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Sklavenaufstand erkämpfte die Freiheit

50 Millionen Afrikaner wurden von Kolonialstaaten verschleppt und ausgebeutet

23. August: Internationaler Tag der UNO erinnert an die Abschaffung des Sklavenhandels

Von Karin Leukefeld


Sklaverei ist die »vollständige Verfügungsgewalt über das Leben eines Menschen«. 400 Jahre organisierter Sklavenhandel begründete den Reichtum der Kolonialstaaten.

Richmond, Virginia, USA. Man schreibt das Jahr 1845. In der Auktionshalle verkauft der Farmer Jameson seine Sklavin Maria mit ihrem Sohn Samuel und einem Säugling. Jameson braucht Bargeld, um Schulden zurückzahlen zu können. Lautstark bietet er die Sklavin feil: »Was bieten Sie für dieses hervorragende Hausmädchen, die obendrein noch eine gute Köchin ist und einen gesunden Sohn hat, der gut bei der Ernte helfen kann?« In der Auktionshalle haben sich einige Interessierte versammelt: ein Pfarrer, einige Käufer, ein Journalist, ein Rechtsanwalt. Die Sklavin Maria steht mit ihren Kindern erhöht auf einem Podest. Sie beginnt zu weinen: »Ich bitte Sie, Herr, verkaufen Sie uns nicht ohne den Rest unserer Familie.« Jameson hat den Mann von Maria und die Mutter bei sich auf dem Hof behalten, er braucht sie noch. »Sei still, hör auf zu weinen«, fährt er sie an. Doch Maria wendet sich an den Rechtsanwalt: »Helfen Sie mir, gibt es kein Recht für mich und meine Familie?« Farmer Jameson schreit sie wieder an: »Ruhe, es ist dir nicht erlaubt, hier zu sprechen!« Die Sklavin wendet sich an den Pfarrer: »Helfen sie uns, sind wir nicht Gottes Kinder, wie Sie auch?« Doch der Gottesmann rührt sich nicht. Jemand bietet 200 US-Dollar für Mutter und Kinder, ein Händedruck, der Handel ist abgeschlossen.

Die Schilderung aus einem Schulbuch soll Kinder von heute über den Sklavenhandel aufklären. Die Schüler können selber wählen, welche Rolle sie bei dem Menschenhandel einnehmen wollen: Anwalt, Journalist, Farmer oder die des Sklavenjungens Samuel? Es werden Handlungsmöglichkeiten angeboten: »Du bist Samuel, der Sklavenjunge, was passiert, wenn du abhaust?« Vielleicht hatte der Entflohene Pech, wurde krank und starb. Oder er wurde gefangen, geprügelt, gefoltert. Vielleicht aber fand er auch die »Untergrundbahn«, den Weg nach Norden, auf dem ihm Menschenrechtler beistanden, ehemalige Sklaven, Farmer, Quäker, Minister und Journalisten, die den geflohenen Sklaven sichere Häuser, Nahrung, Medizin und Transportmittel zur Verfügung stellten. Man erfährt die fantastische Geschichte von Henry »Box« Brown, der von Fluchthelfern in einer Kiste versteckt per Schiff und Bahn bis nach Philadelphia in die Freiheit gelangte. Ziel der Flüchtenden waren die Nordstaaten Amerikas oder Kanada, wo Mitte des 19. Jahrhunderts die Sklaverei bereits abgeschafft war.

Nicht so in Richmond, Virginia und den Südstaaten, wo Kirche, Staat und Gesellschaft die Sklaverei als rechtmäßig ansahen und Schwarze seit Generationen unfrei geboren wurden. 1845, zu der Zeit, in der die fiktive Sklavenauktion stattfindet, gab es in Nordamerika die Sklaverei seit mehr als 200 Jahren. Doch sie stand auf der Kippe, wie die Existenz der »Untergrundbahn« zeigte. Vor allem in den Nordstaaten hatte sich so viel Widerspruch geregt, dass ein Krieg begann, an dessen Ende auch das offizielle Ende der Sklaverei in den Südstaaten stand.

400 Jahre lang hatten die europäischen Kolonialstaaten, aber auch die Vereinigten Staaten und Japan aus dem schwarzen Kontinent billige Arbeitskräfte verschleppt und auf ihren Plantagen, in Fabriken und privaten Haushalten ausgebeutet. Schätzungen besagen, dass allein zwischen 1550 und 1850 rund 50 Millionen Afrikaner dem Sklavenhandel zum Opfer gefallen sein sollen. Die Zahlen sind Schätzungen, eine Dokumentation gibt es ebenso wenig wie Reparationszahlungen oder Wiedergutmachung.

