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Einmal Sklave, immer Sklave

Mohamed Ag Akèratane über den Kampf gegen Leibeigenschaft in Mali *


Mohamed Ag Akèratane ist Vorsitzender der malischen Menschenrechtsorganisation TEMEDT (Verein zur Verstärkung des Friedens, des Wachstums, des Schutzes und der Förderung der Menschenrechte). Seine Organisation arbeitet mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung zusammen. Über die prekären Lebensbedingungen von Sklaven und Leibeigenen in Mali sprach mit ihm für »nd« Uta Heyder.


Wie kann es sein, dass es im 21. Jahr- hundert noch Sklaverei gibt, zum Beispiel bei Ihnen im westafrikanischen Land Mali?

Seit 1960 ist Mali ein unabhängiges und demokratisches Land. Wir hatten gehofft, dass mit dem Ende der französischen Kolonialherrschaft auch diese feudalen Verhältnisse aufgehoben werden. Aber die malische Gesellschaft ist sehr konservativ, die Menschen denken in traditionellen, verkrusteten Mustern. Nach wie vor herrscht die malische Oberschicht vor, sie stützt sich dabei auf traditionelle Strukturen in unserem Land und da gehört Sklaverei dazu. Sich Sklaven zu halten gehört für die Mittel- und Oberschicht zum Prestige. Unsere Regierung hat 2007 eine internationale Deklaration unterschrieben, wonach es verboten ist, einem Menschen die Freiheit zu rauben. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Es leben in Mali ein paar hunderttausend Menschen in Leibeigenschaft eines Sklavenhalters und dessen Familie. Aber den Begriff »Sklaverei« gibt es in unserer Verfassung und in den Gesetzgebungen nicht. Das macht es uns so schwer, dagegen zu kämpfen. Wir brauchen einen Mentalitätswandel im Denken der Menschen, der Regierenden und der Justiz.

Wie hat man sich die Leibeigenschaft vorzustellen?

Es gibt zwei Arten von Sklaverei. Einmal die traditionelle Sklaverei bei einigen ethnischen Gruppen. Dann gibt es noch die Erbsklaverei, gegen die wir vornehmlich kämpfen. Das bedeutet, dass über die Mutter das Kind versklavt wird. Der Sklavenhändler kann mit seinen Sklaven machen, was er will. Er kann sie ausbeuten ohne Grenzen, sie verhungern lassen, vergewaltigen, zwangsverheiraten und auch töten. Es gibt neben einzelnen Menschen auch ganze Dorfgemeinschaften, die versklavt sind und in Leibeigenschaft eines einzelnen Besitzers leben. Meistens verrichten die Sklaven unter Zwang niedrige Arbeiten, wie Vieh hüten, in der Wüste Kamele treiben oder im Haushalt alle Arbeiten, die dort anfallen. Es gibt keinerlei Kontrolle zur Einhaltung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, die Sklaven sind ihrem Herrn hundertprozentig ausgeliefert, und haben ihm in allem gefügig zu sein. Vor allem die Frauen und Kinder befinden sich in extremer Abhängigkeit. Für sie ist eine Flucht kaum realisierbar.

Gelingt manchen Sklaven die Flucht?

Nur wenigen Sklaven ist es gelungen, ihren Peinigern zu entkommen. Doch bei den meisten ist das Bewusstsein auch nicht vorhanden, sich zu befreien. Menschenrechte kennen sie nicht. Die Bildung fehlt. Sklavenkinder besuchen keine Schule. Und vor allem tragen befreite Sklaven das Kainsmahl ihr ganzes Leben lang. Einmal Sklave immer Sklave, heißt es bei uns. Der Familienname zeugt von diesem Status. Auch nach vielen Jahren der Unabhängigkeit kann sich ein ehemaliger Sklavenbesitzer noch Rechte gegenüber seinem ehemaligen Sklaven herausnehmen, materielle Forderungen an ihn stellen oder seine Kinder entführen.

Mit welchen Mitteln geht Ihre Menschenrechtsorganisation TEMEDT gegen dieses Elend vor?

Unsere Arbeit ist dreigeteilt: Zum einem leisten wir Friedensarbeit. Wir treten ein für die Verständigung und den Dialog zwischen den Menschen und auf internationaler Ebene. Des Weiteren zielt unsere Arbeit ab auf eine harmonische, ausgeglichene wirtschaftliche Entwicklung im ganzen Land. Auch hier gibt es Hürden. Der malische Staat versinkt in Korruption, Drogen- und Waffenschmuggel. Auch Regierungsvertreter sind involviert. Dann kam auch noch der Bürgerkrieg. Unsere wichtigste Aufgabe ist aber der Kampf gegen die Sklaverei. Wir bieten Schulungen an, starten Aufklärungskampagnen und werben um Mitglieder für unsere Organisation. Aufklärung ist unsere wichtigste Waffe dabei. Zurzeit sind wir etwa 30 000 Mitglieder.

Wie können Sie Sklaven konkret helfen?

Wenn sich geflohene Sklaven bei uns melden, sichern wir ihnen jegliche Unterstützung zu. Wir geben ihnen Kleidung, Nahrung, Geld und juristische Beratung vor Gericht. Wir ermutigen sie, ihre Peiniger anzuzeigen. Aber bisher ist noch keiner von denen verurteilt worden. Es gelingt uns nicht, sie wegen des Strafbestandes der Vergewaltigung oder des Mordes zu verklagen, geschweige denn wegen Freiheitsberaubung oder Zwangsarbeit. So schulen wir seit Jahren auch Richter und Justizbeamte. Auch bei ihnen müssen ein Umdenken und ein persönliches Engagement für die Einhaltung grundlegender Menschenrechte erwirkt werden. Wir müssen erreichen, dass im malischen Strafgesetz Sklaverei als Straftatbestand verankert wird. TEMEDT hat unter der Übergangsregierung einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt. Wir hoffen, dass die neue Regierung offen für solche Novellierungen ist.

Arbeiten Sie mit anderen Nichtregierungsorganisationen (NRO) zusammen? Von wem werden Sie in Ihrem Kampf gegen Sklaverei unterstützt?

Ja, wir arbeiten eng mit einer britischen NRO zusammen, auch mit dem UN-Kinderhilfswerk UNICEF oder der deutschen Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS). Sie hat uns beispielsweise bei der Erarbeitung des Strafgesetzentwurfes unterstützt, fördert aber auch unsere Schulungen vor Ort. Wir haben in Mali eine Reihe von Hilfsorganisationen, die gegen Kinderarbeit, gegen die Beschneidung von Mädchen und Frauen, gegen Drogenmissbrauch und Menschenhandel kämpfen. Die Arbeit all dieser Organisationen und Initiativen in einem landesweiten Netzwerk zu koordinieren, wird zum großen Teil auch von der RLS gefördert und finanziell getragen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 29. Oktober 2013


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