche Strategie zur Verminderung sozialer Ungleichheit besteht laut Rolf Rosenbrock, Mitglied des Sachverständigenrates für die Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, darin, Primärprävention und Gesundheitsförderung in den jeweiligen Lebenswelten nicht so sehr für, sondern mit den Zielgruppen zu betreiben.

Einigkeit unter den Teilnehmer/innen bestand darin, dass nur verzahntes Handeln aller Beteiligten das soziale Ungleichgewicht und die negativen Auswirkungen auf die Gesundheit auflösen kann. Beispielhaft steht dafür der „Kooperationsverbund Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten“ wie Elisabeth Pott, Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, erläuterte. Er verfolgt das Ziel, auf Bundes- und Länderebene Praxisprojekte in den Gemeinden zu etablieren und zu stärken. In ihm arbeiten neben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unter anderem alle Krankenkassenarten, die Bundesvereinigung für Gesundheit und alle Landesvereinigungen für Gesundheitsförderung, Verbände der Ärzteschaft und der Wohlfahrtspflege sowie das Wissenschaftszentrum Berlin als Vertreter der Wissenschaft.

Der 12. Kongress Armut und Gesundheit findet am 1. und 2. Dezember 2006 in Berlin statt. Ausführliche Informationen zum Kongress sind unter www.armut-und-gesundheit.de abrufbar.


Globalisierung ohne "Sozialen Vertrag"

Alternativer Weltgesundheitsbericht kritisch zu privat finanzierter Gesundheitsversorgung

Von Daniel Rühmkorf


Mindestens jeder zehnte Mensch in Deutschland ist arm, und Armut macht krank. Arme Menschen haben in jeder Lebenslage ein mindestens doppelt so hohes Risiko zu erkranken, zu verunfallen oder von Gewalt betroffen zu werden. Wie Bedürfnisse und Potenziale armer Menschen effektiver, aktiv und partizipativ in Präventions- und Gesundheitsziele einbezogen und wie soziale Bewegungen global vernetzt werden können, war am Wochenende Thema des 11. Kongresses Armut und Gesundheit in Berlin.

Welche Ausmaße der Zusammenhang von Armut und Gesundheit in Entwicklungsländern hat, erörterte auf dem 11. Kongress Armut und Gesundheit die weltweit tätige Hilfsorganisation medico international. Überall auf der Welt wächst die Ablehnung neoliberaler Politik. Der zunehmende Kapital- und Warenaustausch zwischen den Ländern, wie auch die globalen und regionalen Auswirkungen von Entscheidungen, die beispielsweise von der Welthandelsorganisation (WTO) ausgehen, haben gravierende Folgen für die Gesundheit. Verschärfte Ungleichheit und Ausgrenzung lassen im Krankheitsfall immer mehr Menschen schutzlos in die Armut absinken. Deshalb forderte medico international zur globalen Vernetzung der sozialen Bewegungen auf, um »Mehr Gesundheit für alle«, so das Motto des Kongresses, in die Tat umzusetzen.

Gute Chancen, zum Handbuch der globalen Vernetzung der Gesundheitsbewegungen zu werden, hat dabei der Alternative Weltgesundheitsbericht 2005-2006 (Global Health Watch). Dieser Bericht wurde von über 70 Nicht-Regierungs-Organisationen erstellt, um die globale Schieflage der Gesundheitsversorgung zu thematisieren. Der Bericht zeigt die globale Gesundheitskrise auf, die die Ungleichheiten innerhalb und zwischen den Ländern thematisiert. Er listet die ungleichen Zugänge zu Gesundheitsleistungen auf und verweist auf Strategien, mit denen Regierungen, internationale Institutionen und soziale Bewegungen in Aktion treten können. Dabei verweist der Global Health Watch auf die eskalierende Armut in Afrika, Osteuropa, Zentralasien und Lateinamerika wie auch auf die zunehmende ungleiche Einkommensverteilung in den vergangenen Jahren. Produzenten gerade in den Entwicklungsländern sehen sich einem wachsenden globalen Wettbewerb ausgesetzt. Es bedürfe eines klugen nationalen Managements, so die Pressesprecherin von medico international, Katja Maurer, um die globalen ökonomischen Veränderungen zu bewältigen. Das aber sei, so Maurer, »ein hehres Ziel für Entwicklungsländer, in denen der öffentliche Sektor oftmals heruntergekommen und unterentwickelt ist.«

Während insbesondere die reicheren Wirtschaftsräume über soziale Mechanismen, Steuerprogression sowie Gesetze und Regeln verfügten, um die schlimmsten »Marktfehler« auf nationalem Niveau abzufedern, gäbe es keinen »sozialen Vertrag«, der die Schäden und Auswüchse der Globalisierung behebt, so Maurer weiter. Globale Mechanismen verstärken noch die Probleme. So verhindert der Patentschutz für überlebenswichtige Medikamente die Behandlung von Infektionskrankheiten. Die Folge sind Millionen Erkrankte und Tote, da für sie die Medikamente unerschwinglich sind.

»Alle globalen, bilateralen und regionalen Wirtschaftsvereinbarungen sollten auf die Folgen für Gesundheit und Gleichheit überprüft werden«, so Mike Rowson, Mitautor des Alternativen Weltgesundheitsreports. Als ersten Schritt fordert Rowson eine internationale Delegation aus Public-Health- und Wirtschaftsexperten, die mit dem Mandat ausgestattet ist, WTO-Verhandlungen zu begleiten und nationale Regierungen hinsichtlich möglicher gesundheitlicher Folgen der Verhandlungsergebnisse zu beraten.

Der Watch weist an vielen Beispielen über die nationalstaatlichen Grenzen hinweg nach, dass mehr privat finanzierte Gesundheitsversorgung zu schlechteren Gesundheitsdaten führt. Rowson: »Die Kommerzialisierung bestehender Gesundheitssysteme verschärft die ungleichen Zugangsbedingungen noch. Sie verhindert den Zugang zu hoch qualifizierter Versorgung für die Armen und bewirkt Ineffizienz sowie Verlust von ethischen Standards.« Die Länder beim Aufbau von staatlichen Gesundheitssystemen zu unterstützen, sei deshalb vordringlichste Aufgabe. Hilfsmittel fließen bisher eher bescheiden und dazu noch oftmals mit den falschen Zielen: Von den pro Jahr zehn Milliarden US-Dollar, die für Entwicklungshilfe im Bereich des Gesundheitswesens ausgegeben werden, finden viele Geberprogramme unkoordiniert statt und erwarten im Gegenzug für die Hilfe die Durchführung von Strukturanpassungsprogrammen und einer neoliberalen Gesundheitspolitik. Ein weiterer Schritt in die völlige Kommerzialisierung der Gesundheitsversorgung.

* Aus: Neues Deutschland, 21. November 2005


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