Ohne zahllose Aufstände der Sklaven und unzählige Opfer wäre der organisierte Menschenhandel nie an den Pranger gestellt und zumindest auf dem Papier nie abgeschafft worden. Dennoch ist Sklaverei »dank« der Globalisierung bis heute ein unbewältigtes Verbrechen. Die Vereinten Nationen nutzen Tage wie den 23. August, den »Internationalen Tag zum Gedenken an den Sklavenhandel und seine Abschaffung«, um auf das anhaltende Unrecht hinzuweisen. Damals, am 23. August 1791, leiteten Sklaven in Santo Domingo mit einem Aufstand das Ende des transatlantischen Sklavenhandels ein. 1793 wurde der Sklavenhandel zuerst in Santo Domingo abgeschafft, in Kuba (1886) und Brasilien (1888) zuletzt. 1926 verabschiedete der Völkerbund das erste internationale Abkommen über Sklaverei. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 hat Sklaverei explizit verboten. Artikel 4 besagt: »Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel in allen ihren Formen sind verboten.«

Die größte Tragödie der Menschheitsgeschichte

Schon Römer, Phönizier und Babylonier haben Menschen als »Kriegsbeute« versklavt, der Spartakusaufstand (73-71 v.u.Z.) im Römischen Reich ging in die Geschichte ein. Der kommerzielle Sklavenhandel dauerte von etwa 1550 bis Ende des 19. Jahrhunderts. Die Opfer waren schwarze Männer, Frauen und Kinder aus Afrika. Der französische König Ludwig XIV. erließ etwa 1689 den »Code Noir«, in dessen 60 Artikeln vor allem der Umgang mit den Sklaven in den Kolonien geregelt wurde. Der Sklavenhandel erstreckte sich von den westafrikanischen Kolonien über Amerika, die Karibik, Europa und den Indischen Ozean. Der transatlantische Sklavenhandel gilt heute als die erste systematische Globalisierung. Der französische Historiker Jean-Michel Deveau bezeichnet den Sklavenhandel und die Sklaverei als »die größte Tragödie in der Menschheitsgeschichte« und als »wichtigen Faktor der Weltwirtschaft des 18. Jahrhunderts«. 50 Millionen Afrikaner wurden nach Amerika, Europa oder Japan verkauft. In dem Dreieckshandel zwischen den Kontinenten brachten westeuropäische Schiffe zunächst Waffen, Schießpulver, Alkohol sowie Werkzeug und Möbel nach Westafrika, die bei lokalen Stammesführern gegen Sklaven eingetauscht wurden. Von Afrika wurden die Sklaven nach Süd- und Nordamerika verschleppt und verkauft. Schließlich wurden Baumwolle, Kaffee, Kakao, Tabak und Reis – von Sklaven geerntet – nach Europa gebracht. Spanien, Portugal, die Niederlande, England und Frankreich waren führend, doch auch Preußen stieg mit der »Brandenburgisch-Afrikanischen Kompanie« 1683 in den Sklavenhandel ein. kl

Hintergrund: Moderner Sklavenhandel

Menschen-, Frauen-, Kinderhandel, Zwangsprostitution, Kindersoldaten, Kinder als Drogenkuriere – moderne Sklaverei in Zeiten der Globalisierung hat viele Varianten. Nach Angaben des Sklaverei-Forschers Kevin Bales sollen heute mindestens 27 Millionen Menschen in sklavereiähnlichen Verhältnissen leben. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) schätzt, dass pro Jahr 700 000 Menschen über Landesgrenzen verschleppt werden. Nach UNO-Schätzungen sind 5,7 Millionen Kinder Opfer von Zwangsarbeit oder Leibeigenschaft und 1,2 Millionen Kinder Opfer von Kinderhandel. Vor allem Mädchen würden zur Prostitution und Pornografie gezwungen.

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) spricht von weltweit 250 Millionen Kindern im Alter zwischen 5 und 14 Jahren, die in legalen und illegalen Arbeitsverhältnissen ausgebeutet würden. Sie prangert den Handel mit Kindern in Zentral- und Westafrika an und berichtet, dass zwischen 10 000 und 15 000 Kinder aus Mali auf Plantagen in der Elfenbeinküste Zwangsarbeit verrichten müssen. Nigeria berichtete 1996 über 4000 Fälle von Kinderhandel. Benin registrierte über 3000 Fälle von Kinderhandel zwischen 1995 und 1999.

Die britische Tageszeitung »The Observer« griff kürzlich Berichte von Menschen- und Kinderrechtsorganisationen über illegale Fußballtrainingszentren für Jungen in der Elfenbeinküste auf. Den Jungen werde versprochen, dass sie bei einem reichen westeuropäischen Fußballverein einen Vertrag bekämen, daher hätten die Eltern keinen Einspruch. Die Betreiber der Trainingszentren kassieren für die Vermittlung der jungen Fußballspieler, von denen manche nicht älter als 13 Jahre sind. Der Transport erfolgt über eines der zahlreichen Flüchtlingsboote. In den westlichen Industriestaaten sind es vor allem illegale Flüchtlinge, deren Rechtlosigkeit sie zu modernen Sklaven der jeweiligen Gesellschaften macht. kl



* Aus: Neues Deutschland, 23. August 2007


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